Brutale KZ-Ärzte waren im Heimaturlaub liebevolle Väter

Kinostart für einen neuen Film: Wie konnten Ärzte in den Konzentrationslagern der Nazis zu Mördern werden?

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:
Analysiert Gespräche mit Nazi-Ärzten: Robert Jay Lifton.

Analysiert Gespräche mit Nazi-Ärzten: Robert Jay Lifton.

© Foto: Wolfgang Richter

Massenmorde, Menschenexperimente, Zwangssterilisationen: Die beiden Filmemacher Hannes Karnick und Wolfgang Richter sind in der Dokumentation "Wenn Ärzte töten" der Frage nachgegangen, wie Mediziner in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten von Heilern zu Mördern werden konnten.

Der Film über "Wahn und Ethik der Medizin" läuft seit dem 3. Dezember in deutschen Kinos. Der US-amerikanische Psychologe und Psychiater Robert Jay Lifton (83) analysiert darin seine Gespräche mit Nazi-Ärzten.

Von den 40 Medizinern, mit denen der Psychiater Ende der 70er Jahre gesprochen hat, lebt heute keiner mehr. "Keiner hat sich für das, was er in den Lagern getan hat, entschuldigt", erzählte Lifton bei der Vorpremiere der Dokumentation Mitte November im Berger Kino in Frankfurt am Main. "Mehr als 30 Jahre später verdienten die meisten von ihnen gut, sie praktizierten als Ärzte und konnten sich ein angenehmes Leben leisten."

In seinen Erzählungen bleiben die Mediziner anonym. Was sie getan haben, umreißt er kurz und sachlich. Wenn er an die Opfer erinnert, gerät er ins Stocken. Etwa, wenn er davon spricht, wie die Menschen in den Lagern von Ärzten zu "menschlichen Labortieren" degradiert worden sind.

Lifton hat Bücher über die psychologischen Folgen von Gehirnwäsche und Kriegen geschrieben und ist darüber hinaus Gründungsmitglied der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW).

Die Filmemacher zeigen ihn während der Dreharbeiten an seinem Schreibtisch im Sommerhaus an der Ostküste. Er erzählt, wie er Schritt für Schritt in den Gesprächen mit den Tätern versucht hat, mehr über ihre Verstrickungen im Nazi-System zu erfahren.

Der Psychiater ließ sie von ihrem Studium erzählen und von ihrer Assistenzzeit. "Dann fragte ich, wie die ersten Kontakte zu den Nazis zustande gekommen sind." Einige gaben an, dass sie Befehle befolgen mussten, andere verharmlosten ihre Taten, wieder andere wollten von Lifton Bestätigung und Freundschaft - "das war völlig absurd", erinnert er sich. Seine eigenen Gefühle seien während der Gespräche zwiespältig gewesen: Als Jude habe er oft Wut und Angst verspürt, als Psychiater habe er immer noch mehr erfahren und "unbedingt ein Buch schreiben" wollen. "The Nazi Doctors" ist 1986 erschienen.

Auf die Frage nach dem Warum erklärt Lifton, dass es in der deutschen Ärzteschaft traditionell eine Nähe zum Staat und zum Militär gegeben habe. Die in Auschwitz tätigen Ärzte hätten nicht nur den hippokratischen Eid abgelegt, sondern, als Teil der Waffen-SS, auch einen Eid auf Hitler.

Die Vernichtungslager gehorchten somit scheinbar völlig eigenen Gesetzen. Auschwitz sei eine Art Zentrum für die Volksgesundheit gewesen, in dem Krankheiten "ausgemerzt" wurden.

Viele NS-Ärzte seien gespalten gewesen - "Doppelung" nennt der Psychiater ihr Verhalten im Alltag: Während ihrer Heimaturlaube seien sie als liebevolle Familienväter aufgetreten. "Man könnte von einem faustischen Pakt reden."

Sein Fazit am Ende der Dokumentation klingt angesichts solcher Schrecken beinahe tröstlich: "Wir sind nicht zum Bösen verdammt, wir haben die Wahl, uns für das Gute zu entscheiden."

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