Wie ist Pflege in die "Schattenzone" geraten?

Das Bundesgesundheitsministerium hat 2011 zum "Jahr der Pflege" ausgerufen. Während die Zukunft der Pflege viel diskutiert wird, beleuchtet eine Ausstellung am Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité ihre Vergangenheit.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Die Ausstellung zeigt unter anderem ein Exemplar einer historischen Wärm- und Kühlflasche.

Die Ausstellung zeigt unter anderem ein Exemplar einer historischen Wärm- und Kühlflasche.

© Christoph Weber, BMM

BERLIN. Ein Krankenbett steht im Winkel am Eingang der ersten Etage des Berliner Medizinhistorischen Museums (BMM). Die Wand am Kopfende des Saals zieren Porträts von Frauen und Männern in blauen Kitteln - Schwestern und Pfleger der Charité Uniklinik Berlin.

Den Weg dorthin überspannt ein gewundener Bogengang aus Bettenwagen. Unter ihm breitet sich in Vitrinen die Geschichte der Krankenpflege aus.

Erstmalig eine Ausstellung

"Die Pflege wird immer unterbelichtet", sagt BMM-Direktor Professor Thomas Schnalke. Wer die aktuellen gesundheitspolitischen Debatten verfolgt, mag das kaum glauben.

In der historischen Forschung zum Gesundheitswesen trifft es jedoch durchaus zu. Die Kuratoren nehmen für sich in Anspruch, dass sie die Krankenpflege erstmalig zum Gegenstand einer historischen Ausstellung machen. Das BMM hat bei der Ausstellung mit der Robert Bosch Stiftung und der Barmer Ersatzkasse kooperiert.

Den doppeldeutigen englischen Titel haben die Ausstellungsmacher sehr bewusst gewählt: "Who cares?" - Wer pflegt und wen interessiert es? Dass die streikenden Pflegekräfte der Charité diesen Titel für Protestplakate einer Spontandemo bei der Ausstellungseröffnung mit dem damaligen Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) nutzen würden, haben sie vorher jedoch nicht geahnt.

Pflege hat ein Imageproblem

Rösler spricht über die Zukunft der Pflege. Es sei oft eine Imagefrage, wenn junge Menschen sich gegen einen Pflegeberuf entscheiden. "Man wird nicht geachtet, sondern eher ein bisschen belächelt", sagt er. Daran müsse gearbeitet werden.

Er spricht sich für einen Mindestlohn in der Pflege aus, aber auch dafür, dass der Beruf mehr Aufstiegschancen bieten und Pflege mehr verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen soll.

"Es fällt keinem Arzt ein Zacken aus der Krone, wenn er darüber nachdenkt, Kompetenzen an die Pflege zu übertragen", sagt Rösler. Er zeigt sich optimistisch: "Ich glaube, dass die junge Medizinergeneration dazu bereit ist."

Barmer-Vize Rolf-Ulrich Schlenker greift das Streitthema auf. Er plädiert für mehr Delegation und Substitution bislang ärztlicher Tätigkeiten. "Wir möchten die Pflege etwas aus der Schattenzone des Arztberufes hervorholen", sagt er nicht nur mit Bezug auf die Ausstellung.

Ausstellungen zeigt Entwicklungen in der BRD und DDR

Die Rotkreuz-Schwester mit ihrer Feldausrüstung im Jahr 1915.

Wie die Pflege in Deutschland in diese "Schattenzone" geraten ist, versucht die Ausstellung zu erklären. Als eine der Hauptursachen macht die verantwortliche Ausstellungsmacherin Isabel Atzl die "Vielfalt von Entwicklungen und Strukturen" aus.

"Es ist einfach schwierig, die Pflegenden zu vertreten, wenn jeder einen anderen Anspruch an den Beruf hat", sagt sie.

In der Entwicklung der Pflege zum Beruf laufen drei Stränge parallel. Konfessionelle, weltliche und militärische Krankenpflege zeigt der historische Teil der Ausstellung.

Zur Rolle der Pflege im Nationalsozialismus fordert Atzl weitere Forschungen. "Die Medizin hat sich nicht allein schuldig gemacht", sagt sie.

Die Ausstellung fährt fort mit der Darstellung der parallelen Entwicklungen in der DDR einerseits und der BRD andererseits.

Pflege hat auch mit Tod, Scham und Ekel zu tun

Die Gegenwart der Pflege wird in einem zweiten Raum thematisiert. Wie Krankenzimmer zweigen Zonen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten von einem zentralen Gang ab. Sie sollen die Bandbreite darstellen, mit der sich Pflegende befassen.

Dabei geht es unter anderem um Körperpflege und Mobilisierung, um Sicherheit, aber auch um Grenzerfahrungen wie Tod, Scham und Ekel. Hochaktuell ist der Bereich Aus-, Fort- und Weiterbildung gestaltet.

Neben dem Krankenpflegegesetz von 2003 ist dort auch das Bildungskonzept des Deutschen Bildungsrates für Pflegeberufe nachlesbar, das auch Hochschulbildung vorsieht.

Historische Entwicklung der Arbeitszeit wird wiedergegeben

Ein Plädoyer für eine akademische Säule der Pflege spricht die Pflegedirektorin der Charité Hedwig François-Kettner bei der Vernissage aus: "Wir brauchen auch einen bestimmten Prozentsatz an Menschen am Krankenbett, die akademisch gebildet sind auch um den Dialog mit der Ärzteschaft anders zu führen", so François-Kettner.

Spätestens bei diesem Schwerpunkt ist die Ausstellung in der Zukunft der Pflege angelangt. Auch die Zeit selbst macht sie zum Thema, dargestellt in der historischen Entwicklung der Arbeitszeiten oder im Schema der Minutenpflege.

Das Thema Geld ist dagegen dem politischen Rahmenprogramm vorbehalten. Geplant sind Vorträge, Tagungen sowie ein pflegewissenschaftliches und ein pflegepolitisches Symposium.

Who cares? - Wer pflegt und wen interessiert´s?

Die Ausstellung "Who Cares" - Geschichte und Alltag der Krankenpflege" ist bis 8. Januar 2012 in Berlin zu sehen. Danach gehen die Ausstellungsstücke auf Wanderschaft.

Ein Katalog zur Ausstellung ist für 19,90 Euro an der Museumskasse erhältlich oder über die Internetseite des Museums zu beziehen.

Ort: Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité, Charitéplatz 1, 10117 Berlin Öffnungszeiten: Di bis So 10 bis 17 Uhr, Mi und Sa 10 bis 19 Uhr Weitere Informationen unter: www.bmm.charite.de

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