Narzissmus pathologisch betrachtet

Mitgefühl? Solidarität? Solche Eigenschaften darf man von narzisstisch veranlagten Menschen nicht erwarten. Sie brauchen im Grunde nur eins: Bestätigung, Bestätigung und noch einmal Bestätigung.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Schön, toll, genial.

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© Lev Dolgatsjov / fotolia.com

Attraktiv, erfolgreich, dominant, selbstbezogen und - rücksichtslos; ein "gesellschaftlicher Virus" hat viele Menschen befallen, sagt der Sozialpsychologe Professor Hans Bierhoff von der Ruhr-Universität Bochum, und das ist der Narzissmus. Und mit einem narzisstischen Menschen zusammenzuleben ist eine Herausforderung.

Narzissten verlangen viel von den Menschen, mit denen sie leben: Bestätigung, Bestätigung und noch einmal Bestätigung. Wehe denen, die im Narzissten auch Kontakt, Mitgefühl oder Solidarität suchen, sie werden enttäuscht werden.

Laut Bierhoff trifft man immer öfter solche Menschen, die eine eigentlich ganz normale Wertschätzung der eigenen Person in den Wahn einer unerschütterlichen Selbstverherrlichung gesteigert haben.

"Narzissten erleben ein grandioses Gefühl der eigenen Bedeutung verbunden mit Fantasien von grenzenlosem Erfolg und dem Bedürfnis nach Macht und Anerkennung", fasst Bierhoff zusammen.

Das klingt unsympathisch, trotzdem haben Narzissten Konjunktur. In den letzten 25 Jahren habe das Phänomen "sehr stark zugenommen", sagt Bierhoff.

Ein Bedürfnis nach Macht und Anerkennung

Woher kommt Narzissmus? Zum Beispiel Cristiano Ronaldo. Kürzlich porträtierte die "Süddeutsche Zeitung" den portugiesischen Fußballer von Real Madrid als "Narziss von der Blumeninsel" Madeira. Zu Recht.

Tatsächlich läuft der Sportler nach einem Torerfolg mit weit ausgebreiteten Armen über das Spielfeld, als habe es die Christus-Statue vom Zuckerhut in Rio auf den Fußballplatz verschlagen.

Ein weiß Gott, wenn auch unbewusstes, so doch größenwahnsinniges Zitat. Ronaldos trickreichen Dribblings gieren zuerst nach Beifall und dann nach dem Tor.

Und nach dem Spiel flaniert er gerne mit nacktem Oberkörper über den Rasen, um seine Muskulatur zu präsentieren.

Die Kameras transportieren dann das Ganze zum Fußballfan. "Das narzisstische Auftreten im Alltag wird durch die Medien gefördert", sagt denn auch Bierhoff.

Gerade Menschen, die unter hohen Ansprüchen stehen und die gelernt haben, dass im Leben einzig Output, Leistung und Performance zählen, dürfen sich hier bestätigt fühlen. Was bleibt sind schlechtes Beispiel und zu hoher Anspruch.

Kann man Narzissten lieben?

Besonders anfällig seien Kinder der Mittelschicht mit ehrgeizigen Eltern. Sie fesseln ihre Sprösslinge in der Erwartung, außergewöhnlich und besonders zu sein.

So ist Narzissmus vor allem eine Reflexion sozialer Verhältnisse. Psychologen entdecken im Narzissten einen eigentlich tief verunsicherten Menschen, der sein schwaches Selbstbild zu kompensieren sucht.

Für die Betroffenen ist der eigene Narzissmus kein Problem, ihnen geht es ja blendend. Aber niemand ist eine Insel, selbst ein Narziss nicht. Sondern auch er wird irgendwann kooperieren, sich verbinden oder Partnerschaften eingehen wollen.

"Narzissten wirken sehr attraktiv und können außerordentlich charmant um einen Partner werben und ihn für sich einnehmen", sagt Bierhoff. Allerdings strauchelt der Narziss dabei, die Beziehung zu erhalten und zu pflegen.

Partnerschaften, die idealerweise auch dazu dienen, Schwächen des anderen zu tragen und zu würdigen, sind ihm deshalb ein Gräuel. Bierhoff hat Studierende dazu befragt. Er ermittelte anhand eines Fragebogens zunächst ihren Narzissmus.

Dann fragte Bierhoff die Probanden, wonach sie die Attraktivität ihrer Partner beurteilen. Das Ergebnis: Die Rolle von Status, Bildung oder Einkommen des Partners war erstaunlich dominant.

"Wir haben dabei festgestellt, dass narzisstische Partner ihre Attraktivität deutlich überschätzen", so Bierhoff.

Kein Wir-Gefühl, kein Vertrauen

Beziehungen mit Narzissten sind sehr schwierig, resümiert Bierhoff. Solange der Partner den eigenen Zielen des Narzissten dient, ist er willkommen, wird er unnütz, wird er fallen gelassen.

Bierhoff spricht hier sogar von "Ausbeutung" des Partners oder der Partnerin. Wir-Gefühl, wahre Intimität und tiefes Vertrauen - Fehlanzeige.

Narzissten gehen eher auf Distanz, möchten von ihrem Partner bewundert werden, und sind dabei eifersüchtig, besitzergreifend bis ausbeuterisch, meint Bierhoff. "Selbstwertsteigerung ist und bleibt ihr oberstes Ziel."

"Beziehungen mit Narzissten sind eher unglücklich und unbeständig", so Bierhoff. "Da gibt es auch immer die Alternative der Trennung." Cristiano Ronaldos Liebesleben scheint die These zu bestätigen. Ihm werden viele schnell wechselnde Amouren nachgesagt.

"Nur selten suchen Narzissten die Hilfe der Psychotherapie, sie haben ja kein offensichtliches Problem", sagt der Psychologe. "Viele Narzissten kommen, weil ihre Partner sie schicken."

Indessen ist der Therapieerfolg oft begrenzt. Doch die Biografie der Narzissten hält Überraschungen bereit. Bierhoff: "Manchmal, wenn Narzissten altern, kann es sein, dass sie sich zum Beispiel in soziale Projekte einbringen. Denn ältere Narzissten sind typischerweise weniger narzisstisch als jüngere."

Selbst bei Cristiano Ronaldo scheint es eine Art Läuterung gegeben zu haben. Er spiele inzwischen viel mannschaftsdienlicher, hat laut "SZ" ein englischer Fußballexperte gesagt.

Hans-Werner Bierhoff, Michael Jürgen Herner: Narzissmus - die Wiederkehr, Verlag Hans Huber. ISBN 978-3456847511

Wann ist ein Mensch narzisstisch veranlagt?

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung wird im ICD 10 nur unter der Rubrik "Andere spezifische Persönlichkeitsstörungen

(F 60.8)" aufgeführt. Im Anhang I der ICD-10-Ausgabe "Forschungskriterien" wird sie allerdings weiter charakterisiert.

Mindestens fünf der folgenden Merkmale müssen vorhanden sein:

  • Größengefühl in Bezug auf die eigene Bedeutung (z.B.: die Betroffenen übertreiben ihre Leistungen und Talente, erwarten ohne entsprechende Leistungen als bedeutend angesehen zu werden)
  • Beschäftigung mit Phantasien über unbegrenzten Erfolg, über Macht, Scharfsinn, Schönheit oder die ideale Liebe
  • Innere Überzeugung, "besonders" und einmalig zu sein und nur von anderen besonderen Menschen oder solchen mit einem hohen Status (oder von entsprechenden Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen zusammen sein zu können
  • Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung
  • Anspruchshaltung; unbegründete Erwartung besonders günstiger Behandlung oder automatische Erfüllung der Erwartungen
  • Ausnutzung von zwischenmenschlichen Beziehungen, Vorteilsnahme gegenüber anderen, um eigene Ziele zu erreichen
  • Mangel an Empathie; Ablehnung, Gefühle und Bedürfnisse anderer anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren
  • häufiger Neid auf andere oder Überzeugung, andere seien neidisch auf die Betroffenen
  • arrogante, hochmütige Verhaltensweisen und Attitüden.
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