Das WSG - Schmidts Zangengeburt

Erst die Kostendämpfung, dann die Struktur- und Finanzierungsreformen: Die Gesundheitspolitik der großen Koalition kostet schnell Sympathiepunkte bei Ärzten.

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Am 10. Mai 2006 enthüllt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt das Amtsschild an der neuen Zweigstelle des Ministeriums in Berlin.

Am 10. Mai 2006 enthüllt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt das Amtsschild an der neuen Zweigstelle des Ministeriums in Berlin.

© Hinkelbein

1. APRIL 2006. Der Auftakt der schwarz-roten Gesundheitspolitik kommt vielen doch all zu bekannt vor: Mit dem "Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG)" wird wieder ein Kostendämpfungsgesetz Strukturreformen vorgeschaltet.

Von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hieß es 2005 dazu: "Das Versagen der Selbstverwaltung bei der Steuerung der Arzneimittelausgaben erfordert Handeln des Gesetzgebers". Die Arzneikosten waren 2005 um 16 Prozent gestiegen, allerdings, weil der Zwangsrabatt, wie im Gesetz vorgesehen, wieder von 16 auf sechs Prozent sank.

Bonus-Malus-System zur Kostendämpfung

Was den Ministerialen zur Kostendämpfung einfiel, zeugte nicht von Feingefühl: ein Bonus-Malus-System, mit dem Ärzte für die von ihnen veranlassten Arzneiausgaben in die Haftung genommen werden sollten, ihnen aber auch, bei besonders wirtschaftlicher Verordnung, Zusatzhonorare versprach. Die ohnedies gereizte Ärzteschaft reagierte mit gesteigertem Zorn.

Dass die Politik sie in Verdacht brachte, zum eigenen Vorteil auf Kosten der Patienten an Arzneimitteln zu sparen, vergiftete die Atmosphäre weiter. Faktisch blieb die Bonus-Malus-Regelung, obwohl sie Gesetz wurde, mangels Ausgestaltung durch die Selbstverwaltung nahezu ohne Wirksamkeit. Ein bürokratischer Papiertiger, ein Pappkamerad für Propagandisten.

Als wirksam und konstruktiv erwies sich hingegen ein Vorstoß der Krankenkassen: Preisgrenzen deutlich unterhalb der Festbeträge zu definieren, bei denen Patienten keine Zuzahlungen mehr leisten müssen. Das befeuerte den Wettbewerb der Generika-Hersteller - sowohl Kassen wie auch Patienten sparten Geld.

Union und SPD mit völlig konträren Vorstellungen

Weitaus mühseliger gingen die Beratungen zur Struktur- und Finanzreform vonstatten. Der Grund: Union und SPD hatten völlig konträre Vorstellungen. Die Union (außer Ex-Gesundheitsminister Seehofer) propagierte eine Kopfpauschale, für die eine Kommission unter der Leitung von Ex-Bundespräsident Roman Herzog ein Konzept entwickelt hatte. 160 Euro Prämie für alle, Sozialausgleich übers Steuersystem.

Schwer verständlich und scheinbar unsozial. Die SPD machte daraus: Generaldirektor und Sekretärin bezahlen für ihre Gesundheit das Gleiche. Und stellte dem das charmant wirkende Konzept der Bürgerversicherung für alle entgegen.

Im Frühjahr 2006 setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel eine 16 köpfige Kommission von Fachpolitikern ein, die bis Juli ein Konzept erarbeiten sollte. Heraus kam dabei nichts, außer einer Menge halbgarer Papiere, die genüsslich in der Öffentlichkeit zerlegt wurden.

Erst ein Papier des Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder skizzierte die Lösung: ein Gesundheitsfonds, der sich aus den Beiträgen der Kassen, einem speziellen Zusatzbeitrag der Versicherten allein und Steuerzuschüssen speist, sollte das Geld unter den Kassen entsprechend der bei ihnen versicherten Morbidität verteilen.

Das wenig elegante Modell trug alle Züge eines Kompromisses und erntete überwiegend Kritik. "Eine Missgeburt" schimpfte der Wirtschaftsweise Bert Rürup. Bürokratische Monster sahen die Ärztevertreter. DAK-Chef Rebscher fürchtete den Ruin der Kassen.

Tatsächlich bestand der Fonds die Nagelprobe im Konjunkturtal 2009 und bescherte der Gesundheitswirtschaft Finanzstabilität. Erst langsam wurde wahrgenommen, dass die Politik einen Paradigmenwechsel vorgenommen hatte: von der einnahmenorientierten zur morbiditätsorientierten Ausgabenpolitik. (bee/HL)

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