Der Staat zerfällt, Bürger organisieren sich

Mit dem Fall der Mauer beginnt die rasante Erosion staatlicher Institutionen der DDR. Bereits in den ersten Monaten 1990 wird klar: Die DDR steht vor der Abwicklung. Die Arbeit an der ärztlichen Selbstverwaltung beginnt. Schon im Januar 1990 gründen Ärzte freie Verbände.

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Demonstration von Ärzten und Krankenschwestern im Januar 1990 in Ost-Berlin. Mehr Gehalt, bessere Arbeitsbedingungen.

Demonstration von Ärzten und Krankenschwestern im Januar 1990 in Ost-Berlin. Mehr Gehalt, bessere Arbeitsbedingungen.

© Ärzte Zeitung 22.1.1990

Bonn, 14. Februar 1990. Besuch des DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow und 17 seiner Kabinettsmitglieder in der Bundeshauptstadt. Bundeskanzler Helmut Kohl erklärt vor der Bundespressekonferenz, er halte die Einheit nun für möglich. Und bietet Verhandlungen über eine Währungsunion an.

Modrow und seine Kabinettskollegen wirken wie versteinert. Er hat ganz handfeste Sorgen. Seit Jahresbeginn sind 85.000 DDR-Bürger in die Bundesrepublik übergesiedelt. Modrow fürchtet um den Ausverkauf der DDR.

"Bei allen Stufen einer Vereinigung müssen die vorhandenen sozialen Leistungen meines Landes berücksichtigt werden." Für ihn sind das die billige Krankenversicherung, die sichere Rente, die Rechte der Arbeitnehmer. Nötig sei ein Solidarbeitrag von 14 Milliarden DM. Bundesfinanzminister Theo Waigel stellt 400 Millionen DM in Aussicht. Schlußendlich werden es 200 Milliarden DM - jedes Jahr, bis heute.

Mit Illusionen oder Lügen - "Wir haben eine ganz hervorragende Sozialgesetzgebung" - stolpert der letzte SED-Ministerpräsident durch die Realität. Wirtschaftlich steht die DDR mit dem Rücken zur Wand. Der Zerfall der einst rigiden staatlichen Autorität ist im Wochenrhythmus zu beobachten.

Bürger gehen in den Westen

In Heerscharen verlassen Bürger das Land nach Westen. Bereits am 11. Januar hatte Bundeskanzler Helmut Kohl an die Büger der DDR appelliert: Bleibt zu Hause in der Heimat!" Und "Meine Aufmerksamkeit gilt den Landsleuten in der DDR und der Verbesserung ihrer Situation."

Es kommt erneut zu Demonstrationen: Mehr Geld oder wir gehen. Die erste Hilfe kommt nicht vom Staat. Sie kommt von vielen Initiativen von Ärzten, von Landesärztekammern, von Ärzteverbänden. Bereits im Januar gründet sich auf Initiative von Professor Harald Mau von der Charité der NAV-Virchowbund.

Gegenbewegung aus der Provinz und Furcht vor alter Ost-Berliner Dominanz: In Dresden, Leipzig und anderen Städten bilden sich lokale, regionale Ärztevereinigungen, und sie plädieren klar für föderale Strukturen.

Während die staatlichen Institutionen in rasantem Tempo erodieren, machen Ärzte von ihrem Bürgerrecht Gebrauch und beginnen, ihre Selbstverwaltung zu organisieren. (HL)

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