"Ärzte sind mittlerweile Allokations-Jongleure"

Die Arzt-Patienten-Beziehung wird durch den Einfluss der Politik stark belastet. Die Ökonomisierung ist längst in den Arztpraxen angekommen. Das führt zur Einschränkung der Therapiefreiheit, sagt Professor Jörg-D. Hoppe, Chef der Bundesärztekammer, im Interview mit der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: Der Einfluss der Politik auf das Arzt-Patienten-Verhältnis wird immer größer. Traut die Politik den Ärzten nicht mehr?

Hoppe: Die Politik will durchsteuern. Sie sagt zwar, sie wolle die Arzt-Patienten-Beziehung menschlich nicht belasten, tut es dann aber doch indirekt. Seit Jahren ist zu beobachten, dass sie durch eine Vielzahl von Vorschriften und Regelungen auf das konkrete Behandlungsgeschehen Einfluss nimmt. Die Therapiefreiheit wird massiv eingeschränkt. Auf Dauer kann so etwas nicht gut gehen.

Ärzte Zeitung: Sie sprechen damit die Ökonomisierung der Medizin an: Geben Ärzte diesen wirtschaftlichen Druck an ihre Patienten weiter?

Hoppe: Ärzte sind mittlerweile zu Allokations-Jongleuren geworden. Für jeden Patienten gibt es eine bestimmte Geldmenge, das Regelleistungsvolumen, das durch einzelne Zusatzuntersuchungen aufgebessert werden kann. Aufgrund der knappen Mittel sind Ärzte auch gezwungen, bei manch einem Patienten zu sparen - wenn das im Einzelfall überhaupt geht -, um damit die notwendigen Leistungen bei anderen Patienten erbringen zu können. Das war früher völlig anders.

Ärzte Zeitung: In diesem Zusammenhang wird immer wieder betont, dass den Ärzten mehr Geld für die ambulante Versorgung zur Verfügung gestellt worden sei. Was sagen Sie dazu?

Hoppe: Seit Jahrzehnten liegt der Anteil der Ausgaben für die ambulante Versorgung am Bruttoinlandsprodukt bei etwa sechs Prozent. Ebenso sind die Einkünfte der Niedergelassenen seit Jahren an die Entwicklung der Grundlohnsumme gebunden und damit abkoppelt von der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung. Die drei Milliarden Euro sind daher auf keinen Fall genug, zumal sie auf 2007 aufsetzen. Die aktuelle Situation in Baden-Württemberg zeigt ja ein ganz anderes Bild: Hier haben alle Fachgruppen mehr oder minder Honorareinbußen hinnehmen müssen.

Ärzte Zeitung: Welche Möglichkeiten der politischen Einflussnahme auf solche Vorgänge hat die Ärzteschaft oder haben auch Ärztetage?

Hoppe: Nicht die, die wir uns wünschen, vor allem, wenn es für die Politik unbequem wird.

Ärzte Zeitung: . . .woran denken Sie dabei?

Hoppe: Ich denke an das Ulmer Papier, die gesundheitspolitischen Leitsätze der Ärzte. Es wird zwar von der Politik zur Kenntnis genommen, die wesentlichen Analysen aber werden verdrängt. Im vorpolitischen Raum und in der Wissenschaft dagegen wird das Papier intensiv diskutiert - von Gesundheitsökonomen, Medizinrechtlern und Ethikern. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich das Papier als richtige Wegweisung durchsetzen wird. Unsere Analyse wird jeden Tag durch die Versorgungsrealität bestätigt. Deshalb wird sich die Politik damit auseinandersetzen müssen. Man kann das jetzt schon an der Diskussion um heimliche Rationierung erkennen. Wir waren es, die das Thema 2008 in Ulm in die Öffentlichkeit getragen haben.

Ärzte Zeitung: Bei wem in der Politik finden Sie am ehesten noch Gehör?

Hoppe: Wohl am ehesten bei der FDP. Hier gibt es noch eine große Schnittmenge zwischen Politik und Ärzten. Die CDU wird sich ernsthaft Sorgen machen müssen, dass sie Stimmen von den Ärzten, ja von den Freiberuflern insgesamt verliert.

Ärzte Zeitung: Nun gibt es ja nicht nur Negatives aus der Gesundheitspolitik zu berichten - das wäre sicherlich fatal mit Blick auf den Nachwuchs. Wo liegen die Chancen?

Hoppe: Zunächst einmal, die klassische Einzelpraxis in der bisherigen Form wird an Bedeutung verlieren. Die Kollegen werden mehr und mehr auf Kooperationen setzen müssen. Ich denke auch, dass die ambulante Versorgung künftig durch eine starke hausärztliche Versorgung geprägt sein wird. Die generelle fachärztliche Versorgung wird ebenfalls weiter in der ambulanten Breite stattfinden. Für die spezialisierte Versorgung sehe ich vor allem aber auch diejenigen Kooperationsmöglichkeiten, die durch das neue Vertragsarztrecht geschaffen worden sind.

Ärzte Zeitung: Mittlerweile stellen Ärztinnen einen Anteil an der Gesamtzahl der berufstätigen Ärzte von 41,5 Prozent. Wie reagiert die Bundesärztekammer darauf - auch in der Zusammensetzung der Gremien?

Hoppe: Wir hoffen auf eine starke Beteiligung der Frauen. Wenn sich die Ärztinnen dann auch alle melden würden, wären sie viel stärker als bisher in den Einrichtungen der Selbstverwaltung vertreten - ich bin sicher, das kommt noch. Was die konkrete Berufsausübung angeht, da bin ich überzeugt, dass wir immer mehr Ärztinnen brauchen werden, um die künftige Versorgung sicherzustellen.

Ärzte Zeitung: Die Zahl kritischer Medienberichte über Ärzte hat zugenommen. Kippt das Meinungsbild über Ärzte in der Öffentlichkeit?

Hoppe: Das glaube ich nicht. Die Unzufriedenheit der Ärzte wird wahrgenommen. Für die Misere im Gesundheitswesen werden aber nicht die Ärzte verantwortlich gemacht. Natürlich müssen wir weiterhin auf ein differenziertes Meinungsbild in den Medien achten. Das ist aber nicht immer ganz einfach, wenn man etwa an die Vielstimmigkeit im niedergelassenen Bereich denkt. Auch die Aktionen einiger weniger Ärzte, die meinten, Vorkasse von ihren Patenten verlangen zu müssen, haben unserem Anliegen erheblich geschadet.

Ärzte Zeitung: Am 27. September ist Bundestagswahl: Wie viel "Einmischung" können, wie viel "Einmischung" sollen Ärzte vor der Wahl aus Ihrer Sicht praktizieren?

Hoppe: Ärzte sollten sich dann äußern, wenn die Patientenversorgung gefährdet ist oder wenn Patienten durch die Gesundheitspolitik Nachteile erleiden. Eine Wahlempfehlung allgemeiner Art auszusprechen, ist nicht Sache der Ärzte.

Das Interview führte

Wolfgang van den Bergh

Professor Jörg- Dietrich Hoppe

Geboren: 24. Oktober 1940 in Thorn/Weichsel

Ausbildung: 1960 bis 1965 Medizinstudium, 1975 Weiterbildung Pathologie und Allgemeinmedizin; 1982 bis 2006 Chefarzt am Institut für Pathologie in Düren; seither niedergelassener Pathologe;

Werdegang: seit 1975 Mitglied im BÄK-Vorstand; 1991 Vize-Chef der BÄK, seit 1993 Kammer-Präsident in Nordrhein; seit 1999 Präsident der BÄK;

Hobbys: eine große Vorliebe für klassische Musik, spielt selbst Geige

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