Obama triumphiert im Ringen um die US-Gesundheitsreform

Das Repräsentantenhaus gibt grünes Licht für Präsident Obamas umfassende Gesundheitsreform. Die parteipolitischen Gräben im Land sind allerdings noch tiefer geworden.

Von Claudia Pieper Veröffentlicht:

Historisches Dokument? Eine Kopie des Gesetzes mit Unterschriften von Abgeordneten.

Barack Obama hat es geschafft. Nach monatelangem Tauziehen, tiefen Rückschlägen und der Wiederbelebung eines von vielen schon totgeglaubten Gesetzgebungsprozesses ist die Gesundheitsreform des amerikanischen Präsidenten jetzt doch noch Realität geworden.

Obama hat damit das oberste Ziel seiner Präsidentschaft erreicht. Zu verdanken hat er das nicht zuletzt den Führern seiner Partei, die bis zum Schluß unermüdlich daran arbeiteten, die notwendigen Stimmen für eine Verabschiedung zusammenzutrommeln. Das Ergebnis ist eine der ehrgeizigsten sozialen Reformen, auf die die USA in ihrer parlamentarischen Geschichte zurückblicken können. 95 Prozent der Bürger sollen künftig in den Genuss einer stabilen Krankenversicherung kommen.

Die Reform bringt im Detail:

  • eine individuelle Versicherungspflicht für die meisten Amerikaner und Geldstrafen für diejenigen, die sich dieser Pflicht entziehen;
  • Finanzhilfen für viele Bürger, die sich eine Versicherung auf eigene Kosten nicht leisten können;
  • eine Arbeitgeberbeteiligung: Unternehmen mit mindestens 50 Angestellten müssen ihren Mitarbeitern eine Versicherung anbieten oder bei Unterlassung Sanktionen in Kauf nehmen;
  • eine Kontrahierungspflicht der Versicherungen: Sie dürfen Menschen nicht mehr wegen Alter, Krankheit oder Gesundheitsrisiken ablehnen oder ihnen entsprechend unerschwingliche und/oder begrenzte Policen anbieten.

Die am Sonntag vom Unterhaus verabschiedete Reform soll 940 Milliarden Dollar binnen zehn Jahren kosten. Den Parlamentariern war aber kurz vor der Debatte vom unparteiischen Congressional Budget Office bestätigt worden, dass die Maßnahmen in den nächsten zehn Jahren das Defizit um 138 Milliarden verringern würden.

Geschafft: Haus-Sprecherin Nancy Pelosi lacht mit demokratischen Parteifreunden nach der Entscheidung im Repräsentantenhaus. © dpa (2)

Geschafft: Haus-Sprecherin Nancy Pelosi lacht mit demokratischen Parteifreunden nach der Entscheidung im Repräsentantenhaus. © dpa (2)

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Trotz dieser Zahlen ist es Obama und seiner Partei nicht gelungen, auch nur eine einzige republikanische Stimme für ihr Reformpaket zu gewinnen. Die Opposition hat die Gesetzesvorlagen bis zuletzt als zu teuer und unpopulär verschrieen. Ihr Hauptargument war, dass die Reform der Regierung zu viel Kontrolle über das Gesundheits- und Versicherungswesen einräumt. Die Republikaner hatten aber keinen eigenen Reformvorschlag, der einer signifikanten Zahl der fast 50 Millionen Nicht-Versicherten eine verläßliche Gesundheitsversorgung gebracht hätte.

Die Demokraten haben Mut gezeigt, indem sie die Reform trotz der vergifteten Atmosphäre durchboxten. Einige Mitgliedern des Kongresses könnte dieser Mut in den Novemberwahlen teuer zu stehen kommen. Die meisten Abgeordneten sind aber zuletzt ihrer Parteiführung gefolgt. Ein Scheitern der Reform hätte Demokraten und vielen US-Bürgern noch größeren Schaden zugefügt.

Chronologie: Der steinige Weg zur Reform

24. Februar 2009: Präsident Obama fordert den Kongreß auf, eine Gesundheitsreform zur Priorität zu machen.

5. März 2009: Obama hält einen Gesundheitsgipfel mit Parteien und Entscheidungsträgern.

13. Mai 2009: Die Sprecherin des Abgeordnetenhauses Nancy Pelosi prognosztiziert eine Gesetzesvorlage vor August 2009.

31. Juli 2009: Das Abgeordnetenhaus geht in die Sommerpause, ohne eine Reform verabschiedet zu haben. Drei Ausschüsse haben aber Vorlagen abgesegnet.

August 2009: Kongreßabgeordnete werden in "Town Hall Meetings" mit gegen die Reform aufgewiegelten Bürgern konfrontiert.

25. August 2009: Senator Edward Kennedy stirbt.

26/29. Oktober 2009: Senat und Repräsentantenhaus kombinieren mehrere Ausschußvorlagen.

7. November 2009: Das Repräsentantenhaus verabschiedet seine Reformversion.

Dezember 2009: Um genügend Stimmen hinter ihrem Reformpaket zu vereinen, verzichten Senatsführer auf das Konzept einer öffentlichen Versicherung.

24. Dezember 2009: Der Senat stimmt 60 zu 39 für das Reformpaket ab. Differenzen zwischen den beiden Gesetzesvorlagen machen Verhandlungen zwischen Ober- und Unterhaus notwendig.

19. Januar 2010: Der Republikaner Scott Brown gewinnt den Senatssitz von Edward Kennedy. Die Demokraten verlieren damit die Supermehrheit im Senat und ihre Fähigkeit, Dauerdebatten zu stoppen. Die Demokraten brechen ihre Kompromißverhandlungen ab.

7. Februar 2010: Präsident Obama lädt Vertreter beider Parteien zu einem im Fernsehen übertragenen Gesundheitsgipfel ein.

22. Februar 2010: Präsident Obama veröffentlicht seinen eigenen Reformvorschlag, der einen Kompromiss zwischen Ober- und Unterhausversionen anstrebt.

3. März 2010: Obama drängt vor der Presse auf eine Abstimmung und lehnt einen Neubeginn des Reformprozesses ab.

18. März 2010: Obama sagt seine Auslandsreise mit Blick auf die Entscheidung ab.

21. März 2010: Die Demokraten im Unterhaus sichern genug Stimmen, indem Obama Abtreibungsgegnern in seiner Partei Konzessionen verspricht. Das Repräsentantenhaus stimmt für die Reformversion des Senats ab, verabschiedet aber zusätzlich ein Paket mit Veränderungen, das wiederum den Senat passieren muß. Der Senat plant dazu eine Verfahrenstaktik, die lediglich eine einfache Mehrheit notwendig macht.

In den nächsten Tagen: Das vom Unterhaus verabschiedete Paket mit Änderungen muss vom Senat abgesegnet werden. (cp)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Die Lehren aus der Obama-Reform

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