Bahr: "Mehr Geld für Ärzte als Arzneien"

Zwei Milliarden Euro könnte die frühe Nutzenbewertung bei den Arzneien einsparen. Die Industrie fürchtet um ihre Innovationen. Im Interview spricht Gesundheitsminister Daniel Bahr über Chancen, neidische Blicke und die Apotheke der Welt.

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Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr im Gespräch mit Helmut Laschet von der "Ärzte Zeitung".

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr im Gespräch mit Helmut Laschet von der "Ärzte Zeitung".

© Bert Spangemacher

Ärzte Zeitung: Herr Minister, haben Sie damit gerechnet, dass als Folge der frühen Nutzenbewertung manche Innovationen in Deutschland nicht zur Verfügung stehen?

Bahr: Ihre Frage setzt die Kenntnis darüber voraus, dass das wirklich Innovationen sind, die besser sind als das, was bereits zur Verfügung steht.

Ärzte Zeitung: Das weiß bei Innovationen in der Tat niemand. Es geht um die Chance für einen Mehrwert.

Bahr: Spannend ist, dass die Unternehmen, die entschieden haben, nicht in den deutschen Markt zu gehen, das betreffende Produkt in Ländern einführen, die viel schärfere Kriterien praktizieren. Offenbar spielen auch andere Kriterien eine Rolle.

Unser Gesetz ist ein richtiger Rahmen, der neuen Medikamenten eine faire Chance gibt. Wir haben einen Interessenausgleich gefunden: Innovationen stehen sofort in der Versorgung zur Verfügung - aber ein Zusatznutzen muss auch bewiesen werden; und dann kommt es zu Preisverhandlungen.

Wir beobachten sorgfältig, wie das Gesetz angewandt wird. Ich habe den Vorsitzenden des GBA, Herrn Dr. Hess, außerdem beauftragt, Anfang 2012, durch unser Ministerium begleitet, dazu ein großes Symposion zu organisieren.

Ärzte Zeitung: Müssen Ärzte mit Therapieeinschränkungen rechnen?

Bahr: Nein. Wir stehen für die Therapiefreiheit. Wir haben ja die vierte Hürde, die SPD und Grüne auf ihren Parteitagen gerade beschlossen haben, verhindert. Wir sagen: Innovationen sollen schnell zur Verfügung stehen. Aber das darf kein Freifahrtsschein für die Pharma-Industrie sein.

Es ist unser Erfolg, dass erstmals seit Langem wieder mehr Geld für die ärztliche Behandlung zur Verfügung steht als für Arzneimittel. Das haben wir mit dem AMNOG erreicht.

Ärzte Zeitung: Ist es fair, wenn eine aktuell entwickelte Innovation mit einem generischen Arzneimittel, das vor 30 Jahren entwickelt worden ist, verglichen wird?

Bahr: Für die Frage des Zusatznutzens ist das kein Problem. Im Gegenteil: Es gibt es neuen Arzneimitteln mehr Chancen, dass es einen Zusatznutzen im Vergleich zu einer sehr viel älteren Substanz hat.

Was die Unternehmen beschäftigt, ist die Frage des fairen Preises. Hierzu fehlen uns noch Erfahrungen. Ich sage allen: Lassen Sie uns die Erfahrungen sachlich auswerten und dann überlegen, ob etwas nachgebessert werden muss.

Ärzte Zeitung: Die Vorgabe ist klar: Zwei Milliarden Euro Einsparungen.

Bahr: Das wurde durch die kurzfristigen Maßnahmen erreicht, ist aber keine Vorgabe im Gesetz.

Ärzte Zeitung: Wie denkt denn heute Philipp Rösler als Bundeswirtschaftsminister über sein Gesetz?

Bahr: Genauso wie sein Vorgänger Rainer Brüderle. Denn der hat das Gesetz als Wirtschaftsminister mitunterstützt.

Ärzte Zeitung: Kein Risiko für den Forschungs- und Produktionsstandort Deutschland, der schon in der Vergangenheit weltweit an Bedeutung verloren hat?

Bahr: Wir sind seit Langem nicht mehr die Apotheke der Welt. Aber: Deutschland hat eine große Bedeutung in der klinischen Forschung; das bestätigen mir viele Unternehmen. Andererseits ist der deutsche Markt einer der bedeutendsten und in Europa der Leitmarkt.

Und ich halte fest: Kein Land hat einen so offenen Zugang zu Innovationen. Andere Länder schauen mit Interesse auf das AMNOG und prüfen eine Übernahme.

Das Interview führten Helmut Laschet, Sunna Gieseke und Wolfgang van den Bergh.

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