Health-Apps

Einbahnstraße zur digitalen Zwei-Klassen-Medizin?

Digital Health verspricht dem medizinischen Versorgungsalltag viel Unterstützung. Sie bergen aber auch die Gefahr, dass besonders bildungsferne Schichten noch mehr von der Versorgung abgehängt werden.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Einbahnstraße zur digitalen Zwei-Klassen-Medizin?

© Ärzte Zeitung

BERLIN. Der Markt der Gesundheits-Apps wächst und differenziert sich aus. Das zeigt der EPatient-Survey, der mit knapp 8800 Teilnehmern die größte anonyme Online-Befragung zum Thema darstellt. Um sieben Prozentpunkte stieg die Verbreitung digitaler Gesundheitsanwendungen im vergangenen Jahr – 18 Prozent der Studienteilnehmer nutzten demnach Medikamenten-Apps.

Zwölf Prozent wandten Diagnostik-Apps an, das waren doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Die ärztliche Online-Zweitmeinung wurde von zehn Prozent der Umfrageteilnehmer genutzt – zwei Prozentpunkte mehr als 2018. Dagegen ist die Online-Gesundheitsakte mit vier Prozent noch vergleichsweise wenig verbreitet – der Zuspruch stieg jedoch binnen Jahresfrist um 100 Prozent.

Bei der Verbreitung digitaler Therapieangebote spielen Ärzte und Krankenkassen eine wachsende Rolle. Ein Viertel der Nutzer hat ihre App entweder von Ärzten (neun Prozent) oder von Krankenkassen (16 Prozent) empfohlen bekommen. Das entspricht auch den Wünschen der Anwender.

Einweisung durch Fachpersonal entscheidend

30 Prozent der Studienteilnehmer gaben an, dass sie sich wünschen würden, von einer medizinischen Fachkraft in die App-Nutzung eingewiesen zu werden. Eine solche Einweisung steigert auch die Compliance. Laut Dr. Alexander Schachinger, Geschäftsführer der EPatient Analytics, brechen 90 bis 95 Prozent der Nutzer die Anwendung von Therapie-Apps nach vier bis sechs Wochen ab.

Die Abbruchquote sinke auf 40 Prozent, wenn eine Fachkraft die Anwendung erklärt.

Zudem stellt der Survey Konzentrationsbewegungen am Markt fest. In bestimmten Teilsegmenten sind Schachinger zufolge Tendenzen zu marktbeherrschenden Stellungen einzelner Lösungen erkennbar. Attraktiv sind demnach vor allem solche Apps, die ein persönliches Assessment und individuell zugeschnittene Dienste anbieten. Schachinger zeigte sich von den Zuwachsraten im Markt überrascht.

Er sieht Politik und Selbstverwaltung im Gesundheitswesen unter Druck. „Da entsteht ein dynamischer Markt, bevor das System eine Lösung hat“, sagte er bei der Präsentation der Ergebnisse am Montag in Berlin. „Wenn es so weitergeht, ist digitale Gesundheit eine vollendete Tatsache, bevor Top-Down-Lösungen da sind“, so Schachinger weiter.

Er warnte auch vor digitaler Zwei-Klassen-Medizin. Den Angaben zufolge nutzen zwar 35 bis 40 Prozent der Frauen über 65 Jahre mit Hochschulabschluss ein Smartphone, aber nur fünf bis sieben Prozent der über 65-jährigen Frauen mit Hauptschulabschluss. Angemessene Schulungsmodelle und ein nationales Infoportal für digitale Gesundheitslösungen forderte daher Gerlinde Bendzuck von der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin in der Diskussion zu den Survey-Ergebnissen.

„Die Unterstützung seitens des Fachpersonals halte ich für extrem wichtig“, sagte die Patientenvertreterin. Die Ärztin und App-Entwicklerin Dr. Maike Henningsen unterstützte diese Auffassung. „Man kann Patienten nicht mit einer App allein lassen“, sagte sie. Sie forderte aber auch, dass Beratungsgespräche in diesem Kontext finanziert werden müssen.

Bildungsoffensive gefordert

Darüber hinaus ist aus ihrer Sicht eine Aus- und Fortbildungsoffensive für Mediziner bei Digital-Health-Anwendungen nötig. Henningsen geht davon aus, dass sich das Berufsbild der Ärzte ändern wird. „Wir müssen Ärzte befähigen, selbst Apps zu evaluieren“, forderte sie mit Blick darauf, dass Apps beim Markteintritt oft wissenschaftliche Evidenz vermissen lassen.

Dr. Henrik Matthies, Managing Director des Health Innovation Hub beim Bundesgesundheitsministerium, verwies auf die Vielzahl kleiner Pilotprojekte und Selektivverträge in diesem Feld. „Da ist schon viel Evidenz geschaffen worden“, sagte er. Er forderte, die Evidenz mitzuliefern, wenn Lösungen im Kleinen ausprobiert werden, und zeigte sich zuversichtlich, dass die politische Regulierung in den kommenden Jahren enorm aufholen wird.

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