Medizinstudentin

Als Helferin im Flüchtlingscamp auf Lesbos

Medizinstudentin Andia Mirbagheri berichtet von ihren Erfahrungen als Freiwillige in einer NGO-betriebenen Klinik im Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos.

Von Andia Mirbagheri Veröffentlicht:
Zwei Patienten zeigen ihre Bäuche im Untersuchungszelt des Flüchtlingscamps Moria auf der griechischen Insel Lesbos.

Zwei Patienten zeigen ihre Bäuche im Untersuchungszelt des Flüchtlingscamps Moria auf der griechischen Insel Lesbos.

© Rick Alberigs/www.rickalberigs.com

LESBOS. In Deutschland ist die Ehe für alle seit 2017 Realität. In anderen Ländern steht Homosexualität noch immer unter Todesstrafe – und Menschen fliehen, um ihr Leben zu retten. Patienten mit solchen Geschichten sind Alltag in Moria, einem ehemaligen Gefängnis und heute Griechenlands berüchtigtes Flüchtlingscamp.

Ebenfalls zum Alltag gehören Menschen, die erzählen, wie ihre Familie und Freunde vor ihren Augen ermordet oder vergewaltigt worden sind. Sie erzählen, wie sie vor dem Krieg geflohen sind, von Steinen getroffen wurden. Wie ihr gesamtes Hab und Gut im Meer verschwand.

Ich war mit ERCI (Emergency Response Centre International) vor Ort, einer griechischen NGO, die seit letztem Jahr eine Klinik in Moria betreibt. Ich bin über Facebook auf die NGO gestoßen, weil händeringend nach Farsi-und Französischsprechern und Medizinstudenten gesucht wurde. Und da dies alles auf mich zutraf, fand ich es nur logisch, nach Griechenland aufzubrechen.

Die Erfahrung war sehr intensiv. Man kann sich nicht vorstellen, wie es ist, in einem kleinen Ferienzelt zu hausen, während es draußen stark regnet, stürmt oder schneit. Die Menschen teilen sich mit 14 Anderen ein Zelt. Sie haben kein Geld, keine Kleidung, keine Adresse, gar nichts.

Eine ältere Patientin klagte über Diabetes, Bluthochdruck und Hypercholesterinämie. In einer deutschen Arztpraxis eine typische chronische Patientin, in Moria war es allerdings ein abenteuerliches Unternehmen, die richtigen Medikamente zusammenzusuchen. Wir hatten nur wenige Blutdruckmessgeräte, keines der Blutzuckermessgeräte funktionierte und Insulin ist viel zu teuer, wie mir der griechische Arzt erzählte, der neben seiner klinischen Tätigkeit in Moria nebenbei noch in der Rettungsstelle von Lesbos‘ einzigem Krankenhaus arbeitet. Alle meine Patienten, die ich in den zwei Wochen auf Lesbos gesehen habe, hatten zumindest Züge einer Posttraumatischen Belastungsstörung – Psychologen und Psychiater sind rares Gut. Das ist nachvollziehbar, wenn man sich vorstellt, eine kompetente Fachkraft auf unbezahlter Basis einzustellen, die obendrein am besten muttersprachlich Arabisch, Farsi, Französisch und am besten auch noch Lingala (Dialekt der Demokratischen Republik Kongo) spricht. Viele psychiatrische Patienten verletzen sich selbst in der Hoffnung, dass sie zur Behandlung woanders hingebracht werden, zum Beispiel aufs Festland nach Athen, weil man von dort viel einfacher in andere europäische Länder reisen kann. Das ist aber ein Irrglaube, denn denen, die sich selbst verletzen, können wir nicht mehr helfen als den anderen.

Die zwei Wochen, die ich in Moria verbracht habe, haben mir eines gezeigt: Die Flüchtlingskrise ist nicht vorbei, nur weil die Medien nicht mehr berichten.Ursprünglich war Moria nur als Transitstelle für Geflüchtete auf dem Weg nach Europa gedacht, jetzt leben die meisten hier mindestens drei bis vier Monate, wenn nicht ein ganzes Jahr. Im Jahre 2017 sind dort über 7000 Flüchtlinge angekommen, obwohl das Camp nur für etwa 2300 ausgelegt ist. Der Lebensstandard ist weit unter dem, was wir uns in unseren beheizten, möblierten Zimmern vorstellen. Die Zelte sind nicht wasserdicht, es gibt kein warmes Wasser und mir wurde berichtete, dass selbst die Hunde das Essen nicht anrührten.

Einige Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen zogen sich bereits aus Protest aus dem Camp zurück, um nicht Teil eines Systems zu sein, welches keinerlei Rücksicht auf die humanitären Bedürfnisse oder die Schutzbedürfnisse von Asylsuchenden und Migranten nehme, wie es in der offiziellen Stellungnahme heißt . Mittlerweile hat die Organisation eine mobile Kinderklinik außerhalb des offiziellen Campgeländes eröffnet, um wenigstens jungen Patienten bis 16 Jahren zu helfen .

Trotz solcher Proteste existiert das Camp Moria noch immer und die kleine Klinik, in der ich über Weihnachten und Neujahr aushalf, arbeitet tagtäglich mit ihren Freiwilligen, um das möglich zu machen, was Alltag in jedem deutschen Krankenhaus ist: Patienten zu helfen, wenn auch mit wenigen Ressourcen.

Solange es keine Lösungen der Krisen und Kriege in den Herkunftsländern gibt, wird es weiterhin Geflüchtete geben und Orte wie Moria. Es gibt täglich Gewalt und immer wieder Aufstände, die Menschen sind verzweifelt und möchten endlich ankommen. Irgendwo ankommen, wo sie Krieg und Terror hinter sich lassen können.

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