Interview

"Frauen müssen ihre Ziele höher stecken"

In der Führungsebene der Medizin kommen Frauen nur selten an. In der Rheumatologie sieht das anders aus. Warum das so ist, erklärt Professor Elisabeth Märker-Hermann.

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"Ärztinnen brauchen Vorbilder und Mentoren, die sie ermutigen und ihnen Projekte auch zutrauen." (Professor Elisabeth Märker-Hermann)

"Ärztinnen brauchen Vorbilder und Mentoren, die sie ermutigen und ihnen Projekte auch zutrauen." (Professor Elisabeth Märker-Hermann)

© privat

Die Zahl weiblicher Medizinstudenten steigt seit Jahren, ebenso der Teil der Ärztinnen an der Gesamtzahl berufstätiger Ärzte. Dennoch sind Frauen in den Leitungspositionen selten zu finden. Ist Frauenförderung der Schüssel gegen den drohenden Ärztemangel? Antworten gibt die Rheumatologin Professor Elisabeth Märker-Hermann, Leiterin der Kommission "Wissenschaft - Nachwuchsförderung" der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM).

Frage: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind 12 Prozent der Professorenstellen in der Medizin weiblich besetzt, nur 11 Prozent der leitenden Krankenhausarztstellen entfallen auf Frauen. Frau Professor Märker-Hermann, ist Frauenpower in den Spitzenpositionen der Medizin nicht gefragt?

Professor Elisabeth Märker-Hermann: Ich sehe das nicht so. Gefragt sind Frauen schon. Allerdings gibt es nicht genügend, die die Qualifikationen mitbringen. Das liegt daran, dass sich der Mittelbau, also die Ebene von Facharzt und Forschungsassistenz, nicht durch Habilitation oder Managerkompetenz qualifiziert. Hinzu kommen die Hürden beim Sprung in die entsprechenden Positionen.

Frage: Wie ist die Situation in der Rheumatologie?

Märker-Hermann: Insgesamt sieht es günstiger aus. Leider gibt es nur fünf Lehrstühle in der Rheumatologie, die alle männlich besetzt sind. Aber in den Klinikdirektionen oder im Oberarztbereich arbeiten mehr Frauen als in anderen Bereichen. In meiner Klinik sind es 70 Prozent Frauen und nur 30 Prozent Männer, im Leitungsbereich habe ich zwei weibliche und einen männlichen Oberarzt. Viele Frauen interessieren sich für die Rheumatologie, weil es dort sehr auf menschliche Zuwendung ankommt, aber auch aufs Denken, auf Geduld und die Bereitschaft, langfristig Verantwortung für einen chronisch Kranken zu übernehmen.

Frage: Woran liegt es, dass zwar 60 Prozent der Medizinstudenten Frauen sind, in Praxis oder Wissenschaft aber nur ein Bruchteil ankommt?

Professor Elisabeth Märker-Hermann

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Märker-Hermann: Die Ursache liegt auf der Hand: Die Zeiten von Familienplanung und Facharztausbildung fallen genau zusammen. Wer als Mutter in dieser Zeit halbtags arbeitet, verlängert seine Facharztausbildung und das behindert die Karriereplanung. Viele Frauen arbeiten dann ohne Facharzt weiter - ohne Aufstiegschance, aber dafür mit definierten Arbeitszeiten und einer gewissen beruflichen Absicherung. Das scheint Frauen wichtiger zu sein als eine höhere Bezahlung, wie eine Umfrage des Marburger Bunds ergab.

Frage: Wieso gelangen Frauen scheinbar müheloser in die Leitungsebenen der Rheumatologie?

Märker-Hermann: Die Unterbrechung der Facharztausbildung oder Teilzeitarbeit ist in der Rheumatologie besser möglich als in anderen Fächern. In der Chirurgie etwa müssen Assistenzärzte einen knallharten OP-Katalog einhalten. Es gibt sogar Argumente, die für eine längere Weiterbildungszeit in der Rheumatologie sprechen: mehr Zeit und Gelegenheit, seltene Erkrankungen zu sehen und Erfahrungen zu sammeln - beides braucht man als Rheumatologe.

Frage: Dreht sich die ganze Diskussion eigentlich um Frauen- oder Mütterförderung?

Märker-Hermann: Das lässt sich doch nicht voneinander trennen. Man kann keine Frauen- oder Nachwuchsförderung fordern, ohne diesen Umstand zu berücksichtigen. In einem Positionspapier, an dem ich für die DGIM mitgewirkt habe, fordern wir etwa Stellenpools für Schwangerschafts- und Elternzeitvertretungen in den Kliniken, Unis und Hochschulen. Aber wir fordern und fördern auch, dass Frauen ihre beruflichen Ziele höher stecken. Männer haben in der Regel klare Vorstellungen - und mehr Mut zu sagen, dass sie Klinikdirektor werden oder wissenschaftlich arbeiten wollen.

Frage: Welche weiteren Empfehlungen enthält das Positionspapier?

Märker-Hermann: Es darf in den Ausschreibungen für Stellen oder Wissenschaftspreise keine versteckten Ausschlussmechanismen, wie Altersbegrenzungen, geben. Es ist schon schwierig genug, den Facharzt in der Regelzeit zu schaffen. Daneben experimentelle Laborarbeit oder zwei Jahre ins Ausland - das muss man alles erst mal unter einen Hut kriegen. Mit Kindern steigt die Arbeitsbelastung zusätzlich. Da ist es klar, dass man vielleicht länger braucht.

Frage: Sie erwähnen auch die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft 2008 formuliert hat und die von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen bestätigt wurden. Genügen diese freiwilligen Selbstverpflichtungen?

Märker-Hermann: Es geht nur freiwillig. Ich bin persönlich ein absoluter Gegner von Quoten.

Frage: An welchem Punkt der Karriereleiter machen die Maßnahmen am meisten Sinn?

Märker-Hermann: Sobald es in den Klinikalltag geht, brauchen Frauen Vorbilder und Mentoren, die sie ermutigen, auch Wissenschaft zu machen. Die dafür Sorge tragen, dass sie ein Projekt übernehmen und die ihnen das auch zutrauen. Ich glaube, Frauen müssen expliziter ermutigt werden als Männer. Wenn das in den Köpfen der Arbeitsgruppenleiter und Professoren ankommt, ist der wichtigste Schritt getan. Unabhängig davon planen wir in der DGIM ein Mentoringprogramm für weibliche Nachwuchswissenschaftler - mit Seminaren zu Selbstmarketing oder Networking. Aktuell laufen Gespräche mit Business Schools.

Frage: Macht es Sinn, dieses Konzept auch auf die Rheumatologie zu übertragen?

Märker-Hermann: Hier könnte sich die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) der DGIM anschließen. Denn es geht um generelle Kompetenzen, von denen auch angehende Rheumatologinnen und Nachwuchswissenschaftlerinnen profitieren.

Frage: Gibt es aus Ihrer Sicht weitere Maßnahmen, die die DGRh ergreifen könnte, um Frauen noch gezielter in die Rheumatologie zu holen?

Märker-Hermann: Ohne dass es sicherlich gewollt war, haben wir mit unserer Start-up Initiative Frauen angelockt. In den vergangenen Jahren waren 50 Prozent der Preisträger weiblich und die sind bislang alle in der Wissenschaft geblieben. Damit ist die DGRh auf einem guten Weg - aber auch, weil die Frauen hier ohne Quote zeigen konnten, wie gut sie im normalen Wettbewerb sind. Dieser ‚Start-up‘ ist eine große Motivation, die hilft, DFG-Anträge zu stellen oder sich für ein Auslands-Stipendium zu bewerben.

Frage: Sie sind Direktorin zweier Kliniken an der Wiesbadener Horst-Schmidt-Klinik, Sie haben einen Lehrauftrag der Uni Mainz, Sie forschen, publizieren, engagieren sich in Gremien wissenschaftlich wie standespolitisch - und Sie haben Familie! Wie haben Sie das geschafft?

Märker-Hermann: Ich hatte einen hervorragenden Mentor in den Jahren an der Uniklinik Mainz. Dort hatte ich immer das Gefühl, nach den gleichen Maßstäben gemessen zu werden wie meine männlichen Kollegen. Heute mache ich genau das, was viele Männer in meiner Position machen: Klinikdirektoren sein, publizieren, mich in Gremien und in der Berufspolitik engagieren, gleichzeitig Familie haben und leben. Das geht. Wenn man unterstützt wird - beruflich wie privat.

Nachdruck aus dem Newsletter 2/2010 der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh): http://dgrh.de/fileadmin/media/Die_DGRH/Newsletter/dgrh_newsletter_q2_2010.pdf

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