Gastbeitrag

Kassieren Krankenkassen doppelt bei Regressen?

Können die Kassen doppelt profitieren - von der Wirtschaftlichkeitsprüfung in der Praxis und der Retaxierung bei Apotheken? Ausgeschlossen ist das nicht.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Vorsicht Regress: Im schlimmsten Fall trifft ein und dieselbe Verordnung sowohl Arzt als auch Apotheker.

Vorsicht Regress: Im schlimmsten Fall trifft ein und dieselbe Verordnung sowohl Arzt als auch Apotheker.

© BilderBox | [M] sth

Verordnet ein Arzt eine in Deutschland nicht zugelassene Arznei zu Lasten der gesetzlichen Kassen, so muss er mit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung und einem Regress rechnen.

Gibt ein Apotheker aufgrund einer solchen Verordnung eine Arznei an Patienten ab, so erwartet ihn ebenfalls ein Regress, nämlich die Retaxierung.

Finden beide Regressverfahren statt, so führt dies zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass die Krankenkasse nicht ihr entstandene Kosten zurückfordert, sondern Gewinn macht. Eine weitere Lücke des Systems?

Durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) ist seit Langem geklärt, dass die Verordnung eines weder nach dem deutschen Arzneimittelgesetz noch durch die europäische Arzneimittel-Agentur zugelassenen Arzneimittels zum Regress des Arztes aufgrund einer Einzelfallprüfung führen kann.

Das BSG hat entschieden (Az.: B 1 KR 3/10 R), dass ein Apotheker keinen Anspruch auf Bezahlung der Arznei durch die Kasse hat, wenn er ein für Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel an Patienten abgibt. Abweichendes gilt nur dann, wenn die Abgabe zuvor durch die Kasse genehmigt wurde oder deren Leistungspflicht durch ein Urteil festgestellt wurde.

Liegen diese Ausnahmen nicht vor, so kommt nach der neuen BSG-Rechtsprechung kein Kaufvertrag zwischen der Kasse und dem Apotheker zustande, die Kasse muss die Arznei somit nicht bezahlen und kann im Rahmen der Retaxierung die zunächst überwiesenen Arzneimittelkosten zurückverlangen.

Dieselbe Situation kann sich bei der Verordnung von Medizinprodukten ergeben, die nicht in der Anlage V der Arzneimittelrichtlinie (Übersicht über verordnungsfähige Medizinprodukte) aufgenommen sind. Genehmigt eine Kasse nicht ausnahmsweise die Verordnungsfähigkeit im Einzelfall oder bestreitet sie später eine nur mündlich erteilte Genehmigung, so können Arzt und Apotheker in Regress genommen werden.

Hat eine Krankenkasse aber tatsächlich die Möglichkeit, die Verordnungskosten zweimal, einmal vom Apotheker und einmal vom Arzt, zu erhalten? Die Rechtsprechung hat sich bisher mit dieser Frage nicht befassen müssen.

Aufgrund der rechtlichen Systematik von Wirtschaftlichkeitsprüfung einerseits und Retaxierung nicht zum GKV-Leistungskatalog gehörender Arzneimittel oder Medizinprodukte andererseits ist die Antwort jedoch eindeutig: Erfolgt eine Retaxierung beim Apotheker, so kann gegenüber dem Arzt kein Regress geltend gemacht werden.

Ein Regress gegenüber dem Arzt darf nämlich nur insofern festgesetzt werden, als die Krankenkassen tatsächlich wirtschaftlich belastet sind. Diese Auffassung vertritt in der juristischen Literatur auch ein Mitglied des für das Vertragsarztrecht zuständigen 6. Senates des Bundessozialgerichtes.

Wenn also eine Krankenkasse gegenüber einem Apotheker eine Retaxierung durchsetzt, so ist sie nicht mehr wirtschaftlich belastet. Ein Regress gegenüber dem Arzt scheidet aus.

Fazit: Nur den Krankenkassen ist bekannt, ob in der Vergangenheit Regresse wegen derselben Verordnung sowohl gegenüber einem Arzt als auch gegenüber dem Apotheker geltend gemacht wurden. Der "doppelte Regress" wäre aber unzulässig.

In Verfahren wegen der Verordnung nicht zugelassener Arzneimittel oder nicht erstattungsfähiger Medizinprodukte sollte der Arzt also stets mit dem abgebenden Apotheker Kontakt aufnehmen und erfragen, ob ein Retaxierungsverfahren durchgeführt wurde. Ist dies der Fall, so kann der Regress nicht nochmals vom Arzt verlangt werden.

Zur Person: Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizinrecht und Partner der Anwaltskanzlei Busse & Miessen in Bonn.

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