Bundesarbeitsgericht

Chefarzt-Kündigung wegen Wiederheirat ist unwirksam

Der Fall zieht sich seit fast 10 Jahren durch die Gerichte und Instanzen: Einem Chefarzt an einem katholischen Krankenhaus war wegen seiner Wiederheirat nach einer Scheidung gekündigt worden. Am Mittwoch hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt nun entschieden: Die Kündigung ist unwirksam.

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Ulrich Koch, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, leitete die Verhandlung zum Sonderstatus der katholischen Kirche als Arbeitgeber in Deutschland. Der Fall eines Chefarztes, dem wegen erneuter Heirat nach einer Scheidung gekündigt worden war, beschäftigt seit Jahren die Gerichte.

Ulrich Koch, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, leitete die Verhandlung zum Sonderstatus der katholischen Kirche als Arbeitgeber in Deutschland. Der Fall eines Chefarztes, dem wegen erneuter Heirat nach einer Scheidung gekündigt worden war, beschäftigt seit Jahren die Gerichte.

© Michael Reichel/dpa

ERFURT. Mit seinem Urteil rüttelt das Gericht unter Verweis auf europäisches Recht am Sonderstatus von Kirchen als Arbeitgeber. Für diese ist im Grundgesetz ein Selbstbestimmungsrecht verankert. Das wirkt sich auch auf ihre Position als Arbeitgeber aus. So dürfen sie von ihren Mitarbeitern ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen.

Dem aktuellen Urteil zufolge können Kirchen aber an Angestellte keine unterschiedlichen Anforderungen aufgrund von Religionszugehörigkeiten stellen. Ausnahmen sind möglich, wenn sich diese Erwartungen als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen darstellen. (2 AZR 746/14)

Zuvor hatte im September vergangenen Jahres bereits der EuGH auf die Ungleichbehandlung verwiesen. Er machte Zweifel deutlich, inwiefern die Einhaltung des katholischen Eheverständnisses in dem Fall tatsächlich eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.

Die Kirchenseite machte in der Verhandlung am Mittwoch einen Konflikt zwischen dem nationalen Verfassungsrecht und dem Recht der Europäischen Union geltend. Dieser Auffassung widersprachen die Erfurter Richter: „Das Unionsrecht darf die Voraussetzung, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten.“

Die Erfurter Richter sahen auch mit Blick auf extra für Kirchen eingeräumte Ausnahmen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz keinen Grund, der die Benachteiligung des Chefarztes aufgrund seiner Religionszugehörigkeit im konkreten Fall rechtfertigte.

Zudem sei die Anwendung des katholischen Eheverständnisses im Hinblick auf die Art der Tätigkeit des Mediziners und die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung.

Positive Reaktionen auf das Urteil

Das Urteil sei überfällig und wegweisend, sagte Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand. „Es schafft mehr Gerechtigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kirchlichen Betrieben.“ Einem Mitarbeiter zu kündigen, weil dieser ein zweites Mal geheiratet hat, finde heute auch in der Gesellschaft keine Akzeptanz mehr.

Die katholische Caritas betonte, dass die Grundordnung des kirchlichen Arbeitsdienstes 2015 erheblich geändert worden sei. „Damit wurde ein differenzierter Umgang mit der Lebenswirklichkeit vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglich“, betonte Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes.

Der Sachverhalt, der damals zur Kündigung führte, wäre daher nach heute geltendem Kirchenarbeitsrecht anders zu beurteilen. Vor allem über die Caritas, aber etwa auch über die evangelische Diakonie beschäftigen die großen christlichen Kirchen in Deutschland mehr als eine Million Menschen.

Die höchstrichterliche Entscheidung habe eine hohe Symbolkraft, unterstrich Hans-Albert Gehle, erster Vorsitzender des Marburger Bundes Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz. „Es ist allerhöchste Zeit, dass sich kirchliche Arbeitgeber nicht mehr auf ihren längst überholten Privilegien des sogenannten Dritten Weges ausruhen können, sondern sich ohne Einschränkungen dem weltlichen Arbeitsrecht stellen müssen“, so Gehle.

Es ist das zweite Urteil innerhalb weniger Monate, mit dem das Bundesarbeitsgericht die Freiheiten der Kirchen einschränkt. Im Oktober vergangenen Jahres hatten das BAG besondere Anforderungen an die Religionszugehörigkeit von Bewerbern bei Stellenausschreibungen nur unter bestimmten Bedingungen für zulässig erklärt.

Mehr zu den Hintergründen des Falls lesen Sie hier. (dpa)

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