Streit um den Abtreibungsparagrafen

Etappensieg für Hausärztin Kristina Hänel

Verurteilung aufgehoben: Das Landgericht Gießen muss den Hänel-Prozess um Infos zur Abruptio neu aufrollen.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Die Ärztin Kristina Hänel sitzt am 12. Oktober 2018 in einem Gießener Gerichtssaal.

Die Ärztin Kristina Hänel sitzt am 12. Oktober 2018 in einem Gießener Gerichtssaal.

© Silas Stein/dpa (Archivbild)

FRANKFURT/MAIN. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat am Mittwoch das Strafurteil gegen die Gießener Allgemeinärztin Kristina Hänel aufgehoben (Az.: 1 Ss 15/19). Das Landgericht (LG) Gießen soll den Streit nach den Maßstäben des im März 2019 geänderten Strafparagrafen 219a erneut prüfen.

Hänel informiert auf ihrer 2001 eingerichteten Praxis-Website bis heute darüber, dass in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche möglich sind. Vorübergehend – nach ihren Angaben durch ein Versehen ihres Programmierers – waren dort auch Infos zu den Methoden lesbar.

Inzwischen können diese Infos nur noch per E-Mail angefordert werden. Diese Lösung hatte Hänel nach eigenen Angaben nach rechtlicher Beratung durch die Landesärztekammer Hessen, die das OLG-Urteil als „wegweisende Entscheidung gegen die Kriminalisierung von Ärzten“ bezeichnet, gewählt.

Laut Paragraf 219a Strafgesetzbuch in seiner ursprünglichen Fassung machte sich jedoch bereits strafbar, wer Schwangerschaftsabbrüche „öffentlich“ und zudem „seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise“ anbietet. Das Amtsgericht Gießen hatte Hänel daher zu einer Geldstrafe von insgesamt 6000 Euro verurteilt. Dies hatte das LG Gießen im Oktober bestätigt.

Nach dem Ende März in Kraft getretenen „Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch“ gilt die Strafandrohung allerdings nicht mehr, wenn Ärzte darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Mit Blick darauf hob nun das OLG das LG-Urteil auf. Um den Streit zu beurteilen, müsse es die neue Rechtslage berücksichtigen. Gleichzeitig müsse sich das OLG aber an die Feststellungen des LG halten, das in seinem Urteil die geänderte Gesetzeslage noch nicht berücksichtigen konnte. Daher soll das LG hierzu nun noch weitere Feststellungen treffen.

Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hatte im Juni gegen zwei Frauenärztinnen entschieden, dass sie nach neuem Recht zwar darauf hinweisen dürfen, dass sie Abruptiones durchführen; jede ergänzende Info bleibe aber strafbar.

Wenn das LG Gießen diese Position teilt, wird es zu klären haben, ob das Angebot weiterer Informationen per E-Mail bereits als „öffentliche“ Information gilt und gegebenenfalls auch, ob dies nennenswerte wirtschaftliche Erträge zur Folge hatte.

Zudem könnte es darauf ankommen, inwieweit es Hänel anzulasten ist, dass nähere Infos vorübergehend und nach ihren Angaben versehentlich direkt auf der Website veröffentlicht worden waren.

Hänel strebt allerdings eine höchstinstanzliche Klärung an. Laut dpa wertet Hänel das OLG-Urteil als „Ehrenrunde auf dem Weg zum Bundesverfassungsgericht“.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 04.07.201910:23 Uhr

AG und LG Gießen haben Titel und Zielrichtung des Paragrafen 219a offensichtlich nicht verstanden!

Was für eine juristische Ohrfeige des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt an das Amts-(AG) und das Landgericht (LG) Gießen.

Denn auch die Neu-Fassung des Paragrafen 219a hat nach angeblich umfänglichen Diskussionen in der Großen Koalition zu einem weiteren "faulen" Kompromiss als "Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch" vom 22.03.2019 (BGBl. I S. 350) geführt. In Kraft getreten am 29.03.2019, bringt der aktuelle § 219a noch mehr Desinformation der Öffentlichkeit, Verwirrung der Ratsuchenden, juristischen Unfug und einen unsachgemäß breiten Interpretationsspielraum, anstatt wie ursprünglich geplant, ersatzlos gestrichen zu werden.

Im Wortlaut beinhaltet der Titel unverändert ein ""Werbeverbot":

"§ 219a - Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft
(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise
1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder
2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung
anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Absatz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn Ärzte oder auf Grund Gesetzes anerkannte Beratungsstellen darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 vorzunehmen.
(3) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird.
(4) Absatz 1 gilt nicht, wenn Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen
1. auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 vornehmen, oder
2. auf Informationen einer insoweit zuständigen Bundes- oder Landesbehörde, einer Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz oder einer Ärztekammer über einen Schwangerschaftsabbruch hinweisen." (Zitat Ende)
https://dejure.org/gesetze/StGB/219a.html

Nach wie vor bezieht sich der § 219a, Absatz 1, in seinem Wortlaut unverändert auf eine Zeit, in der jeder Schwangerschaftsabbruch illegal war und pönalisiert wurde. Die Ausnahmetatbestände des legalen Schwangerschaftsabbruchs nach § 218a Absatz 1 bis 3 könnte man rechtstheoretisch zwar mit einem "§ 219a" - Verbot der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" flankieren. Dann stellt der § 219a aber auch klar, dass "Informationen" über einen medizinisch möglichen Sachverhalt nicht zugleich zwangsläufig "Werbung" bedeuten muss.

Juristische Exegese, Semiotik und Sprachkultur sind eindeutig: Nur unter intellektueller Missachtung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten von „Information“ und „Werbung“ könnte man Ärztinnen und Ärzten vorwerfen, gegen §219a StGB zu verstoßen, wenn sie lediglich Ratsuchende informieren wollen und müssen.

Im digitalen Informations-Zeitalter bedeuten m.E. die Entscheidungen des AG und LG Gießen, die Entscheidung des Landgerichts Tiergarten in Berlin bzw. die juristischen Folgen eines ebenso halbherzig wie zweideutig reformierten § 219a StGB weiterhin ein rechts- und gesellschaftspolitisches Einknicken vor fanatisch-fundamentalistischen Lebensschützer-Positionen bzw. eine Revision von Frauenrecht und reproduktiver Selbstbestimmung.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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