Hauptstadtkongress

Pflege hadert mit Kosten der Tariflöhne

Die Bilanz zur Konzertierten Aktion Pflege fällt auf dem Hauptstadtkongress eher verhalten aus. Die Pflegebranche präsentiert sich erschöpft, auch weil die Konflikte mit den Kostenträgern nach wie vor nicht gelöst sind. An der versprochenen Refinanzierung von Tariflöhnen gibt es Zweifel.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht: | aktualisiert:
Pflegekräfte sind Mangelware. Tariflöhne sollen den Beruf attraktiver machen. Doch die Frage ist, ob die Kostenträger sich ausreichend an der Refinanzierung beteiligen.

Pflegekräfte sind Mangelware. Tariflöhne sollen den Beruf attraktiver machen. Doch die Frage ist, ob die Kostenträger sich ausreichend an der Refinanzierung beteiligen.

© Robert Kneschke / stock.adobe.com

Berlin. Das jüngste gesetzgeberische Vorhaben, den Abschluss von Versorgungsverträgen an die Zahlung von Tariflöhnen zu binden, hält Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), für ein Wahlkampfthema. Seine Kritik: Die Politik habe „ohne Not darauf verzichtet zu regeln, dass kleine und mittlere Unternehmen nicht in Schieflage geraten. Die Politik hat hier einfach weggeschaut“.

Es sei „völlig theoretisch“, dass Pflegeheimbetreiber Löhne auf Tarifniveau ohne Probleme durch die Pflegesatzverhandlungen mit den Kostenträgern bringen. Diese würden hier nach wie vor mauern. Meurer äußerte die Befürchtung, dass nicht tarifgebundene Unternehmen, die übertariflich Löhne zahlen, auf Tarifvertragshöhe „gedeckelt“ werden. Die versprochene hundertprozentige Refinanzierung von Tariflöhnen sei fraglich, da die Politik es bislang verpasst habe, für klare, eindeutige gesetzliche Regeln zu sorgen, so Meurer.

Staatssekretär Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung, betonte in der Diskussionsrunde zwar, dass die Kostenträger Tariflöhne nicht als unwirtschaftlich ablehnen dürften. Das stehe so im Gesetz. Er gab aber zu, dass es hier noch Probleme zu lösen gebe.

Mindestlohn hilft der Pflege nicht

Kritik gab es auch an der Strategie der Politik, die Anhebung des Mindestlohns als ein Mittel herauszuheben, mit dem der Pflegeberuf attraktiver werde. 99 Prozent der Pflegefachkräfte betreffe die Steigerung des Mindestentgelts überhaupt nicht. Profiteur sei allenfalls der Hilfskräftebereich, sagte bpa-Präsident Bernd Meurer. Die Pflege laufe Gefahr, durch das Mindestlohn-Thema einen Imageschaden zu bekommen und in „Grund und Boden“ geredet zu werden.

„Wie soll man junge Menschen für den Beruf begeistern?“, fragte auch Peter Bechtel, Vorsitzender des Bundesverbandes Pflegemanagement und Pflegedirektor des Universitäts-Herzzentrums Freiburg - Bad Krozingen. Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, betonte, dass der Mindestlohn nur Teil eines Pakets sei, mit dem die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessert werden sollen. In den vergangenen zehn Jahren seien die Löhne in der Pflege um 38 Prozent gestiegen. „Aber noch gibt es Unterschiede zwischen Alten- und Krankenpflege und zwischen tarifgebundenen und nicht-tarifgebundenen Unternehmen“, so Böhning. „Diese Lücke wollen wir schließen“, sagte der Staatssekretär.

Insgesamt sei durch die Konzertierte Aktion Pflege schon vieles angestoßen und bewegt worden. Neben den Vorstößen für tarifliche Bezahlung verwies er auch auf Weiterbildungsmaßnahmen, die etwa durch die Bundesagentur für Arbeit finanziert werden und den Quereinstieg in die Altenpflege fördern sollen. 2019 seien beispielsweise 9400 Umschulungsmaßnahmen durchgeführt worden.

Gewaltiger Abstimmungsbedarf

Pflegebeauftragter Andreas Westerfellhaus verhehlte nicht, dass die Konzertierte Aktion Pflege unter ihrer Komplexität leidet. Allein in der Arbeitsgruppe 1 (Ausbildungsoffensive) gebe es 110 definierte Maßnahmen, „wie man die Ausbildung attraktiver machen kann und zu mehr Ausbildungsplätzen kommt“, so Westerfellhaus. Mit den Beteiligten habe man sich auf bestimmte Punkte geeinigt, die im Rahmen der Konzertierten Aktion umgesetzt werden sollen. „Die eine oder andere Institution muss man dann aber auch mal daran erinnern, auf was man sich geeinigt hat“, sagte der Pflegebeauftragte. Dass in einigen Bereichen nicht schon mehr Ziele erreicht worden seien, „macht mich nicht zufrieden“. Teilweise sei dies aber auch dem „gewaltigen Abstimmungsbedarf“ geschuldet, so Westerfellhaus.

Erfreulich sei, dass trotz der Pandemie das Interesse an einer Ausbildung im Pflegeberuf stark gestiegen sei. Das habe allerdings auch zur Folge, dass die Abbrecherquote „nicht unerheblich zugenommen“ habe. Westerfellhaus führte das auch darauf zurück, dass die praktische Anleitung unter dem Fachkräftemangel in der Pflege leidet. Er berichtete zudem, dass nur 50 Prozent der primärqualifizerenden Pflegestudienplätze besetzt seien. Die jungen Menschen würden wohl die bezahlte Ausbildung dem nichtbezahlten Studium vorziehen.

Entlastung noch nicht zu spüren

Dass die „Beschlüsse in Berlin“ gut gemeint seien, aber die Praxis davon noch nicht profitiere, diese These stellte Pflegedirektor Peter Bechtel auf. Beispiel Ausbildungsplätze: Deren Ausbau sei wichtig, führe jetzt aber dazu, dass der Proporz zwischen qualifiziertem Personal und Auszubildenden nicht mehr stimme. Auch Vera Lux, Pflegedirektorin an der Medizinischen Hochschule Hannover, lobte die Idee der Konzertierten Aktion. Gleichzeitig stellt sie fest, dass diese auch mit viel Bürokratie verbunden ist. „Die zieht uns vom Bett weg“, so Lux. Gleiches gelte für die Digitalisierung, die ebenfalls zu den Handlungsfeldern der Konzertierten Aktion Pflege gehört. Sie sei momentan oft mehr Belastung statt Entlastung.

Noch mehr Heilkundeübertragung?

Die geplante Übertragung heilkundlicher Aufgaben auf Pflegefachkräfte hält Bechtel für den richtigen Weg. Derzeit kämen die Krankenhäuser zwar nicht mehr nach, die Gesetzesflut umzusetzen. Dennoch plädiert der Pflegedirektor für weitere gesetzgeberische Aktivitäten – aber in ganz anderen Dimensionen und mit völlig neuer Stoßrichtung. In der Konzertierten Aktion Pflege müsste es eine weitere Arbeitsgruppe geben, die sich mit der Neustrukturierung der Gesundheitsversorgung befasst. Die Frage, die zu beantworten wäre, formuliert Bechtel so: „Wer übernimmt welche Aufgaben zu welchem Preis?“ Pflegepersonal werde weiter knapp bleiben, auch weil demnächst die Babyboomer ersetzt werden müssten.

„Die Politik muss endlich den Mut haben, die heißen Eisen anzugehen“, so Bechtel. Die Politik habe immer noch nicht verstanden, dass „die Pflege eine ganz andere Priorität bekommen muss“, so Bechtel. Und das trotz Corona: „Der Knall war offenbar nicht laut genug.“

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