Konzertierte Aktion Pflege

Diese Maßnahmen sollen Pflegekräfte anlocken

Die Bundesregierung will grundlegend bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege schaffen, um zu mehr Fachkräften zu kommen. Nun haben Minister ein Maßnahmenpaket vorgestellt.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Patientenbetreuung auf einer Intensivstation. Die Bundesregierung legt Ergebnisse der vor knapp einem Jahr gestarteten „Konzertierten Aktion Pflege“ vor. Arbeitgeber und Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Kirchen, Krankenkassen und Betroffenenverbände sollten dabei umfassende Vorschläge erarbeiten.

Patientenbetreuung auf einer Intensivstation. Die Bundesregierung legt Ergebnisse der vor knapp einem Jahr gestarteten „Konzertierten Aktion Pflege“ vor. Arbeitgeber und Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Kirchen, Krankenkassen und Betroffenenverbände sollten dabei umfassende Vorschläge erarbeiten.

© dpa

BERLIN. Die Bundesregierung unternimmt einen weiteren Anlauf, die Personalnot in der Pflege zu lindern.

Ein bundesweit einheitlicher Tariflohn, eine Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West, am Bedarf orientierte Personalschlüssel, Erleichterungen für das Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland sowie das Aufstocken der Ausbildungsstellen und der Schülerzahlen sollen dazu beitragen, die Arbeitsbedingungen „schnell und spürbar“ zu verbessern.

Darauf haben sich die Teilnehmer an der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) geeinigt. Die hatten Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Frauen- und Jugendministerin Dr. Franziska Giffey und Arbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) am 3. Juli 2018 ausgerufen. Die Zielvorgabe damals war, binnen eines Jahres Ergebnisse vorzulegen.

Mehr Verantwortung für Pflegekräfte

Zum Paket gehört auch eine Neuordnung der beruflichen Beziehungen zwischen Pflegekräften und Ärzten. Die Verantwortung für Pflegekräfte soll ausgeweitet werden.

Spahn kündigte am Dienstag in Berlin an, diesen Prozess noch dieses Jahr zu starten. Ab 2020 sollen in Modellvorhaben Pflegekräfte Heil- und Hilfsmittel verordnen dürfen.

Unklar blieb am Dienstag, wie das Maßnahmenpaket finanziert werden soll. Allein ein Einheitstarifvertrag könnte mit Mehrkosten von zwischen 1,4 bis 5,2 Milliarden Euro einhergehen, hat das Berliner IGES-Institut abgeschätzt.

Die KAP räumt lediglich ein, dass höhere Löhne die Pflegeversicherung belasten werde. Zudem wolle man eine „finanzielle Überlastung“ der Pflegebedürftigen verhindern.

Zügige Umsetzung geplant

Nach der gegenwärtigen Konstruktion bleiben zusätzliche Kosten für die Pflege weitgehend bei den Pflegebedürftigen selbst hängen.

Um bis zu 500 Euro im Monat könnten sich die Zuzahlungen für Heimbewohner in Thüringen, Sachsen und Brandenburg erhöhen, sagte Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege (AGVP).

Die Aktion will nun zügig in die Umsetzung der Beschlüsse gehen. Spahn kündigte an, die Stabsstelle Konzertierte Aktion im Gesundheitsministerium weiterzuführen.

Ihre neue Aufgabe soll sein, die Umsetzung des Programms zu monitoren. Giffeys Ziel sind zehn Prozent mehr Schüler und Ausbildungseinrichtungen binnen fünf Jahren.

Heil kündigte an, noch im Sommer die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Einheitstarif schaffen zu wollen. Da es dagegen juristische Bedenken gibt, hat die KAP als Plan B noch die weitgehend paritätisch besetzte Pflegekommission in der Hinterhand.

Die Vorschläge im Überblick:

  • BEZAHLUNG: Die rechtlichen Grundlagen dafür will die Bundesregierung noch vor der Sommerpause beschließen. Die Pflegebranche kann dann entscheiden, ob sie für bessere Löhne einen flächendeckenden Tarifvertrag abschließt. Einen ausgehandelten Vertrag von Arbeitgebern und Gewerkschaft Verdi würde der Bund dann für die ganze Branche für allgemeinverbindlich erklären. Ansonsten legt eine Kommission wie bisher Mindestentgelte fest – auch für Pflege-Fachkräfte.
  • AUSBILDUNG: Geplant ist eine neue Pflegeausbildung ab 2020 – dann soll bundesweit dafür auch kein Schulgeld mehr fällig werden, Azubis sollen vielmehr Vergütungen bekommen. Geplant sind außerdem 5000 Weiterbildungsplätze. Und die Zahl der Schüler und Ausbildungseinrichtungen soll bis 2023 um zehn Prozent steigen.
  • ARBEITSBEDINGUNGEN I: Um bessere Bedingungen etwa auch mit verlässlicheren Dienstplänen zu erreichen, sollen verbindliche Personalschlüssel umgesetzt werden. Kräfte aus dem Ausland sollen schon in den Herkunftsländern bei der Fach- und Sprachausbildung unterstützt werden. Für Vermittler von Pflegekräften aus dem Ausland soll ein Gütesiegel entwickelt werden. Ein Personalbemessungsverfahren für Altenheime soll zügig angegangen werden.
  • ARBEITSBEDINGUNGEN II: Um den Beruf attraktiver zu machen, sollen Pflegefachkräfte auch mehr Verantwortung übernehmen können. Dafür sollen von diesem Jahr an Standards etwa zur stärkeren Zusammenarbeit mit Ärzten erarbeitet werden. Pflegekräfte sollen zudem mit digitaler Technik von Bürokratie entlastet werden: etwa durch elektronische Patientenakte oder elektronisches Verordnungsmanagement.
  • FINANZIERUNG: Konkrete Aussagen zur Finanzierung werden vorerst nicht gemacht. Festgehalten wird, „dass eine Verbesserung der Entlohnung eine verbesserte Finanzausstattung der Pflegeversicherung erforderlich macht“.

Von „Masse statt Klasse“ bis „Blendwerk“

Die vorgelegten Ergebnisse der Konzertierten Aktion Pflege stoßen auf ein geteiltes Echo. „Masse statt Klasse“ schallte es kurz nach Veröffentlichung der Ergebnisse der Konzertierten Aktion Pflege aus der Opposition.

Es sei „unseriös“, dass die drei beteiligten Minister unkonkret geblieben seien, wie das Maßnahmenpaket finanziert werden solle, sagte die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Nicole Westig.

Als „offene Rechnung“ bezeichnete auch der stellvertretende Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Gernot Kiefer, die Absicht, „flächendeckend eine angemessene Bezahlung von Pflegekräften“ sicherzustellen.

Auf die Gefahr, dass bessere Entlohnung der Pflegekräfte zwangsläufig zu höheren Eigenbeteiligungen der Pflegebedürftigen führen, weist der AOK-Bundesverbandsvorsitzende Martin Litsch hin. Man müsse sich den Folgen eines nach oben offenen Leistungsversprechens ehrlich stellen. „Und das dringend“, sagte Litsch am Dienstag in Berlin . Die Pflege sei nur bis 2022 ausreichend finanziert.

Mehr Mut beim Thema „flächendeckende Tarifverträge“ hätte sich der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus (CDU), von den beteiligten Ministern gewünscht. Dazu gebe es „keine Alternative und keine Ausrede“.

Arbeitgeber gegen Tarifvertrag

Gegen solche Tarifverträge bringen sich die Arbeitgeber bereits in Stellung. Die Caritas-Dienstgeber fürchten, dass ein Einheitstarifvertrag die Refinanzierung ihrer überdurchschnittlich hohen Löhne durch die Pflegekassen in Gefahr bringen könnte. Die Kirchen stehen außerhalb des weltlichen Tarifrechts.

„Die Löhne in der Pflege steigen doppelt so stark wie in der Gesamtwirtschaft“, sagte bpa-Arbeitgeberpräsident Rainer Brüderle (FDP). Staatliche Eingriffe, die Löhne zu regulieren, seien daher überflüssig.

Ein „Blendwerk“ unterstellt der Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege, Thomas Greiner. Kostensteigerungen durch höhere Löhne müssten die Pflegebedürftigen selbst oder die Sozialämter übernehmen.

Grüne: " Ministerien müssen liefern"

„Die Ministerinnen und Minister müssen jetzt liefern“, erklärte Kordula Schulz-Asche, die Sprecherin für Alten- und Pflegepolitik der Fraktion der Grünen im Bundestag. Mit Absichtserklärungen sei es nicht getan. Jetzt müsse konsequente Politik folgen.

Der Bundesregierung fehle jedoch jede Idee, wie sie die Mehrkosten finanzieren wolle. „Wir fordern die Einführung einer Pflege-Bürgerversicherung“, so Schulz-Asche. Zudem müssten die Eigenanteile in der Pflege gedeckelt werden.

Eine solidarische Finanzierung der Pflege, in die einzahlen sollten, hat auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt gefordert. Eine bessere Pflege sei „nicht für lau zu machen“, so Göring-Eckardt.

„Die Konzertierte Aktion Pflege hat am Ende keine Konsequenzen“, bemerkte die pflegepolitische Sprecherin der Linksfraktion Pia Zimmermann. Eine Pflegereform sehe anders aus.

Anstatt endlich für einen flächendeckenden Tarifvertrag und anständige Arbeitsbedingungen zu sorgen, würden weitere Arbeitsgruppen gegründet und das Thema den Arbeitgebern überlassen. „Die Pflegekräfte werden mit teilweise unmenschlichen Arbeitsbedingungen und prekären Gehältern einfach im Regen stehen gelassen“, klagte Zimmermann.

"Bessere Bezahlung ein entscheidendes Puzzleteil"

„In konstruktiver Zusammenarbeit der unterschiedlichsten Akteure und politischen Ebenen wurden konkrete Maßnahmen vereinbart, um die Pflege in Deutschland zu stärken“, kommentierte dagegen Heike Baehrens, Pflegebeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion die Ergebnisse der Konzertierten Aktion.

Vor allem die Fortschritte für bessere Bezahlung in der Pflege seien ein entscheidendes Puzzleteil, um den Teufelskreis aus schlechten Arbeitsbedingungen und Personalmangel zu durchbrechen. Es werde ein gesetzlicher Weg für einen Tarifvertrag Pflege eröffnet.

Die arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Kerstin Tack, betonte die Verantwortung der Tarifvertragsparteien, einen einheitlichen Lohn für Pflegekräfte zu finden.

Die Arbeitgeber in der Pflege seien gefordert, einen Arbeitgeberverband zu gründen und mit Verdi einen Tarifvertrag auszuhandeln.

Sollte dies nicht klappen, werde der Gesetzgeber auf Basis der Vorschläge der Pflegekommission nach Qualifizierung differenzierte, deutschlandweite Mindestlöhne sowien Mindestarbeitsbedingungen festsetzen.

Große Chance für neue Ideen

Eine große Chance, neue Ideen zuzulassen, innovative Maßnahmen zu entwickeln und frische Denkanstöße zu geben, sieht die Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe, Professor Christel Bienstein, vor allem in der Zusammensetzung der Arbeitsgruppen der Konzertierten Aktion.

Mit dem Tag der Veröffentlichung sei die Konzertierte Aktion Pflege allerdings nicht im Zieleinlauf angekommen, sondern stehe tatsächlich erst noch in den Startlöchern.

"Bis zum regulären Ende der Legislatur ist nicht mehr viel Zeit – und gravierende Probleme sind nach wie vor ungelöst“, so Bienstein.

Wir haben den ursprünglichen dpa-Text durch einen eigenen Beitrag ersetzt am 04.06.2019 um 17:01 Uhr.

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