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WIdO-Analyse

Deutlich weniger Tonsillektomien

In der Pandemie ist die Zahl der Tonsillektomien noch einmal gesunken. Die Versorgung ist deshalb nicht schlechter geworden, wie eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt.

Von Taina Ebert-Rall Veröffentlicht:
Verdacht auf Tonsillitis? Vor allem in der Altersgruppe der 10- bis 17-Jährigen ist die Zahl der Tonsillektomien in der Zeit des Lockdowns gesunken.

Verdacht auf Tonsillitis? Vor allem in der Altersgruppe der 10- bis 17-Jährigen ist die Zahl der Tonsillektomien in der Zeit des Lockdowns gesunken.

© Jochen Tack/AOK-Mediendienst

Berlin. Die COVID-Pandemie hat den seit Jahren beobachteten Rückgang von Tonsillektomien noch einmal deutlich verstärkt. Eine aktuelle Analyse über die Folgen der Corona-Einschränkungen in diesem Bereich zeigt, dass die Fallzahlen nach einem drastischen Rückgang zwischen März und Mai 2020 mit den Lockerungen ab dem Frühsommer nicht im gleichen Maß wieder angestiegen sind.

Vielmehr pendelten sich sowohl die Arztbesuche wegen Tonsillitis als auch zugehörige Operationen auf ein deutlich geringeres Ausmaß ein. Ausbleibende oder verzögerte Behandlungen führten nach den Studienergebnissen somit nicht zu Komplikationen, etwa Operationen von Peritonsillarabszessen.

Über 140.000 Fälle ausgewertet

Für die Analyse werteten die Autoren Professor Dr. Jochen Windfuhr und Christian Günster die wöchentlichen Krankenhauseinweisungen aller Patienten in Deutschland zwischen Januar 2019 und September 2021 aus. Es wurden 144.069 stationäre Fälle mit einer Mandeloperation eingeschlossen. Windfuhr ist Chefarzt der HNO-Klinik Mönchengladbach, Günster leitet den Bereich Qualitäts- und Versorgungsforschung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

„Mit unserer Analyse konnten wir nun erstmals den Fallzahlrückgang von Mandeloperationen während des ersten Lockdowns im März 2020 mit 76 Prozent genau beziffern“, erläutert Windfuhr. „Das war die Antwort auf die Bitte des damaligen Gesundheitsministers Spahn, Elektiveingriffe zu verschieben, um eine Überlastung des Klinikpersonals zu verhindern. Notfalloperationen bei Mandelabszessen waren davon natürlich ausgenommen. Überraschenderweise konnten wir nachweisen, dass auch hier die Fallzahl drastisch zurückging.“

Während in der Zeit vor dem ersten Lockdown im März 2020 insgesamt noch durchschnittlich 556,1 Tonsillektomien je Woche vorgenommen wurden, sank diese Zahl während des ersten Lockdowns auf 110,7 je Woche. Nach der Aufhebung der Corona-Beschränkungen im Sommer 2020 wurde der Vor-Corona-Stand nicht mehr erreicht. Hier pendelten sich die Zahlen der operativen Entfernung der Gaumenmandeln bei 326,0 Fällen je Woche ein.

Besonders deutlich fiel der Rückgang bei Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 17 Jahren aus, denen wegen einer chronischen Tonsillitis die Gaumenmandeln entfernt werden mussten. Vor der Pandemie gab es in dieser Altersgruppe noch 70,5 Operationen in der Woche, nach dem ersten Lockdown bereits nur noch 34,8 je Woche.

Weniger Antibiotika verordnet

„Auffällig ist, dass wir nicht nur einen deutlichen Rückgang der Fallzahlen bei den Mandeloperationen, sondern auch eine signifikante Verringerung der Anzahl von Episoden akuter Mandelentzündungen und Antibiotikabehandlung festgestellt haben“, ergänzt Günster. Dies spiegelt sich nach der Analyse in den Fallzahlen bei den Behandlungen aufgrund von Abszessen an den Gaumenmandeln wider.

Während vor der Pandemie noch 165,3 Abszesse wöchentlich operiert wurden, sank die Zahl nach dem ersten Lockdown auf 98,1 Fälle in der Woche. Bei Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 17 Jahren halbierte sich die Zahl dieser Eingriffe aufgrund einer Abszessbildung von 15,0 auf 7,4 Fällen wöchentlich.

„Mit diesem ausgeprägten Rückgang haben wir nicht gerechnet, das ist ein Phänomen, für das wir keine klare Ursache nennen können“, sagt Windfuhr. Allerdings gehe er davon aus, dass es den AHA-Regeln während der Pandemie zu verdanken sei. „Abstand halten und Maske tragen hat höchstwahrscheinlich zu weniger Mandelentzündungen geführt, die in der Regel Anlass für die Tonsillektomie sind. Andererseits dürften Patienten ihren Behandlungsbedarf niedriger priorisiert haben. Wir können nicht ausschließen, dass niedergelassene Ärzte seltener konsultiert wurden und damit weniger Op-Einweisungen veranlasst wurden. Das gilt vor allem für Kinderarztkonsultationen.“

Mit diesem ausgeprägten Rückgang haben wir nicht gerechnet, das ist ein Phänomen, für das wir keine klare Ursache nennen können. Aber ich gehe davon aus, dass er den AHA-Regeln während der Pandemie zu verdanken ist.

Professor Jochen Windfuhr, Chefarzt der HNO-Klinik Mönchengladbach

In der Studie wurden auch die ambulanten Behandlungen von Halsschmerzen bei AOK-Versicherten ausgewertet. Deren Anzahl ging von 2,97 Millionen im Jahr 2019 um ein Drittel auf 1,98 Millionen im Jahr 2020 zurück. Nicht nur die Gesamtzahl hat sich reduziert, sondern auch die Zahl der

Halsschmerzbehandlungen mit Antibiotikaverordnung. Dieser Rückgang war 2020 bei Kindern und Jugendlichen am stärksten. Wie bei den Operationen zeigen sich die größten Rückgänge zu Pandemiebeginn. Die Zahl der Halsschmerzbehandlungen mit Antibiotika brach im zweiten Quartal 2020 gegenüber dem Vorjahresquartal um 67 Prozent ein.

AHA-Regeln haben gewirkt

Nach Worten Windfuhrs sind die Studienergebnisse möglicherweise dazu geeignet, auch unabhängig von einer Pandemie mehr Wert auf die AHA-Regeln zu legen. „Vielleicht lässt sich damit die Verbreitung von Erkältungskrankheiten beispielsweise in Bus und Bahn oder bei Großveranstaltungen reduzieren.

Das kann ja jeder für sich selbst entscheiden, wir müssen eventuell bereit sein, unser bisheriges Verhalten zu ändern. In vielen Kliniken hat man bereits schon vor der Pandemie das gut gemeinte Händeschütteln abgeschafft, um so die Erregerübertragung zu vermeiden. Dies ist – wie das Hände desinfizieren- inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden und befremdet niemanden mehr.“

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