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Dr. Katrin Krämer: „Entscheidend bei DiGA ist der medizinische Nutzen“

Seit Herbst 2020 stehen die ersten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) flächendeckend zur Verfügung. Dr. Katrin Krämer, Abteilungsleiterin Versorgungsmanagement beim AOK-Bundesverband, sieht die gesetzlichen Krankenkassen damit vor besondere Herausforderungen gestellt.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
DiGA auf Rezept: Bislang ist es nicht möglich Erst- oder Testverordnungen für bis zu 30 Tage auszustellen. Laut AOK wäre das aber sinnvoll.

DiGA auf Rezept: Bislang ist es nicht möglich Erst- oder Testverordnungen für bis zu 30 Tage auszustellen. Laut AOK wäre das aber sinnvoll.

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Wie bewerten Sie Apps auf Rezept anderthalb Jahre nach ihrem Start?

Dr. Katrin Krämer: Die Bilanz ist aus unserer Sicht durchwachsen. Die Aussicht auf leicht verdientes Geld im ersten Jahr hat einiges in Bewegung gebracht. Die Hersteller haben vielfältige und interessante Produkte auf den ersten Gesundheitsmarkt gebracht, allerdings zu recht hohen Preisen und unter vereinfachten Zulassungsbedingungen.

Mehr als 30 DiGA sind bereits zugelassen und müssen ihren Beitrag für die Versorgung nun unter Beweis stellen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hat jüngst Gesamtzahlen zu den bisherigen Verordnungen genannt: Demnach wurden in den ersten 13 Monaten nach Inkrafttreten des Leistungsanspruchs rund 50.000 DiGA ärztlich verordnet oder von den Krankenkassen genehmigt.

Nur etwa 80 Prozent der verordneten DiGA sind bisher tatsächlich von den Patientinnen und Patienten aktiviert worden.

Dr. Katrin Krämer, Abteilungsleiterin Versorgungsmanagement beim AOK-Bundesverband

Das ist eine ganze Menge. Wie sind die Zahlen in der AOK-Statistik?

Auch unter den AOK-Versicherten zeigt sich ein wachsender Zuspruch für die Apps auf Rezept. Seit Herbst 2020 haben die AOKs zusammen rund 26.000 Freischaltcodes für DiGA vergeben und die Anwendungen mit mehr als 8,4 Millionen Euro finanziert. 41 Prozent der Codes betreffen psychische Erkrankungen, 23 Prozent adressieren Muskel, Knochen und Skelett-Erkrankungen und 20 Prozent Ohren-Erkrankungen. Die restlichen 16 Prozent sind den Hormon- und Stoffwechselerkrankungen sowie anderen Krankheitsbildern zuzuordnen.

Dr. Katrin Krämer

Dr. Katrin Krämer

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Wie ordnen Sie diese Zahlen ein?

Sie zeigen, dass in einigen DiGA durchaus Potenzial steckt. Sie können unsere Versicherten befähigen, ihre gesundheitliche Versorgung mitzugestalten. Es lohnt sich aber, genauer hinzuschauen. So sind bisher nur etwa 80 Prozent der verordneten DiGA tatsächlich von den Patientinnen und Patienten aktiviert worden. Entscheidend ist aus unserer Sicht, dass die Apps auf Rezept vor allem Qualität und Sicherheit bieten.

Was meinen Sie damit?

Es spricht nichts dagegen, dass gesetzliche Krankenkassen sinnvolle digitale Gesundheitsanwendungen mit niedrigem Risiko erstatten. Einzelne Anwendungen haben durchaus das Zeug dazu, die Versorgung der Versicherten sinnvoll zu ergänzen und zu verbessern. Wenn sie einen solchen Mehrwert bieten, ist es auch gerechtfertigt, dass diese von der Solidargemeinschaft bezahlt werden. Entscheidend ist jedoch, dass die medizinischen Anwendungen einen bereits nachgewiesenen echten medizinischen Nutzen bieten. Nach den aktuellen Vorgaben reicht aber allein der Nachweis von Struktur- und Verfahrensverbesserungen. Dazu gehört zum Beispiel die Verbesserung der Behandlungskoordination.

Das ist aus unserer Sicht zu wenig – gerade angesichts der oft sehr hohen Preise. Und die sogenannten Erprobungs-DiGA, die im Verzeichnis des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits gelistet sind, sollten im Sinne einer größtmöglichen Patientensicherheit grundsätzlich nicht von der GKV finanziert werden müssen. Bislang konnte nur für ein Drittel der Anwendungen aus dem BfArM-Verzeichnis ein positiver Versorgungseffekt belegt werden.

Wie wird der medizinische Nutzen herausgefunden?

Im Fall von dauerhaft aufgenommen DiGA anhand von vergleichenden Studien, wobei allerdings kein Vergleich mit etablierten Behandlungsmethoden vorgesehen ist. Liegen bei einem Erstantrag noch keine entsprechenden Daten vor, muss der Hersteller ein Evaluationskonzept vorlegen, das eine erwartbare positive Wirkung mit einer Pilotstudie begründet. Aber bei den digitalen Anwendungen entscheidet nicht der Gemeinsame Bundesausschuss, sondern das BfArM. Wir fordern für DiGA gleich hohe Anforderungen an den Nutzennachweis wie bei anderen Leistungen. Die Nutzenwertung sollte immer durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erfolgen.

Was sollte eine DiGA aus Ihrer Sicht auszeichnen, wenn sie von den Kassen erstattet wird?

Eine DiGA muss eine echte Innovation sein und nicht bloß Leitlinieninhalte oder Selbsthilfe-Manuale abbilden. Die aktuell zugelassenen DiGA betreffen komplexe Krankheitsbilder. Aus diesem Grund legen wir auch großen Wert darauf, dass die Verordnung der DiGA immer in den konkreten Behandlungsplan durch die betreuenden Ärztinnen und Ärzte eingebettet ist und die DiGA vom Patienten aktiv genutzt wird.

In diesem Sinne fordern wir eine Flexibilisierung der Anwendungsdauer. Zurzeit kann eine DiGA, abgesehen von sogenannten Einmallizenzen, ausschließlich für mindestens 90 Tage verordnet werden.

Erst- oder Testverordnungen für bis zu 30 Tage sind nicht möglich. Sie wären aber sowohl für die Behandelnden als auch für die Nutzerinnen und Nutzer ein wichtiges Instrument, um auszuprobieren, ob die Anwendung sinnvoll ist und weiterhin erfolgen sollte.

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