Finanzierungsmodelle
Gentherapien und ihre Finanzierung: Mehr Flexibilität für neue Preismodelle
Das AMNOG-System mit der frühen Nutzenbewertung und der anschließenden Vereinbarung von Erstattungsbeträgeen bedarf aufgrund der Entwicklung neuartiger Gentherapien, insbesondere wenn sie nur einmalig angewendet werden, einer Weiterentwicklung und Flexibilisierung. Das gilt sowohl für den Nachweis der Evidenz des Nutzens und der dafür herangezogenen klinischen Endpunkte als auch der Bezahlmethoden für Advanced Therapeutical Medicinal Therapies (ATMP). Dabei müssten auch die besonderen Kosten der Versorgungsprozesse, die Erhebung geeigneter Daten und deren Auswertung berücksichtigt werden. Die jetzt im Rahmen der Vergütungsreform für Krankenhäuser vorgesehenen Leistungsgruppen und deren Vorhaltefinanzierung sind dafür nicht hinreichend differenziert.
Veröffentlicht:Berlin. Das seit nunmehr fast 13 Jahre praktizierte System der Preisfindung für neue Arzneimittelwirkstoffe ist vom Grundsatz her geeignet, auch den Nutzen von Gentherapien und ATMP zu bewerten und Entscheidungen über Erstattungsbeträge zu treffen. Ökonomen, Juristen, Mediziner und Gesundheitspolitiker sowie Vertreter der forschenden Industrie sind sich einig, dass ein grundlegender Paradigmenwechsel nicht erforderlich ist, um Innovationen Patienten zugänglich zu machen und dies auch ohne unabsehbare Risiken für die Krankenkassen zu finanzieren. Notwendig ist aber eine zügige Modifikation und Flexibilisierung bei der Bildung der Erstattungsbeträge und den Bezahlmodalitäten durch den Gesetzgeber möglichst noch in dieser Legislaturperiode. Das war Konsens bei einem vom Unternehmen Pfizer und Springer Medizin/Ärzte Zeitung organisierten Fachsymposion „Gentherapien – Brauchen wir einen Paradigmenwechsel bei der Erstattung?“
Besonderheiten bei der Preisbildung
Aus Sicht des Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem (Uni Duisburg-Essen) – er ist als Vorsitzender der Schiedsstelle für Erstattungsbeträge ausgewiesener Experte für das AMNOG-Verfahren – besteht Flexibilisierungsbedarf unter drei Gesichtspunkten:
Nachweis des Zusatznutzens: Aufgrund der starken Heterogenität der zu bewertenden Therapien, insbesondere aber aufgrund ihres meist vorhandenen Orphan Status sollte anerkannt werden, dass randomisierte kontrollierte klinische Studien (RCT) bei den meist (sehr) kleinen Patientenpopulationen nicht möglich sind und alternative Nachweismethoden herangezogen werden. Hier müsse eine Änderung der Nutzenbewertungsverordnung mehr Flexibilität schaffen.
Für Gentherapien, die – Unterschied zu konventionellen Behandlungsmethoden – schon als Einmal-Therapie Heilungschancen eröffnen, bedarf es „besonderer Erstattungsmodelle“ und dafür auch gesetzliche Ergänzungen. Solche Erstattungsmodelle seien grundsätzlich in verschiedenen Typen möglich: kollektivvertraglich zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband oder selektivvertraglich zwischen Hersteller und Einzelkassen vereinbart; Verträge können finanz- oder outcome-basiert gestaltet sein; Outcomes und Kosten können auf der Ebene einzelner Patienten, aber auch für die relevante Gesamtpopulation herangezogen werden.
Finanzierung und Bezahlmodelle: Gegenwärtig bevorzugt wird dabei im Moment die Einmalzahlung mit einer Rückforderungsoption im Fall von Therapieversagen. Ursächlich dafür sind die Modalitäten für die Leistungen des Risikopools an die Krankenkassen. Beim Einmal-Zahlungs- und Rückforderungsmodell erhält die einzelne Kasse bei einer Hochkostentherapie von einer Million Euro 720.000 Euro aus dem Pool; versagt die Therapie im vierten oder fünften Jahr, kann sie (beispielhaft) je 200.000 Euro vom Hersteller zurückfordern. Per Saldo macht die Kasse einen Gewinn von 120.000 Euro. Anders beim Ratenzahlungsmodell, das seine Rechtfertigung daraus zieht, dass die Einmalbehandlung über viele Jahre wirksam ist und deshalb die Kosten zeitlich verteilt werden: Zahlt die Kasse an den Hersteller dreimal 200.000 Euro, so erhält sie aus dem Risikopool in den ersten beiden Jahren zusammen 240.000 Euro, im dritten Jahr weitere 80.000 Euro. Unter dem Strich bleibt eine effektive Belastung von 280.000 Euro, so Wasems Beispielrechnung. Die Kosten können nicht via Risikopool voll sozialisiert werden.
Die Problematik, so Wasem, sei den Entscheidungsträgern bekannt – ebenso mögliche Lösungen, seit das Bundesamt für Soziale Sicherung dazu vor genau einem Jahr ein entsprechendes Gutachten vorgelegt hat. Handeln müsse nun der Gesetzgeber mit einer Modifikation des Risikostrukturausgleichs und der Ausgestaltung des Risikopools, aber auch der Preisbildungsmöglichkeiten nach dem AMNOG.
Diese Auffassung teilt auch der Medizinrechtler Dr. Gerhard Nitz, insbesondere was die Unattraktivität von Ratenzahlungsmodellen angeht, aber auch hinsichtlich der Schwierigkeiten, ein funktionierendes Erfolgsmonitoring zu organisieren. Grundsätzlich sei ferner zu beobachten, dass das kollektive verpflichtende AMNOG-Erstattungsverfahren selektive Einzelkassenmodelle konterkariert, letztere seien praktisch nur im ersten Jahr nach Markteinführung relevant.
Eine Menge Fragen an den Gesetzgeber
Nitz sieht folgende zentrale Probleme bei gentherapeutischen Einmal-Therapien:
Das Ziel des AMNOG-Erstattungsbetrages sei ein nutzenorientierter Preis – aber ein zentrales Nutzenkriterium bei Einmal-Therapien – deren Wirksamkeitsdauer – sei zum Zeitpunkt der Nutzenbewertungsentscheidung nicht durch Daten belegbar.
Gentherapien seien häufig, aber nicht immer Orphan Drugs, das Therapiespektrum sei ausgesprochen heterogen.
Die 30-Millionen-Euro-Grenze für Orphan Drugs, oberhalb derer Hersteller nun verpflichtet sind, mit ihrem Produkt eine vollumfängliche Nutzenbewertung zu durchlaufen, ist auf der Ebene der Jahrestherapiekosten bestimmt; es findet keine Kostenverteilung (Ratenzahlung) auf mehrere Jahre statt.
Ebenso baue die AMNOG-Preisregulierung auf Jahrestherapiekosten auf; im Grunde genommen wird eine längere Therapiedauer oder eine Dauertherapie unterstellt.
Der Therapieerfolg könne bei einzelnen Patienten unterschiedlich ausfallen.
Daraus, so Nitz, ergibt sich für den Gesetzgeber eine Reihe von Regelungsthemen: Definition von Orphan-, Gen- und Einmaltherapien, preisbildende Kriterien durch Vergleiche, auch innerhalb der EU, Option von Rückvergütungen bei Versagen, aber auch Vereinbarung weiterer Vergütungen oder Ratenzahlungsmodellen, Regelungen für den Fall, dass ein Versicherter die Kasse wechselt, Geltung für PKV und Beihilfe, Entfall der 30-Millionen-Euro-Grenze.
Vergütung deckt aktuell nicht die Versorgungskosten
Mit der ATMP-Qualitätssicherungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, dem Aufbau von Kompetenzzentren für die Behandlung mit ATMP, einer im internationalen Vergleich guten Erhebung von Real-World-Date sowie anwendungsbegleitenden Datenerhebungen sind nach Auffassung des Neuropädiaters Dr. Andreas Ziegler von der Uni Heidelberg wichtige Strukturvoraussetzungen für den Einsatz von Gentherapien geschaffen worden.
Dies müsse allerdings noch um bedeutende Elemente erweitert werden. Im Einzelnen nennt er die Etablierung von Strukturen zur Sicherung von Prozess- und Ergebnisqualität beim Einsatz von ATMP und deren Finanzierung, die Definition eines Versorgungsmodells für Gentherapien und deren Finanzierung, die frühzeitige Definition klinischer Endpunkte und die Schaffung von Plattformen, um diese zu monitoren. Schließlich bedürfe es auch im volkswirtschaftlichen Interesse der Erhebung von Outcomes nach der Zulassung als GKV-Leistung. Wie dies gestaltet werden könnte, soll im Rahmen eines Projekts des GBA-Innovationsfonds (INTEGRATE ATMP) bis September 2026 eruiert werden.
Welches Potential (gentherapeutische) Innovationen in Zukunft haben könnten, zeigt sich an dem immensen, noch nicht gedeckten medizinischen Bedarf: nur für zwei bis drei Prozent der rund 8000 seltenen Erkrankungen gebe es derzeit zugelassene Therapien so Dr. Melanie von Wildenrath, Head of Access and Value von Pfizer Deutschland. Konkret hat das Unternehmen derzeit zwei Projekte in Phase 3 der klinischen Studien: Gentherapien für Duchenne Muskeldystrophie und Hämophilie B. Die meisten bislang zugelassenen und vom Bundesausschuss bewerteten Gentherapien – insgesamt acht – weisen extrem kleine Patientenpopulationen auf, in der Mehrheit wenige Dutzend.
Einmal-Therapien kollidieren mit dem Konzept der Jahrestherapiekosten
Im geltenden Rechtsrahmen des AMNOG sieht auch von Wildenradt Einschränkungen hinsichtlich der Praktikabilität für die Erstattung von (gentherapeutischen) Einmal-Therapien, insbesondere das Konzept der Jahrestherapiekosten. Ferner mache es das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz schwerer, Gentherapien noch im Markt zu halten. Auch die Messung von Erfolgsparametern mit angemessenem Aufwand begegne derzeit Limitationen: die Nutzungsdauer von Paragraf 217-Daten sei auf zwei Jahre beschränkt, Register seien nicht in jedem Indikationsbereich vorhanden, und es gebe keine gesetzliche Grundlage, Ärzte beim Erfolgsmonitoring zu beteiligen. Notwendig sei es, gesetzliche Grundlagen zur Umsetzung innovativer Erstattungsmodelle im Kollektivvertragssystem zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband zu schaffen. Dazu müssten auch der RSA und der Risikopool angepasst werden. Ärzte sollten bei der Erfolgsmessung rechtssicher einbezogen werden können. Wesentlich sei es, sich nicht auf ein einziges neues Erstattungsmodell zu kaprizieren, sondern bewusst im Hinblick auf die Heterogenität der Krankheitsbilder und der darauf zugeschnittenen Therapien Flexibilität zuzulassen.
Novellierung noch in dieser Wahlperiode?
In der Beurteilung der Problemlage und auch der aufgezeigten Lösungsmöglichkeiten stimmten die beiden an der Diskussion teilnehmenden Gesundheitspolitiker, Professor Armin Grau (Bündnis 90/Die Grünen) und Professor Andrew Ullmann (FDP) zu. Zwar sei primär jetzt das Bundesgesundheitsministerium am Zuge, einen Gesetzentwurf zu entwickeln und vorzulegen. Regelmäßig stattfindende Gespräche zwischen den Koalitionsparlamentariern und dem Ministerium sollen das beschleunigen, sodass ein neuer flexiblerer Rechtsrahmen für die Erstattung von Gentherapien nicht erst in der nächsten Legislaturperiode verhandelt wird.
Dabei sei auch zu beachten, so betonte Ullmann, dass die im Rahmen der Krankenhaus-Vergütungsreform geplanten gut 60 Leistungsgruppen als Basis für leistungsspezifische Vorhaltepauschalen nicht hinreichend differenziert und somit nicht geeignet sind, die medizinischen Versorgungskosten der Krankenhäuser beim Einsatz von Gentherapien hinreichend abzubilden.
Gerade dies, so das Monitum des Heidelberger Neuropädiaters Ziegler, sei der Grund dafür, dass ATMP von den Klinikchefs wegen ihrer Finanzierungsrisiken mit besonderer Sorge gesehen werden. Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem bestätigte das: Sowohl NUB- als auch Sonderentgelte finanzieren nur das Arzneimittel an sich, nicht aber den besonderen Aufwand für ärztliche und pflegerische Versorgung sowie für Organisation und Qualitätssicherung.
Quelle: 3. Fachsymposium Gentherapien „Brauchen wir einen Paradigmenwechsel bei der Erstattung?“, 6. November 2023, Berlin und online; Veranstalter: Springer Medizin und Pfizer Pharma GmbH