HINTERGRUND

Blick durchs Mini-Endoskop in den Wirbelkanal - und bei Bedarf wird auch gleich behandelt

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Zu Professor Gerbrand Groen, Schmerzspezialist an der Uniklinik Utrecht in Holland, kommen Patienten, die an ihren chronischen Rückenschmerzen verzweifeln - und an denen Ärzte verzweifeln, weil sie die Schmerzursache nicht finden oder nicht beheben können. "Outcasts", also Ausgestoßene, nennt Groen diese Patienten. Niemand könne ihnen sagen, woran sie leiden, sagte der Schmerzspezialist auf einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie in Köln.

Die Epiduroskopie wurde in Deutschland entwickelt

Für solche Patienten, aber auch bei chronischen Schmerzen in den Beinen, könnte die Epiduroskopie eine neue Option sein, wie bereits kurz berichtet. Die Epiduroskopie ist ein endoskopisches Verfahren zur Diagnostik und zur Therapie bei Veränderungen in Rückenmarksnähe. Die Methode wurde in den 1990er Jahren unter Federführung von Dr. Günter Schütze am Marienhospital Letmathe in Iserlohn entwickelt und beginnt, sich weltweit zu etablieren.

"In Deutschland ist die Methode seit etwa drei Jahren an spezialisierten Zentren Routine, ebenso in einigen anderen Ländern wie den Niederlanden, Österreich, USA oder Japan", sagt Schütze. In Frage komme sie für Patienten, bei denen mit anderen bildgebenden Verfahren wie MRT und CT sowie einer ausführlichen klinischen Diagnostik keine Schmerzursache haben gefunden werden können.

Bei der Epiduroskopie wird der Wirbelsäulenkanal mit einem Mini-Endoskop gespiegelt, das 40 bis 90 cm lang ist und einen äußeren Durchmesser von 2,3 bis 2,8 mm hat. Die Patienten sind leicht sediert und liegen bäuchlings auf dem Op-Tisch. Der Zugang erfolgt nach Lokalanästhesie im Sakralbereich. Um den kaudalen Epiduralraum zu finden und während des Eingriffs die Lage der Endoskopspitze orten zu können, wird geröntgt. Die Bilder werden mit den Endoskopbildern auf einem Monitor zusammengeführt.

"Nach unseren Erfahrungen sind mit dieser Methode Inspektionen bis in den Zervikalbereich möglich", berichtete Schütze. Von den etwa 2500 Patienten, die in Iserlohn behandelt worden seien, hätten die Ärzte bei knapp 100 zervikale Abschnitte komplikationslos untersucht.

    Epiduroskopie ergänzt andere Verfahren.
   

Was aber sehen die Kollegen mit dieser Technik, was sich mit anderen bildgebenden Verfahren nicht erkennen läßt? Es sind epidurale Fibrosen, Adhäsionen, Narben- und Granulationsgewebe, Stenosierungen oder Nervenwurzelkompressionen, die vor allem, wenn sie sich nah am Rückenmark befinden, mit anderen Methoden oft nicht darstellbar sind. Oft entstehen solche Veränderungen etwa nach Bandscheibenoperationen.

Aber auch degenerative Prozesse, Tumoren und chronische Entzündungen können die Ursachen chronischer Schmerzen sein. "Für die Diagnostik ist es oft sinnvoll, gleich bioptisches Material für eine histologische Untersuchung zu entnehmen", so Schütze.

Ein weiteres Hilfsmittel, um die Ursache der Beschwerden aufzuspüren, ist ein Schmerzprovokationstest: "Wir können entweder mit einem Laserstrahl oder mit Hilfe der Spitze des Epiduroskops oder eines mikrochirurgischen Instruments im Verdachtsbereich auf Schmerz testen", berichtete Schütze bei einem dreitägigen Workshop in Köln. Der Patient erkenne gut, ob derselbe Schmerz ausgelöst werde, weswegen er behandelt werden soll, oder nicht.

Aber die Epiduroskopie eignet sich nicht nur für die Diagnostik, sondern auch für die Therapie. Mit winzigen Instrumenten können die Ärzte Fibrosierungen, Adhäsionen oder Stenosen mechanisch oder auch mit Hilfe von Laserstrahlen beseitigen. Außerdem können über einen Katheter lokal entzündungshemmende oder schmerzstillende Medikamente verabreicht werden, wenn systemische Behandlungen nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben.

Epiduroskopische Interventionen können auch kombiniert werden. Das ergab eine Studie der Uni Cleveland mit 83 Patienten. Die Patienten hatten Schmerzen wegen epiduraler Adhäsionen nach chirurgischen Eingriffen.

Die Kombination aus mechanischer Adhäsiolyse mit lokaler Injektion von Steroiden und Analgetika im selben Eingriff war wirkungsvoller als die alleinige Injektion der Medikamente: Nach sechs Monaten hielt die deutliche Schmerzlinderung noch bei 56 Prozent der Probanden der Kombitherapie-Gruppe an.

In der Kontrollgruppe waren die Effekte nach einem Monat verschwunden (BMC Anesthesiology 5, 2005, 10). Unerwünschte Effekte sind selten: Außer Schmerzen an der Einstichstelle und Kopfschmerz wurden weltweit bei zwei Patienten Retinablutungen beobachtet.

Nicht alle Krankenkassen übernehmen die Kosten

Wann könnte die Epiduroskopie heute eine Option sein? "Bei rückenmarksnahen Schmerzen, wenn sich nach klinischen Untersuchungen und mit bildgebenden Verfahren wie CT und MRT die Ursache nicht hat finden lassen", sagte Schütze. Ein großer Teil der Patienten, die mit der Methode in Iserlohn behandelt werden, habe eine oder mehrere Bandscheibenoperationen hinter sich. Nicht alle gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten. Patienten sollten sich vorher erkundigen.

Weitere Infos unter www.pain.de oder per E-Mail: schuetze@pain.de

Literatur: Günter Schütze: Epiduroskopie. Pabst Science Publishers, Lengerich, 2006, 150 S., 35 Euro, ISBN 3-89967-252-6



FAZIT

Die minimal-invasive Epiduroskopie ist nicht nur eine Diagnostik-Option bei chronischem Rückenschmerz. Man kann in einem Untersuchungsgang auch therapieren, etwa Verklebungen oder Narben lösen sowie lokal Analgetika und Steroide injizieren. Die Epiduroskopie ist zum Beispiel eine Option für Patienten mit anhaltenden Schmerzen im Rücken oder den Beinen, bei denen etwa mit MRT keine Ursache gefunden wurden, oder die schon mehrfach erfolglos operiert worden sind. (eb)

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