Der Wandel des Metformins vom Stiefkind zum Kronprinz

Von der Zusatztherapie nach primärem Therapieversagen zur Ersttherapie bei Typ-2-Diabetes: der Paradigmenwechsel bei Metformin.

Von Prof. Hellmut Mehnert Veröffentlicht:

Mitte der 50iger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde Phenformin durch Krall, Metformin durch Sterne und Buformin durch Mehnert und Seitz in die Behandlung von Diabetikern mit Biguaniden übernommen. Zunächst wurden alle drei Substanzen in zunehmendem Maße verordnet. In den 70iger-Jahren aber kam es zu einer Entwicklung, die das Ende dieser Stoffgruppe herbeizuführen schien: Unter Phenformin und Buformin traten vermehrt Lactacidosen auf, eine Komplikation, die in der Hälfte zum Tode führte. Zu dieser Situation kam es wegen der hohen Milchsäure bildenden Potenz von Buformin und Phenformin und wegen der mangelnden Beachtung von Kontraindikationen.

Im Experiment zeigte sich, dass vor allem die Milchsäurebildung unter Metformin erheblich geringer ist als unter Buformin und Phenformin. Die beiden letzten Substanzen wurden aus dem Handel genommen, das Biguanid Metformin durfte weiter verordnet werden. Damals galten aber strenge Richtlinien, die darin gipfelten, dass Metformin nur dann verordnet werden durfte, wenn nicht die bekannten Kontraindikationen (Niereninsuffizienz, anoxische Zustände, Alkoholismus und andere) vorlagen und wenn mit anderen Substanzen kein ausreichender Erfolg zu erzielen war.

Das Stiefkind Metformin wurde von bestimmten Arbeitsgruppen förmlich verteufelt. Dabei bot sich dieses Präparat geradezu als Ergänzung zu den Sulfonylharnstoffen an, da es mit seinem nichtinsulinotropen Wirkmechanismus (vor allem Bremsung der hepatischen Gluconeogenese) andersartig den Blutzucker senkte als die Sulfonylharnstoffe und überdies nicht zu Hypoglykämien und zur Gewichtszunahme führte. Gerade die Kombination dieser Substanzen, die ja auch wegen der additiven Wirkung auf die Blutzuckersenkung interessant und wünschenswert war (Mehnert 1958), gab also Anlass zum Einsatz von Metformin.

1998 kam es zu einem therapeutischen Paukenschlag: bei der Präsentation der Ergebnisse der UKPDS (United Kingdom Prospective Diabetes Study) wurde festgestellt, dass allein Metformin bei übergewichtigen Patienten die Herzinfarktrate und die diabetesbezogene Sterberate signifikant senkte. Jetzt wurde das Stiefkind zum Kronprinz: Im Gegensatz zu den früheren Empfehlungen wurden die Indikationen umgekehrt.

Als erstes sollte unabhängig vom Körpergewicht Metformin gegeben werden, nach den neuen Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft schon als erste Therapiestufe zusammen mit Ernährungs- und Bewegungstherapie und dann erst zur Kombination mit anderen oralen Antidiabetika oder Insulin übergegangen werden. Seitdem ist Metformin also das Maß aller Dinge bei den oralen Antidiabetika. Es wird bevorzugt kombiniert mit Sulfonylharnstoffen, aber auch mit Glitazonen, Acarbose und vor allem mit DPP-4-Hemmern, von denen Sitagliptin bereits über zwei Jahre im Handel ist und seinen insulinotropen Effekt ohne Hypoglykämien entfaltet.

Nach allerneuesten Meldungen vom EASD-Kongress 2009 in Wien mindert Metformin übrigens signifikant das Krebsrisiko, auch in Kombination mit oralen Antidiabetika oder sogar mit Insulin.

Welch ein Paradigmenwechsel: früher durfte Metformin nur zusätzlich eingesetzt werden, während jetzt die Therapie mit Metformin beginnen soll und dann andere Substanzen hinzugegeben werden können.

Professor Hellmut Mehnert

Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten - diesen Themen widmet sich Professor Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren. 1967 hat Mehnert die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht. Er hat auch das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland ins Leben gerufen. Mehnert ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.

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