"H5N1 ist nicht der einzige Pandemie-Kandidat"

ROTTERDAM (mut). Auch wenn in der Türkei inzwischen 17 Menschen schwer an dem Vogelgrippe-Virus H5N1 erkrankt sind, erhöht das die Gefahr eine Grippe-Pandemie bei Menschen nicht dramatisch. Darauf weist der Virologe Professor Albert Osterhaus hin. Doch jede Erkrankung bei Menschen sei für die H5N1-Viren eine neue Chance, sich an Menschen anzupassen.

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Osterhaus ist einer der weltweit bekanntesten Virenjäger und Grippe-Experten. Der Virologe aus Rotterdam in den Niederlanden hatte bereits vor der Gefahr einer Pandemie unter Menschen durch Vogelgrippe-Viren gewarnt, als davon in den Medien kaum zu hören und zu lesen war, und er hat immer wieder darauf hingewiesen, daß Europa schlecht auf eine solche Pandemie vorbereitet ist.

Doch spätestens nach dem Ausbruch der Vogelgrippe bei Geflügel in der Türkei ist die Pandemie-Gefahr ein große Medienthema, und Osterhaus versucht jetzt eher, zu beruhigen: Zwar seien in der Türkei bereits 17 Menschen an Vogelgrippe erkrankt, bei insgesamt über 150 Erkrankten weltweit sei dies jedoch ein begrenzter Anstieg, sagte Osterhaus im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

"Das erhöht das Risiko nicht dramatisch, daß es zu einer Mensch-zu- Mensch-Übertragung des Virus kommt", sagte der Virologe. Jedoch sei jede Vogelgrippe-Erkrankung bei einem Menschen eine neue Chance für das Virus, sich an Menschen anzupassen und wie eine normale Grippe übertragen zu werden. "Jeder Anstieg der Erkrankungszahlen bei Menschen ist daher ein schlechte Nachricht".

H5N1 hatte viele Chancen, sich an Menschen anzupassen

Doch ist das derzeit kursierende Vogelgrippe-Virus H5N1 wirklich der wahrscheinlichste Kandidat für ein Pandemie-Virus? Schließlich zieht das Virus schon seit neun Jahren durch Asien, vermutlich hatten mehrere Millionen Menschen damit Kontakt, ohne daß es zu eine Anpassung kam.

   
"Keiner weiß, wie lange es dauert, bis sich ein Tiervirus an Menschen anpaßt"
 
Professor Albert Osterhaus
Virologe und Influenza-Experte
   

"So kann man auch argumentieren. Tatsächlich hatte das Virus ja viele Gelegenheiten, sich so anzupassen, daß es von Mensch zu Mensch übertragen wird, was bisher aber nicht geschehen ist. Ich halte es daher für möglich, daß ein komplett anderes Influenza-Virus die nächste Pandemie auslöst", sagte Osterhaus. "Allerdings haben wir keine Ahnung, wie lange es dauert, bis sich ein Tier-Influenzavirus an Menschen anpaßt. Darüber läßt sich nur schwer spekulieren."

Wenn es zutrifft, daß auf eine schwere Vogelgrippe-Erkrankung durch H5N1 bei Menschen mehrere hundert milde verlaufende Erkrankungen kommen, wie es eine neue Studie nahelegt (wir berichteten), dann sei dies ebenfalls ein Hinweis darauf, daß das Pandemie-Potential von H5N1 vielleicht doch nicht so groß ist, wie bisher angenommen, so Osterhaus, denn dann hätten sich noch viel mehr Menschen als bisher bekannt mit dem Tiervirus infiziert, ohne daß es zu einer Anpassung an Menschen kam.

Der Virologe will die Studienergebnisse aber nicht überbewerten: In der Arbeit wurde berichtet, daß während eines Vogelgrippe-Ausbruchs in Vietnam bei Menschen mit direktem Kontakt zu erkrankten Hühnern vermehrt Grippesymptome auftraten. Da es aber keine serologischen Untersuchungen gab, könne man nicht sagen, ob diese Menschen tatsächlich an einer mild verlaufenden Vogelgrippe erkrankt waren.

Osterhaus will jedoch nicht warten, bis es tatsächlich zu einer Pandemie kommt, er will schon vorher entschlüsseln, welches Tier-Influenzavirus die Fähigkeit hat, sich an Menschen anzupassen. So sind Versuche geplant, im Labor Zellen mit menschlichen Grippeviren und H5N1 gleichzeitig zu infizieren, um zu schauen, ob daraus neue, für Menschen gefährliche Viren entstehen - genau das wird befürchtet, wenn sich Menschen mit H5N1 und saisonalen Grippeviren zugleich infizieren. Osterhaus fehlt dazu jedoch noch ein Hochsicherheitslabor.

Auch H7N7 gilt als Kandidat für eine Grippe-Pandemie

Inzwischen forscht er an einem anderen Vogelgrippe-Virus: H7N7 löste 2003 in den Niederlanden einen Ausbruch unter Geflügel aus, bei dem sich auch knapp 90 Menschen infizierten - meist hatten sie nur milde Symptome. Doch ein Tierarzt starb daran, und offenbar kam es auch zu einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung. Der Virologe hat das Virus, das man bei dem Tierarzt isoliert hatte, untersucht und einige Merkmale gefunden, die es besonders aggressiv machten. Diese Erkenntnisse sollen helfen, potentielle Pandemie-Viren rechtzeitig zu erkennen.

ZUR PERSON

Professor Albert Osterhaus gilt als einer der erfolgreichsten Virenjäger. Der Leiter des Virologischen Instituts der Erasmus-Universität in Rotterdam erkannte in den 80er Jahren, daß das Robbensterben in der Nordsee durch ein Staupevirus verursacht wurde. Sein Labor war 2004 an der Identifizierung des Sars-Virus beteiligt: Osterhaus belegte, daß einzig ein bestimmtes Coronavirus dazu in der Lage ist, bei Affen Sars hervorzurufen. Osterhaus war es auch, der das H5N1-Virus 1997 als Krankheitsursache bei Menschen identifizierte, die 1997 in Hongkong bei einem Vogelgrippeausbruch starben. Der 1948 in den Niederlanden geborene Tiermediziner und Virologe leitet an der Erasmus-Universität inzwischen ein 100 Personen starkes Team. Er ist Direktor des niederländischen WHO-Influenzazentrums sowie des globalen WHO-Masern-Referenzlabors. Der Forscher besitzt zudem zwei Biotechnik-Unternehmen. (mut)

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