Hintergrund

Neugeborenen-Screening erspart Krankheit und Behinderung

Die angeborene Hypothyreose ist ein gutes Beispiel, wie sinnvoll Neugeborenen-Screening ist. Früh behandelt entwickeln sich die Kinder fast unauffällig. Oft  müssen dann die Eltern zur Fortsetzung der Therapie motiviert werden.

Von Lajos Schöne Veröffentlicht:
Mit dem seit 2005 in ganz Deutschland etablierten Screening werden nahezu alle Neugeborenen erreicht.

Mit dem seit 2005 in ganz Deutschland etablierten Screening werden nahezu alle Neugeborenen erreicht.

© Marcin Sadlowski / fotolia.com

Schon in den ersten Lebenstagen eines Kindes wird nach angeborenen Krankheiten gesucht. "Mit dem seit 2005 in ganz Deutschland etablierten Screening werden nahezu alle Neugeborenen erreicht", berichtet Professor Berthold Koletzko von der Stiftung Kindergesundheit.

Jährlich wird so bei etwa 500 Neugeborenen in Deutschland eine angeborene Hormon- oder Stoffwechselkrankheit diagnostiziert. Durch eine frühe Therapie können bei ihnen schwere Behinderungen und sogar Todesfälle verhindert werden.

Angeborene Krankheiten äußern sich nur selten in sichtbaren körperlichen Veränderungen. "Meist sind die Säuglinge anfangs unauffällig und entwickeln nur nach und nach Symptome", betont der Kinder- und Jugendarzt. Für eine erfolgreiche Behandlung ist es dann aber vielfach schon zu spät.

Ein Beispiel dafür ist die Unterfunktion der Schilddrüse. Die jodhaltigen Hormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) steuern Stoffwechselvorgänge in den Körperzellen und beeinflussen so das Wachstum und auch die geistige Entwicklung eines Kindes.

Nach Angaben der Stiftung Kindergesundheit hat etwa eins von 3.900 Säuglingen eine angeborene Hypothyreose. Unbehandelt sind betroffene Kinder teilnahmslos und ermüden leicht, es kommt zu Appetitlosigkeit und Verstopfung, die Haut wird trocken und gelb, die Haare struppig.

Weitere Zeichen können eine große Zunge, eine heisere Stimme und ein aufgetriebener Bauch mit einem Nabelbruch sein. Besonders empfindlich reagiert das Gehirn: Der Mangel führt zu Wachstumsstillstand und schweren bleibenden geistigen Behinderungen (Kretinismus).

Dies alles kann dem Kind erspart werden, wenn bereits in den ersten vier Lebenswochen mit L-Thyroxin behandelt wird. Die Substitution muss zur Verhütung von Hirnschäden meist lebenslang weitergeführt werden.

Bei rechtzeitiger Therapie unterscheiden sich die Kinder später im Intelligenzniveau kaum von gesunden Altersgenossen oder den eigenen Geschwistern. Oft zweifeln Eltern dann an der Diagnose und müssen immer wieder zur Weiterführung der Therapie motiviert werden.

Für die Diagnostik bei der Basisuntersuchung (U2) wird ein wenig Blut aus der Ferse des Neugeborenen auf einem Testblatt an eins der 15 deutschen Laboratorien versandt, die derzeit das Screening anbieten. Außer auf Schilddrüsenunterfunktion wird nach weiteren 13 angeborenen Störungen gefahndet.

Dazu gehört auch die Phenylketonurie (PKU), die in Deutschland etwa eines von 5.500 Neugeborenen betrifft. Durch einen Enzymdefekt im Eiweißstoffwechsel gelangen toxische Stoffe ins Blut. Eine Entwicklungsverzögerung, häufig auch Krampfanfälle und fortschreitende geistige Behinderung sind die Folgen (Phenylbrenztraubensäure-Schwachsinn).

Ergibt sich mit Tandem-Massenspektrometrie (TMS) die Diagnose PKU, wird das Kind sofort auf eine Diät gesetzt, die nur sehr wenig Phenylalanin enthalten darf. Wird die Diät mindestens bis zum 12. Lebensjahr streng und danach gelockert eingehalten, dann ist eine Schädigung nicht zu befürchten.

Ebenso wird nach Galaktosämie gefahndet. Mit dieser Milchzuckerunverträglichkeit muss einmal bei rund 74.000 Geburten gerechnet werden. Auch hier kann dank frühzeitiger Diät eine schwere Schädigung und der Tod betroffener Kinder verhindert werden.

Wesentlich seltener (einmal unter 162.000 Geburten) wird mit dem Test eine Ahornsirupkrankheit (maple syrup urine disease, MSUD) entdeckt. Die Therapie besteht aus einer lebenslangen Diät, ohne Behandlung droht der Tod bereits im Säuglingsalter.

Die für das Screening benötigte Blutprobe sollte im Idealfall nicht vor der 36. und nicht nach 72. Stunde nach der Geburt genommen werden. Die strenge Vorgabe kann zu Problemen führen, betont die Stiftung Kindergesundheit.

Nicht jedes Kind wird in einer Klinik geboren und viele Mütter sind heute schon vor dem dritten Lebenstag mit ihrem Baby wieder zu Hause. Wird ein Baby schon vor der 36. Lebensstunde entlassen, müssen eine erste Probe schon vorher genommen und die Eltern auf die Notwendigkeit einer weiteren Blutentnahme am dritten Lebenstag hingewiesen werden.

Der Zeitpunkt der Vorsorgeuntersuchung U2 durch den Kinderarzt - bis zum 10. Lebenstag - kann schon den Erfolg des Screenings beeinträchtigen.

www.kindergesundheit.de

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