Abwrackprämie statt Pandemie-Impfung

Ein neues Pandemievirus taucht auf und lehrt die Welt das Fürchten. In großer Eile wird ein Impfstoff produziert. Doch als das große Sterben ausbleibt, entwickelt sich die Vakzine zum Ladenhüter.

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In Düsseldorf stehen Menschen Anfang November 2009 vor einem Impfzentrum Schlange. Nach dem ersten Ansturm ebbt die Nachfrage deutlich ab.

In Düsseldorf stehen Menschen Anfang November 2009 vor einem Impfzentrum Schlange. Nach dem ersten Ansturm ebbt die Nachfrage deutlich ab.

© dpa

Deutschland, im Herbst 2009. Die Schweinegrippe hat es 2009 in Deutschland weit gebracht - immerhin auf Platz Drei unter den zehn "Wörtern des Jahres", was zeigt, wie sehr sie die Gemüter in Wallung brachte.

Dabei fing alles recht harmlos an in dem kleinen Dorf La Gloria in Mexiko mit seinen 3000 Einwohnern und 15.000 Schweinen. Ende März 2009 wird der fünfjährige Edgar Hernandez dort vermutlich das erste Opfer der Krankheit.

Er erholt sich zwar wieder, andere aber nicht: Das neue Virus breitet sich rasch in Mexiko aus und verursacht vor allem bei jungen Menschen schwere Pneumonien, nicht wenige sterben. Ende April sprechen die mexikanischen Behörden von rund 150 Toten.

Die WHO schlägt Alarm, schnell können Forscher das Erbgut entschlüsseln und finden ein bis dato unbekanntes Influenzavirus: eine Kreuzung aus H1N1-Schweinegrippe, etwas H3N2-Humaninfluenza und einer Prise Vogelgrippe.

Von nun an ist klar: Die Menschheit steht vor der ersten Influenza-Pandemie seit mehr als 40 Jahren.

Alle Bemühungen, das neue H1N1-Virus an der Ausbreitung zu hindern, scheitern ebenso kläglich wie der Versuch, es vernünftig zu benennen.

Vorschläge wie "Neue Grippe" setzen sich allenfalls in Amtsstuben durch, und für eine "Mexikanische Grippe" ist es bald zu spät, schließlich wandert das Virus schnell in die USA und von dort aus in die ganze Welt, es bleibt also beim Schwein als Namensgeber.

Pure Geldverschwendung?

In Deutschland wird die Krankheit Ende April von Reisenden eingeschleppt, kann sich aber im Sommerhalbjahr nicht nennenswert verbreiten, anders auf der Südhalbkugel: In Australien und Neuseeland wird bald jedes 20. Bett auf den Intensivstationen von Grippekranken belegt.

Dennoch verläuft die Pandemie relativ mild, ein hohes Risiko für schwere Verläufe haben vor allem Schwangere und chronisch Kranke.

Weltweit sterben nach Modellrechnungen 280.000 Menschen an der Infektion - weit weniger als befürchtet. Im Gegensatz zur saisonalen Grippe sind es aber meist junge Menschen, die das Virus aus dem Leben reißt.

Zum Beginn des Winters auf der Nordhalbkugel gibt es dann auch einen Impfstoff - eine wahrhaft historische Leistung: Erstmals in der Geschichte der Menschheit gelingt es, noch während einer laufenden Pandemie ein Abwehrmittel zu entwickeln.

Als jedoch das große Sterben ausbleibt, formiert sich in Deutschland eine breite Front von Impfgegnern, die lieber über hypothetische Nebenwirkungen der Vakzine als die realen Gefahren der Infektion diskutieren.

In einem Land, das gerade fünf Milliarden Euro über die Abwrackprämie in seine Autoindustrie pumpt, weil sie an einer kurzen konjunkturellen Erkältung leidet, äußern selbst Ärztevertreter wie BÄK-Vizepräsidentin Dr. Cornelia Goesmann die Ansicht, ein Siebtel dieser Summe zum Schutz der Bevölkerung vor einer Pandemie sei Geldverschwendung und die Massenimpfung eh eine Kampagne der Pharmaindustrie.

Damit ist auch klar, was konsequenterweise "Wort des Jahres 2009" wird - eben die Abwrackprämie. (mut)

Grippeimpfstoff wird zum Trauma der Länder

Am 24. Juli 2009 gibt das Thüringer Gesundheitsministerium im Auftrag der Länder eine folgenschwere Bestellung auf: 50 Millionen Impfdosen für rund 700 Millionen Euro. Zu dem Zeitpunkt ist man davon ausgegangen, dass pro Person zwei Impfungen benötigt werden. Somit können zunächst 25 Millionen Menschen geimpft werden - bevorzugt Risikogruppen wie Menschen mit chronischen Krankheiten, aber auch Beschäftigte im Gesundheits- und Rettungswesen. Schnell stellte sich heraus, dass die bestellte Impfstoffmenge deutlich zu hoch war - durch Nachverhandlungen im Dezember 2009 kann ein Teil der Impfdosen abbestellt werden. Im November 2011 landeten rund 16 Millionen Impfdosen im Brennofen. Für die Länder wird die Bestellung zum Trauma: Sie bleiben trotz Verhandlungen mit dem Bund auf den Kosten sitzen. (bee)

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