Die Angst des Schützen beim Elfmeter

Elfmeter! Das bedeutet für den Strafstoßschützen: Jetzt nicht versagen! Der Leipziger Psychologe Georg Froese hat für seine Doktorarbeit alle Elfmeter in der Geschichte der Fußball-Bundesliga analysiert. Er ist überzeugt: Die Trefferquote lässt sich deutlich erhöhen.

Von Sabine Kemmler Veröffentlicht:
Schuss, Tor! Der Psychologe Georg Froese untersucht die Psychologie des Elfmeterschießens.

Schuss, Tor! Der Psychologe Georg Froese untersucht die Psychologie des Elfmeterschießens.

© Woitas / dpa

LEIPZIG. "Die Angst des Torwarts beim Elfmeter" - so heißt ein berühmter Roman des Schriftstellers Peter Handke aus dem Jahr 1970. Fußball-Experten haben schon immer gewusst, dass Handke bei der Wahl des Titels von falschen Voraussetzungen ausgegangen sein muss: Wenn einer Angst hat vor dem Strafstoß, dann ist es der Schütze. Nur er kann versagen, der Torhüter hat im Grunde nichts zu verlieren.

Eigentlich ist es einfach, ein erfolgreicher Elfmeterschütze zu werden, erklärt der Leipziger Psychologe Georg Froese. Vorausgesetzt, der Schütze verfügt über ein gewisses Niveau, sollten drei Regeln reichen: Plan erstellen, Plan trainieren, mutig schießen. Um welchen konkreten Plan es sich tatsächlich handelt, das will Froese in seiner Doktorarbeit verraten, die allerdings noch nicht ganz fertig ist. Thema: Die Psychologie des Elfmeters.

Seit 25 Jahren aktiver Fußballer

Der 31-Jährige ist selbst seit 25 Jahren aktiver Fußballer. Er sei kein begnadeter Elfmeterschütze, gibt er freimütig zu, in der Theorie darf er sich hingegen als Spezialist bezeichnen. Nachdem Froese die Fachliteratur gründlich analysiert hatte, wandte er sich sämtlichen verfügbaren Statistiken der rund 4 000 Elfmeter aus der Historie der Fußball-Bundesliga zu, die - zur Erinnerung - 1963 ihren Spielbetrieb aufnahm.

Geringe körperliche Erregung - eine gute Basis

Froese ist davon überzeugt, dass es möglich ist, die Trefferquote mit gezieltem Training zu erhöhen. Die Trefferwahrscheinlichkeit könne von derzeit rund 75 Prozent auf über 80 oder gar 90 Prozent gesteigert werden, sagt er. In einem großen Feldexperiment hat der Wissenschaftler die Persönlichkeit erfolgreicher Elfmeterschützen beleuchtet.

Eine Kerneigenschaft gilt für alle Fußballer, die am Elfmeterpunkt stehen: Je geringer die körperliche Erregung ist, um so besser! Es gibt darüber hinaus für die unterschiedlichen Persönlichkeits-Typen passende Strategien für den Torerfolg.

"Bauchtypen" sind erfolgreicher, wenn sie platziert und scharf in eine Ecke schießen, wohingegen "Kopftypen" am ehesten einen Treffer erzielen, wenn sie sich den Torwart ausgucken. Hier wartet der Schütze auf eine Reaktion des Torhüters und zielt im letzten Moment in die andere Ecke. Dies erfordert eine gute "Wahrnehmungs-Handlungs-Kopplung". Durch Übung könne die nötige Zeit für diese hochkomplexen Abläufe jedoch verringert werden, sagt Froese.

Jörg Butt etwa, Torhüter beim FC Bayern München, der zuweilen auch als Elfmeterschütze auftritt, ist ein Vertreter des "Kopftyps". Das belegt seine eigene Darstellung von Erfahrungen bei Strafstößen. Während des Anlaufs, sagt er, habe er noch keine Ahnung, wohin er schießt, die Entscheidung falle erst im allerletzten Moment.

Psychologe Froese hat auch Antworten auf die Fragen zur Interaktion zwischen Elfmeterschützen und Torhüter gesucht. Wie beeinflusst das Verhalten des einen die Reaktion des anderen? Auf Grundlage welcher Signale werden die Entscheidungen getroffen? Schützen nutzen die Gesten des Torhüters, beispielsweise wenn der Arm in eine bestimmte Torecke zeigt, nur dann, wenn der Keeper gleichzeitig auch etwas versetzt positioniert steht, fand Froese heraus. Tormänner hingegen achten in der Regel auf das Blickverhalten und den Anlaufwinkel von Elfmeterschützen. (vermeintliche) Signale können natürlich auch als Täuschungsmanöver eingesetzt werden.

Kommt es - wie etwa bei Fußball-Weltmeisterschaften nach der Vorrunde - in einem Spiel nach Verlängerung zum entscheidenden Elfmeterschießen, weiß Froese, wer mit hoher Wahrscheinlichkeit als Sieger vom Platz geht. "Wir haben herausgefunden, dass dann jene Mannschaft einen Vorteil hat, die in der regulären Spielzeit das letzte Tor vor dem Abpfiff erzielt", berichtet er. "Spieler dieser Mannschaft zeigen sich treffsicherer. Die Schützen jener Teams hingegen, die sich schon als Sieger wähnten, sind dieser Situation weniger gewachsen."

Ein kurioser Strafstoß von Johan Cruyff

Kuriose Elfmeter wird es auch weiterhin geben, sagt Froese. Sein Favorit ist die sogenannte Cruyff-Variante - benannt nach dem begnadeten holländischen Starkicker Johan Cruyff, der sie erstmalig in den 70er Jahren anwandte. Dabei spielt der Elfmeterschütze den Ball nur einige Zentimeter nach vorne. Ein zuvor informierter Mitspieler läuft von der Strafraumgrenze an und kann das Tor dann noch leichter erzielen - so der Plan, der damals aufging, an dem aber Nachahmer kläglich scheiterten.

Froeses Arbeit mit Trainingsplan soll ab Januar 2011 zur Verfügung stehen. Wird Elfmeterschießen in Zukunft langweiliger? "Niemals", sagt Froese. Er hofft, dass sich die Psychologie in Zukunft auch dem Torwart-Training zuwenden wird.

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