Interview

"Die erste Frage: Wer bezahlt Euch?"

Ärzte ohne Grenzen wird am Samstag 40 Jahre alt. Im Interview spricht Geschäftsführer Frank Dörner über die Hilfe in Afghanistan.

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Entmilitarisierte Zone. Das Boost Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Lashkargah in der afghanischen Provinz Helmand.

Entmilitarisierte Zone. Das Boost Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Lashkargah in der afghanischen Provinz Helmand.

© Pascale Zintzen

Ärzte Zeitung: Nach Anschlägen auf Ärzte ohne Grenzen hat die Organisation 2004 Afghanistan verlassen. Inzwischen sind sie wieder im Land. Welche Projekte verfolgen Sie dort?

Frank Dörner: Wir haben im Jahr 2009 in der Provinz Helmand ein Krankenhaus eröffnet. Im südlichen Kabul haben wir ein Provinzkrankenhaus mit dem Schwerpunkt Frauengesundheit übernommen und führen es weiter. Sein Einzugsgebiet umfasst etwa 300.000 Menschen.

Mittlerweile sind wir auch in Kundus im Norden des Landes tätig. Dort unterhalten wir ein Traumazentrum, in dem speziell Kriegsverletzten und Unfallopfern chirurgische Nothilfe geleistet wird. Anfang 2012 eröffnen wir in Khost an der Grenze zu Pakistan ein Krankenhaus mit dem Schwerpunkt Frauengesundheit und Geburtenvorsorge, aber auch für Chirurgie.

Ärzte Zeitung: Sind Sie in Kundus in Kontakt mit der Bundeswehr?

Dörner: Wir reden mit allen Konfliktparteien. Und die Bundeswehr ist für uns eine Konfliktpartei. Für uns ist immer wichtig, klar zu sagen: Wir sind keine Partner einer militärischen oder politischen Organisation.

Ärzte Zeitung: Wie gefährlich ist die Arbeit in Afghanistan?

Dr. Frank Dörner, Ärzte ohne Grenzen

Aktuelle Position: Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland.

Werdegang/Ausbildung: Studium Allgemeinmedizin in Berlin, promoviert in Tropenmedizin.

Karriere: Seit 1998 in verschiedenen Funktionen bei Ärzte ohne Grenzen mit Einsätzen rund um die Welt.

Dörner: Daran, dass seit unserer Rückkehr nach Afghanistan im Jahr 2009 unseren Mitarbeitern nichts passiert ist, kann man zumindest sehen, dass unsere Sicherheitsnetze funktionieren. Ein Restrisiko bleibt.

Wir versuchen, möglichst klar zu verstehen, wo eventuelle Anschlagsziele außerhalb der medizinischen Einrichtungen sein könnten, und meiden sie. Gleichzeitig versuchen wir möglichst sichtbar zu sein. Wir sind als Ärzte ohne Grenzen immer deutlich erkennbar. Würden wir uns tarnen, würde das die Frage aufwerfen: Was wollen die eigentlich wirklich?

Ärzte Zeitung: Wie weisen Sie Ihre Neutralität nach?

Dörner: Wenn wir kommen, ist eine der ersten Fragen: Wo bekommt Ihr Euer Geld her? Auch in Afghanistan haben wir sehr schnell gesehen, dass die Oppositionsparteien wissen wollten, ob wir die US-Regierung, die britische oder die deutsche Regierung zu unseren Geldgebern zählen. Wir müssen immer wieder erklären, dass wir unabhängig sind.

Unsere Aktivitäten richten sich ausschließlich an den medizinischen Bedürfnissen der Bevölkerung aus und sind niemals Teil einer politisch-militärischen Strategie oder gar in militärische Aktivitäten eingebettet oder koordiniert. Das gilt nicht nur in Afghanistan, sondern auch für andere Regionen, wo ähnliche Konflikte herrschen, zum Beispiel für die Demokratische Republik Kongo.

Das hat viel damit zu tun, dass die Politiker erkannt haben, dass das Label humanitäre Hilfe sehr gut zu gebrauchen ist. Es hört sich viel besser an, eine humanitäre Intervention zu beginnen als einen Krieg zu erklären.

Ärzte Zeitung: Deutschland hat 100 Millionen Euro zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten freigegeben. Ihnen ist das zu wenig. Warum?

Dörner: Der Globale Fonds, für den dieses Geld bestimmt ist, hat sich seit 2002 zu einem sehr effektiven internationalen Werkzeug im Kampf gegen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria entwickelt. Die jetzt freigegebenen 100 Millionen Euro waren längst versprochen und eingeplant.

Aber jetzt steckt der Fonds in Geldnöten. Vor wenigen Tagen musste er in Accra in Ghana eine Notlösung beschließen, die die existierenden Projekte am Laufen halten soll. Ausweitungen sind dann aber nicht mehr möglich. Und das bedeutet schlicht, dass viele Tausende Menschen einen unnötigen Tod sterben müssen.

Es wäre ein Zeichen der Bundesregierung zu sagen, wir erhöhen unsere Zusagen an den Globalen Fonds, während andere sich zurückziehen.

Ärzte Zeitung: Über wie viel Geld reden wir?

Dörner: Wir reden über Milliarden Euro, die zur Verfügung gestellt werden müssen. Das hört sich nach viel an. Es ist wissenschaftlich klar belegt, dass es wichtig ist, HIV/Aids früh und viel zu behandeln, um weitere Infektionsrisiken zu vermeiden. Deshalb ergibt eine solche Investition auch ökonomisch einen Sinn.

Ärzte Zeitung: Ist Ärzte ohne Grenzen im Gespräch mit der Pharmaindustrie über den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten?

Dörner: Wir haben die Kampagne für den Zugang zu Medikamenten gestartet, als wir 1999 den Friedensnobelpreis bekommen haben. Seither hat sich in Teilbereichen Einiges zum Positiven gewendet. 2011 wurde der Patent-Pool ins Leben gerufen. Das ist ein Werkzeug, um Patente auf Arzneien in armen Gebieten verfügbar zu machen.

Pharmahersteller, die diese Patente halten, können sie auf freiwilliger Basis einfach in den Pool geben, aus dem sie dann in wirtschaftlich schwachen Gebieten zur Verfügung gestellt werden können. Das läuft zwar nur schleppend an, ist aber ein erster Schritt.

Das Interview führte Anno Fricke

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