Ein Besuch der Seniorenbegleiterin wirkt oft wie ein Lebenselixier

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GOTHA (ddp). Auf dem Weg zum nächsten Besuch gehen Marion Walter die Erzählungen der Senioren durch den Kopf. Sie ist eine von 20 Seniorenbegleiterinnen in Thüringen, und für viele der von ihr Betreuten oft die einzige Person, mit der die alten Menschen mal ein Schwätzchen halten können.

Die Seniorenbegleiterin Marion Walter macht mit einem von ihr ambulant betreuten Rentner Atem-Übungen in seiner Wohnung.

Die Seniorenbegleiterin Marion Walter macht mit einem von ihr ambulant betreuten Rentner Atem-Übungen in seiner Wohnung.

© Foto: ddp

Marion Walter wurde im vergangenen Jahr in einem Pilotprojekt des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ausgebildet. Die Volkssolidarität Gotha hat diesen ungewöhnlichen Modellversuch gestartet und sie - die sich zuvor als ehrenamtliche Helferin bewährt hat - für zunächst zwei Jahre fest angestellt übernommen.

In einem grauen Plattenbau mitten in Gotha wohnt Rolf Ferber. Ihm geht es heute schlecht. Eigentlich sieht der 76-jährige Mann mit dem glatten Gesicht und dem nach hinten gekämmten, weißen Haar rüstig aus. Doch der Eindruck täuscht - Herr Ferber deutet auf seinen Brustkorb, dann zählt er keuchend auf: Der rechte Lungenflügel und 39 Lymphknoten sind wegoperiert, geblieben ist die chronische Bronchitis. Der Grund für das Leiden: drei Jahre Uranabbau in Annaberg.

Frau Walter kennt diese Geschichte nur zu gut. Auch an diesem Tag hört sie wieder aufmerksam zu, zuweilen streichelt sie verständnisvoll den Arm von Rolf Ferber. Zuhören und Zuwendung - das ist der Job von Marion Walter. Sie betreut acht Senioren, die meisten von ihnen sind demenzkrank. Das Programm gestaltet sie ganz individuell: Dazu gehören Biografiearbeit, Atem- und Gedächtnistraining, gemeinsame Spaziergänge oder Hilfestellung im Haushalt. Vor allem aber bietet sie das, was Pflegedienste meist nicht haben: "Zeit zum Schwatzen", wie Walter es nennt. Auch für Rolf Ferber ist Reden das Wichtigste. Umsonst ist das zwar nicht, der Besuch kostet ihn etwa sieben Euro pro Stunde. "Aber die Marion ist für mich wie meine vierte Tochter", sagt er liebevoll. Die leiblichen Töchter können nicht so oft kommen, weil sie berufstätig sind.

Walter kennt auch Senioren, um die sich niemand mehr kümmert. Für diese Menschen ist sie der einzige Kontakt zur Außenwelt. Nicht zuletzt deshalb hält sie ihre Arbeit für wichtig: "Es ist sonst wie auf einer einsamen Insel, da wird man doch wahnsinnig." Der Leiter der Volkssolidarität, Arnfrid Gothe, sieht das genauso. Wer vereinsamt, wird auch schneller krank, glaubt er.

Doch er fürchtet um den Arbeitsplatz von Frau Walter, denn ihr Job "rechnet" sich nicht. Um ihr das Gehalt zu bezahlen, ist Gothe auf die Mittel der Arbeitsagentur und einen Sponsoren, die Lotterie Glücksspirale, angewiesen. Walter habe zu viel Leerlauf zwischendurch. Sie bräuchte mehr "Kunden". Doch viele alte Menschen seien zu sparsam und blieben deshalb lieber allein, klagt Gothe. Oft seien auch die Angehörigen der Meinung, "für so einen ‚Firlefanz‘ muss man ja nicht bezahlen".

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