Antarktis

Ein Eisberg wird geboren

Forscher erwarten demnächst ein ganz besonderes Spektakel in der Antarktis: Ein Rieseneisberg wird sich ablösen, doppelt so groß wie das Saarland.

Von Janet Binder Veröffentlicht:
Der Zerfall von Schelfeis an der Antarktischen Halbinsel beunruhigt Wissenschaftler.

Der Zerfall von Schelfeis an der Antarktischen Halbinsel beunruhigt Wissenschaftler.

© Andrew Buckin / iStock / Thinkstock

BREMERHAVEN. Wie lange es noch dauert, weiß keiner. Es kann Wochen oder Monate dauern, aber vermutlich kein Jahr mehr: In der Antarktis wird einer der größten Eisberge entstehen, die Forscher bisher registriert haben. Mit rund 5000 Quadratkilometern wird er doppelt so groß sein wie das Saarland.

Der Koloss ist dabei, sich vom sogenannten Larsen-C-Schelfeis zu lösen. Schelfeise sind auf dem Meer schwimmende Eisplatten, die von Gletschern gespeist werden und mit ihnen noch verbunden sind. "Der Eisberg hängt am seidenen Faden", sagt Adrian Luckman, Leiter des Midas-Projekts der britischen Universität Swansea, das sich mit dem entstehenden Eisberg beschäftigt.

Wissenschaftler alarmiert

Satellitenbilder zeigen einen 175 Kilometer langen Riss im Larsen-C-Schelfeis. Nur noch 20 Kilometer fehlen, bis sich der Eisblock abtrennt. Kalben nennt sich der Vorgang. "Das ist ein natürlicher Prozess im Schelfeis", sagt die Glaziologin Daniela Jansen vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. "Sonst würde es ja immer weiter ins Meer hinauswachsen." Schließlich fließe von Land her immer neues Eis nach.

Trotzdem sind die Wissenschaftler alarmiert. Denn noch sei völlig unklar, ob das jetzige Kalben tatsächlich ein normaler Prozess ist oder sich das Schelfeis im Anschluss dauerhaft zurückzieht, so Jansen. In den letzten zwei Jahrzehnten sind bereits sieben Schelfeise von insgesamt zwölf an der Antarktischen Halbinsel zerfallen oder sehr stark zurückgegangen. "Das hat ziemlich sicher mit der Erwärmung zu tun", sagt die Glaziologin. Experten vermuten, dass Schmelzwasser an der Oberfläche die Schelfeise instabil werden lässt.

"Ein Problem für das Verständnis dieses Prozesses sind unsere kurzen Beobachtungsreihen", schreibt AWI-Wissenschaftler Olaf Eisen in einem Blogbeitrag. Seit rund 40 Jahren können Forscher überhaupt erst flächendeckend auf Daten zurückgreifen, die solche Beobachtungen möglich machen. "Unbestritten ist jedoch, dass die Temperaturen an der Antarktischen Halbinsel in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen sind, weshalb wir hier einen Zusammenhang vermuten beziehungsweise nicht ausschließen können."

Stimmen die Simulationen?

Bricht der aktuell entstehende Eisberg ab, ist die Front des Larsen-C-Schelfeises so weit zurückgebrochen wie nie zuvor beobachtet. "Modellrechnungen zeigen, dass die Kante langfristig instabil werden und sich dauerhaft zurückziehen kann", so Jansen. Geografisch würde sich dadurch einiges ändern. Ob die Computersimulationen stimmen, werde die Zukunft zeigen.

Dafür spricht allerdings die Entwicklung des Larsen-B-Schelfeises. Dort löste sich im Jahr 2002 ein Eisberg ab. "Danach ist die Kante immer weiter abgebröckelt, das Schelfeis hat sich nicht erholt", betont die Bremerhavener Wissenschaftlerin. Wenn aber in der Bucht Schelfeis fehle, haben die Gletscher weniger Halt. "Wenn mehr Eis ins Wasser fließt, steigt der Meeresspiegel."

Die Größe des künftigen Eisbergs vom Larsen-C-Schelfeis ist so oder so etwas Besonderes. Jansen beobachtet den Vorgang deshalb mit Spannung fast täglich an ihrem Computer. Im Jahr 2000 löste sich im Ross-Schelfeis ein Eisberg, der doppelt so groß war wie der, der jetzt entsteht. "Seitdem gab es keinen größeren", berichtet Jansen.

Der Eisberg kann auf dem Meer treibend Tausende Kilometer zurücklegen. "Er wird vermutlich entlang der antarktischen Halbinsel nach Norden driften und dann weiter Richtung Osten", sagt Jansen. Es sei schon vorgekommen, dass Eisberge bis an die brasilianische Küste schwimmen. Eine Gefahr für die Schifffahrt oder für Menschen bestehe aber nicht.

Wahrscheinlich sei, dass der Eisberg vor der Inselgruppe South Georgia, 1400 Kilometer östlich der argentinischen Küste, im wärmeren Ozeanwasser vollständig schmilzt. "Das kann ein Jahr oder länger dauern", sagt Jansen. "Der Eisberg wird wahrscheinlich relativ stabil sein und nicht in viele Teile zerfallen." Per Satellit wären seine Positionen sehr gut zu bestimmen. Schiffe können so gewarnt werden. (dpa)

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Berufsbedingte Schäden

Wenn Musikmachen Muskeln, Sehnen und Gelenke krank macht

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

© HL

Herbstsymposium der Paul-Martini-Stiftung

Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Übersichtsarbeit zu Grippeimpstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Lesetipps
Sieht lecker aus und schmeckt — doch die in Fertigprodukten oft enthaltenen Emulgatoren wirken proinflammatorisch. Ein No-Go für Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.

© mit KI generiert / manazil / stock.adobe.com

Emulgatoren in Fertigprodukten

Hilfreich bei Morbus Crohn: Speiseeis & Co. raus aus dem Speiseplan!