Ein sinnvoller Einsatz, "auch wenn wir nur einem geholfen hätten"

Von Ulla Bettge Veröffentlicht:

Die Idee entstand beim Ärztetreff im Club des Kreuzfahrtschiffes "Bremen". Auf der Route von Bali nach Cairns wurden die mitreisenden ärztlichen Passagiere, wie üblich, am ersten Bordtag von Schiffsarzt Holger Dietz zum Stelldichein geladen. Bestandsaufnahme sozusagen - wer kann was, im Ernst- oder Notfall unterwegs. Diesmal vertretene Fachgebiete: Allgemeinmedizin, Ophthalmologie, Anästhesie und Labordiagnostik.

Als der Bordarzt den urlaubenden Kollegen von Land-Einsätzen in entlegenen Regionen der Welt berichtete, kam Begeisterung bei den Zuhörern auf. Gabriele Gerhard, Berlinerin mit allgemeinmedizinischer Praxis, etwa: "Das wäre doch toll, wenn wir da mitmachen könnten!" Das fanden auch die meisten anderen Ärzte, und sie boten dem Bordarzt ihre Kooperation an.

Konsens bei den Beteiligten: "Wir können, als Gäste an Bord, nicht erwarten, daß wir gebeten werden. Unsere Eigeninitiative ist gefragt." Schiffsarzt Dietz, dem solches in 30 Jahren Seefahrt noch nicht vorgekommen war, nahm dankend an.

200 Bewohner der Insel Tuam wurden von den Ärzten betreut

Am 15. Reisetag war es dann so weit. Um acht Uhr Treffen im Bordhospital auf Deck drei. Koordination und Check der Medikamenten- und Instrumentenbox: Q-Tips, Blutdruckmeßgerät, Blutzuckertests, Desinfektionsmittel, Verbandsmaterial, Augenspiegel, Spatel, Stethoskop, Augen- und Ohrentropfen, Antibiotika... Einstimmiges Urteil des Freiwilligen-Teams: "Das Bordhospital ist bestens bestückt."

Vor der winzigen, südpazifischen Insel Tuam, die zu Papua-Neuguinea gehört, ging die "Bremen" vor Anker. Sofort setzte der Medi-Trupp mit dem ersten Zodiak-Schlauchboot über. Die 200 Einwohner des tropischen Eilands mit Holzhäusern auf Stelzen und windabhaltenden Kokosmatten als Gartenzäune erwarteten die Besucher. Die Inselbewohner trugen bunte Trachten aus Blättern, Blüten, Muscheln und tierischen Stoßzähnen, mit Körperbemalung.

Die ärztlichen Gäste wurden zunächst zu ihrem Arbeitsplatz geführt. Der eigentlich dafür vorgesehene Untersuchungsraum erschien ihnen allerdings hygienisch nicht unbedenklich, so daß die Insel-Praxis auf der offenen Terrasse der Holzhütte installiert wurde. Die Kiste mit dem roten Kreuz auf den Tisch, spontan eintreffende Patienten auf die Holzbank - und dann Ärmel aufgekrempelt.

Erst gab es eine Reihenuntersuchung, um die Lage zu sichten. Dann wurden gezielt Medikamenten vom Schiff geholt. Krankenschwester Xenia kam mit einem ganzen Sack voll Arzneien zurück: Schmerzmittel für Rheumatiker und für Menschen mit in Rücken, Schulter oder HWS. Denn diese Beschwerden waren häufig - "vom Tragen schwerer Taschen auf der Stirn und einseitiger Belastung der Wirbelsäule durch Kinderschleppen", vermutete die Berliner Allgemeinmedizinerin. Überrascht war sie von der relativ hohen Zahl von Infekten der oberen Luftwege bei Säuglingen und Kleinkindern - in der warmen Tropenwelt.

Der gut Englisch sprechende Häuptling klärte auf: Die letzten Wochen des zuende gehenden australischen Winters waren ungewohnt kühl. Er half auch beim Übersetzen der der Dosierungsanweisungen für Tropfen, Salben, Lutschtabletten, Hustensäften...

   
"Wir können nicht warten, bis wir gebeten werden, Eigeninitiative ist gefragt."
 
Gabriele Gerhard
Allgemeinmedizinerin aus Berlin

Großen Andrang gab es auch auf der augenärztlichen Wartebank. Die Probleme war vor allem Alterssichtigkeit und Kurzsichtigkeit bei Kindern. Augenarzt Frank Bettge: "Sie sehen nicht mal richtig den Ozean."

Alles in allem kam die Sondereinsatz-Crew zu dem Schluß: "Eigentlich gibt es hier das ganze Spektrum von Erkrankungen - wie zuhause." Mit einer Ausnahme: "Herzbeschwerden kennen sie so gut wie gar nicht." Auch Diabetes scheint kein Thema zu sein. Patienten mit eitrigen, schlecht heilenden Wunden durch Verletzungen, Insektenstiche und Kratzen konnten von dem ambulanten Team gut versorgt werden. Und das erntete dafür dankbare Blicke, Berührungen, Lächeln, Streicheln. "Einige, die kamen, hatten gar nichts", so der Eindruck der Ärzte, "die wollten nur mal fürsorglich von einem weißen Doktor angefaßt werden." Später wurde auch für die Besucher getanzt.

Einfache Lesebrillen hätten Alterssichtige glücklich gemacht

Nur dem siebenjährigen Jungen, dessen Körper und Extremitäten von Eiterbeulen übersät war, konnte durch den Kurzeinsatz nicht geholfen werden. Gabriele Gerhard: "Bei einem offensichtlich so stark geschwächten Immunsystem gehe ich, in diesem Teil der Welt, von einer HIV-Infektion aus."

In einem weiteren Punkt herrschte bei den Gast-Ärzten völlige Übereinstimmung: "Wenn wir das vor Reiseantritt gewußt hätten, hätten wir uns ganz anders darauf vorbereiten können. Der Augenarzt: "Ich hätte einfachste Lesebrillen mitgebracht und damit viele glücklich machen können."

Hinterher waren die Kollegen einig, daß ihr Einsatz auf der fernen Insel sinnvoll war - "und wenn wir nur einem einzigen dort geholfen hätten". Sie würden es auch jederzeit wieder tun, am besten aber vorab organisiert. Das hält auch Kapitän Daniel Felgner für sinnvoll: "Ich würde es gut finden, wenn man vor Reiseantritt Ärzte fragen würde, ob sie zu Spontaneinsätzen unterwegs bereit wären." Eines steht jetzt schon fest: "Das Schwesterschiff ,Hanseatic‘ wird nächstes Jahr, wenn es dieselbe Route befährt, die jetzt aufgelisteten benötigten Brillen und Medikamente für Tuam an Bord haben."

Fazit des Ärzte-Teams: "Diesmal haben sie nicht nur für uns getanzt, sondern wir in gewissem Sinn auch für sie."

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