Einsatz in der Dschungelklinik

Medizin mit einfachsten Mitteln: Wenn kein Strom zur Verfügung steht, operiert Chirurg Christof Ihle nur mit dem Licht des Handys. Doch nicht nur das erschwert ihm seine Arbeit. In vielen Dörfern von Papua-Neuguinea ist der Glaube an Hexen weit verbreitet.

Von Christiane Oelrich Veröffentlicht:
Visite im Krankenzimmer: Chirurg Ihle (rechts) dokumentiert die Fälle; Angehörige übernehmen die Pflege.

Visite im Krankenzimmer: Chirurg Ihle (rechts) dokumentiert die Fälle; Angehörige übernehmen die Pflege.

© dpa / Oelrich

KARKAR. Das Handy hat Chirurg Christof Ihle bei der Visite immer dabei. Richtige medizinische Geräte sind Mangelware in seiner Dschungelklinik in Papua-Neuguinea. Er schaltet das Telefon ein und leuchtet damit ins Auge eines Patienten, dessen Hornhaut nach einem Unfall im Wald gerissen ist.

"Da ist wohl nicht mehr viel zu machen", murmelt er auf Deutsch. "Versuche zu beten", sagt er in der regionalen Sprache Tok Pisin zu dem Mann. Mehr als 90 Prozent der Einheimischen seien Christen. "Es hilft immer, wenn die Patienten das Gefühl haben, auch etwas tun zu können", sagt Ihle.

Von Itzehoe nach Karkar

Ihle (38) hat bis 2008 sieben Jahre am Klinikum Itzehoe gearbeitet. Heute leitet er die Gaubin-Klinik auf der Insel Karkar, 15.000 Kilometer weit weg in Papua-Neuguinea, nördlich von Australien. Zwei Stunden dauert die Fahrt nach Karkar im Schnellboot von der Küste bei Madang.

180 Betten, 30.000 ambulante Konsultationen und 2000 stationäre Patienten im Jahr: Im "Haus Sik", wie das Krankenhaus in Tok Pisin heißt, wird mit sehr begrenzten Mitteln gearbeitet. Das Handy-Licht kommt gerade recht.

"Manchmal gehen uns die Gummihandschuhe aus, dann verschiebe ich jede nicht unbedingt notwendige Operation", sagt Ihle. Auch Medikamente werden oft knapp.

Fünf Ärzte auf 100.000 Einwohner

Neben Ihle sind als Ärzte hier nur noch seine Frau Tanja (37), ein Kollege aus Madagaskar und eine junge einheimische Kollegin im Einsatz. Papua-Neuguinea ist ein rückständiges Land. Statistisch kommen fünf Ärzte auf 100.000 Einwohner.

Die Regierung steckt wenig Geld ins Gesundheitswesen. Die meisten ländlichen Krankenhäuser sind kirchlich getragen, wie das Gaubin-Krankenhaus, das die neuguineische evangelisch-lutherische Kirche trägt. Ihles sind über Mission-Eine Welt, das Entwicklungs- und Missionszentrum der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, nach Karkar gekommen.

Der langjährige Regierungschef Sir Michael Somare war gerade monatelang in Singapur im Krankenhaus, sieben Flugstunden entfernt. Für Familienbesuche stellte er dem Staat 2,5 Millionen Kina - 750.000 Euro - in Rechnung, berichtete die Zeitung "Post Courier".

"Es ist eine Beleidigung für alle Landsleute, dass der Staat das zahlen soll", wetterte der Abgeordnete Sir Mekere Morauta. "Unser Gesundheitswesen ist völlig hin, Menschen sterben, weil Arznei fehlt und für sie werden keine Millionen locker gemacht."

Die Ihles sind auf Spenden angewiesen

Christof und Tanja Ihle helfen sich mit einem Spendenkonto in Deutschland. Manchmal kommen auch Sachspenden an, mit zweifelhaftem Nutzen. "Zum Beispiel ein Kasten mit Drähten für die Laserchirurgie", sagt Tanja Ihle. "Die Mitarbeiter haben mich groß angesehen und gefragt, ob man damit wohl gut fischen kann."

Das Krankenhaus liegt direkt am Meer, Idylle pur. Verkehr gibt es so gut wie nicht. Am frühen Morgen zwitschern die Vögel, ein Donner scheint in der Ferne vom Vulkan zu rollen. Bananenstauden wiegen sich im Wind.

Bei den Ihles, die beim Krankenhaus wohnen, beginnt ein neuer turbulenter Tag. Sie sind mit drei Kindern nach Karkar gekommen, im Juli kam hier das vierte zur Welt.

Christof Ihle ist bei der Visite bei einem jungen Mann mit aufgedunsenem Gesicht und entzündetem Auge angekommen. Ein Kampf im Vollrausch, wie aus der Akte hervorgeht.

"Du zahlst 50 Kina Kampfgebühr", sagt er dem Mann - 17 Euro. "Normale" Patienten zahlen zehn Euro, einige drücken sich davor. "Hört mal alle!" ruft Ihle in den Saal. "Bis Freitag bitte das Geld mitbringen. Sonst können wir den Laden dicht machen."

Im nächsten Bett liegt eine erschöpfte Frau. Selbstmordversuch. "Viel ist auch Seelsorge hier", sagt Ihle, und zur Krankenschwester: "Rede bitte auch noch mal mit ihr, von Frau zu Frau."

Schädeldecke anbohren - ohne einen Anästhesisten

"Man vergießt anfangs viel Schweiß", sagt Ihle. Er macht 150 größere Operationen im Jahr, Kaiserschnitt, Blinddarm, Gebärmutter, Milz. "Manchmal schlage ich im Buch nach, wie mit begrenzten Mitteln komplizierte Operationen gemacht werden können." Eine Schädeldecke anbohren, ohne ausgebildeten Anästhesisten.

In der schwülen Hitze ohne Klimaanlage im OP zu stehen, ist auch eine Herausforderung. Operieren ohne Strom ist dagegen nach seinen Angaben fast ein Kinderspiel.

Für Oberschenkelbrüche sind Coca-Cola- oder andere Plastikflaschen gefragt. Metallplatten in Knochen wie in Deutschland sind hier unmöglich. So hat Ihle dem kleinen Jungen, der vom Baum gefallen ist, einen Nagel unterhalb des Knies gesetzt. Daran hängen über den Bettrand hinaus Plastikflaschen mit Wasser drin. Sie strecken das Bein.

"6 Wochen dauert das. In Deutschland könnte so ein Patient mit einem Nagel im Knochenmark sofort aufstehen", sagt Ihle.

Zivilisationskrankheiten wie Hypertonie oder Diabetes sind selten

Die Innere Station betreut Tanja Ihle. Sie kümmert sich vor allem um Krankheiten wie Tuberkulose, HIV, Lungenentzündungen, Malaria, Krebserkrankungen. In Deutschland übliche Leiden wie Bluthochdruck, Zuckerkrankheit oder Schlaganfall sind hier eher selten.

Die Krankensäle bestehen aus etwa 20 Pritschen entlang den Wänden, Fensterscheiben gibt es nicht. Jedes Bett hat Bambusstöcke an den Ecken, darüber können die Patienten Moskitonetze hängen.

Bettzeug bringt auch jeder selbst mit, ebenso Verwandte zum Kochen, Waschen und Pflegen. Die schlafen auf dem Boden. Tanja arbeitet auf einer halben Stelle, nach einheimischem Tarif, für 400 Euro im Monat.

Die Gehälter sind überall mager. Dennoch hatte die Somare-Regierung ein 300-Betten-Luxuskrankenhaus geplant, das mit 500 Millionen Kina (170 Millionen Euro) mehr gekostet hätte als das gesamte Gesundheitsbudget für die 6,5 Millionen Einwohner im Jahr. Ein absurdes Prestigeobjekt, mit dem er in der Pazifik-Region glänzen wollte. Mit seiner Ablösung im vergangenen Sommer sind die Pläne in der Schublade verschwunden.

Hexerei und schwarze Magie erschweren den Ärzte-Alltag

Besonders frustrierend sind für die Ärzte Zauberei und Hexenglauben. Manche Patienten kommen mit weit fortgeschrittenen Krankheiten, weil sie sich erst vom Dorfheiler behandeln ließen. Oft ist es dann zu spät, der Patient muss unheilbar krank entlassen werden.

Zurück in seinem Dorf droht dann Ärger, denn in vielen Orten wird für den frühen oder schnellen Tod eines Angehörigen ein Sündenbock gesucht. Ältere, Alleinstehende oder Schwache werden als Hexen bezichtigt und angegriffen.

"Wenn wir einen todkranken Patienten nach Hause schicken, bekommen wir oft eine Nacht später aus demselben Dorf einen schwer verletzten Patienten eingeliefert", sagt Tanja Ihle.

Das Krankenhaus hat dafür ein eigenes Formular entworfen, das Angehörige von Schwerkranken jetzt mit nach Hause nehmen. "Ich bestätige als Arzt klipp und klar, dass die Krankheit dieses Patienten eindeutig nicht durch Hexerei verursacht worden ist", steht darauf. "Manchmal hilft's, wenn die Leute so etwas schwarz auf weiß sehen", sagt die Ärztin.

Die Ihles schätzen die Erfahrungen in der Dschungelklinik - helfen und einen anderen Kulturkreis kennenlernen - eine gute Mischung, sagen sie. (dpa)

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