Erinnerungen können sich immer wieder aufdrängen

Hausärzte sollten bei Überlebenden der Flut-Katastrophe auf Symptome wie Schlafstörungen oder Hochdruck achten. Das kann auf eine posttraumatische Belastungsstörung hinweisen, so der Heidelberger Psychotraumatologe PD Dr. Günter Seidler zu Ingeborg Bördlein von der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: Welche psychischen Auswirkungen hat die Katastrophe bei den Überlebenden?

Seidler: Alle werden natürlich trauern, was aber keine Krankheit ist. Es können sich aber Angstsymptome, Depressionen, somatoforme Störungen und Traumafolgestörungen einstellen: die akute Streßreaktion oder die posttraumatische Belastungsstörung (PTSD).

Ärzte Zeitung: Ist eine PTSD bei einer Katastrophe von einer solchen Dimension überhaupt zu vermeiden?

Seidler: Nach lebensgefährlichen Ereignissen stellt sich eine solche Störung bei etwa 30 bis 50 Prozent aller beteiligten Personen ein. Leider weiß man immer noch nicht genau, wovon es abhängt, ob jemand eine solche Störung bekommt.

Ärzte Zeitung: Kann man einer Belastungsstörung vorbeugen?

Seidler: In Grenzen kann man schon vorbeugen. Bei Hilfe und Unterstützung ist ein gewisser Schutz durch das soziale Umfeld gegeben. Gerade bei denen, die Angehörige vermissen, ist aber damit zu rechnen, daß kommende Belastungen retraumatisierend wirken, etwa die vielen Verwaltungsvorgänge, die nötig sind, wenn es keinen Leichnam gibt. Natürlich ist auch frühzeitige psychotherapeutische Behandlung bei ersten Anzeichen einer Belastung, aber vor Ausbildung einer PTSD, hilfreich.

Ärzte Zeitung: Was sind charakteristische Symptome einer PTSD?

Seidler: Intrusionen, also sich spontan aufdrängende Erinnerungsbruchstücke, überwiegend Bilder, aber auch akustische Wahrnehmungen, Gerüche, Wortfetzen. Weiterhin ist charakteristisch, Aktivitäten zu vermeiden, die dazu führen könnten, mit den belastenden Erinnerungen wieder in Berührung zu kommen. Vielleicht werden keine Fernsehsendungen gesehen, etwa keine Nachrichten. Charakteristische Symptome sind auch die Hyperarousal-Symptome als Ausdruck davon, daß der Organismus physiologisch im Zustand der Lebensgefahr hängengeblieben ist: Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, aber auch physiologische Symptome wie erhöhter Blutdruck.

Ärzte Zeitung: Was können Hausärzte tun, wenn ihnen Patienten solche typischen Symptome schildern?

Seidler: Intrusionen etwa werden selten spontan geschildert. Wichtig ist, daß Hausärzte, etwa bei der Klage über Schlafstörungen oder Beziehungsstörungen, daran denken, daß diese mit einem überwältigenden Ereignis zusammenhängen könnten. Sie sollten dann an einen psychotraumatologisch arbeitenden Psychotherapeuten überweisen.

Dr. Günter Seidler hat Infos über Therapieplätze für Traumatisierte zusammengestellt. Hotline: 018 88 / 550 433

Lesen Sie dazu auch: Hausärzte können vielen Flut-Opfern gut helfen

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