Rückwärtssprechen

Forschungsfeld für Neurolinguisten

Mehr als nur "Ollah" statt "Hallo": Manche Menschen können auch sehr lange Sätze fließend rückwärts sprechen. Was steckt hinter diesem Phänomen? Der Neurolinguist Mathias Scharinger hat dafür einleuchtende Erklärungen.

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FRANKFURT/AALEN. Die bemerkenswerte Fähigkeit des fließenden Rückwärtssprechens interessiert den Wissenschaftler Mathias Scharinger schon seit Jahren. Sein Spezialgebiet ist die Kategorisierung akustischer Informationen und der Sprachverarbeitung.

Neurolinguistik ist ein Teilgebiet der Linguistik, in dem der Zusammenhang von alltäglicher, natürlicher Sprachverarbeitung und Gehirn erforscht wird. Bevorzugtes und traditionelles Anwendungsgebiet sind verschiedene Formen von Sprachpathologien wie etwa Aphasien oder psychotische und neurotische Störungen.

Scharinger selbst kann nur einzelne Worte rückwärts sprechen. Seit Oktober 2015 ist der 40-Jährige Forschungsgruppenleiter am Max-Planck Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main. Promoviert hat er in Psycho- und Neurolinguistik an der Universität Konstanz. Zudem bekam er kürzlich einen Ruf auf eine Phonetik-Professur der Universität Marburg. Im Interview mit der Deutschen-Presse Agentur erklärt der Forscher verschiedene Arten des Rückwärtssprechens.

Frage: Wie kommt es, dass einige Menschen fließend rückwärts sprechen können?

Antwort: Sie haben ein sehr hohes Bewusstsein für Sprache, können Worte gut abstrahieren und haben zudem ein ausgezeichnetes bildliches Gedächtnis. Sie können sich Wörter besonders gut vor dem inneren Auge vorstellen und sie dann rückwärts lesen und aussprechen. Dabei spielt die Qualität des Arbeitsgedächtnisses eine große Rolle.

Wie funktioniert das Arbeitsgedächtnis?

Es ist vergleichbar mit dem Kurzzeitgedächtnis. Aber anders als dieses erlaubt es, sequenzielle Informationen so zu manipulieren, dass man damit arbeiten kann. Das ist die Grundlage dafür, Lautfolgen umkehren zu können.

Gibt es Unterschiede in der Art und Weise wie rückwärts gesprochen wird?

Man kann drei Arten unterscheiden: orthografisch, phonetisch und akustisch. Beim orthografischen Rückwärtssprecher könnte man sagen, dass er rückwärts liest. Also die einzelnen Buchstaben in umgekehrter Reihenfolge ausspricht. Der phonetische Sprecher artikuliert jeden Laut rückwärts.

Beim akustischen Rückwärtssprechen hingegen werden die Schritte der Artikulation umgekehrt, was bei manchen Lauten anatomisch gar nicht möglich ist. Das akustische Rückwärtssprechen kommt daher allein im technischen Bereich vor, mit Computern also.

Gibt es verschiedene Schwierigkeitsstufen?

Es ist einfacher, einzelnen Wörter rückwärts auszusprechen, während sie in der gewohnten Reihenfolge eines Satzes bleiben. Schwieriger wird es, wenn Sätze komplett rückwärts wiedergegeben werden, also vom letzten bis zum ersten Laut.

Wie viele Menschen haben eine solche Begabung?

Ich vermute, dass es in Deutschland zwischen fünf und zehn Sprechern gibt, die das wirklich besonders gut, also völlig fließend können.

Ist die Fähigkeit zum Rückwärtssprechen angeboren oder kann es erlernt werden?

Rückwärtssprechen lässt sich gut erlernen. Die Reihenfolge, nach der wir lesen und sprechen, ist zufällig. Man könnte genauso gut von rechts nach links lesen. Einzelne Worte rückwärts zu sprechen, kann man also leicht erlernen. Die Schwierigkeit besteht darin, ganze Sätze verkehrt herum auszusprechen.

Haben Rückwärtssprecher noch andere Talente, die mit dieser besonderen Fähigkeit zusammenhängen?

Mit ihrem guten Arbeitsgedächtnis können sie oft auch gut Kopfrechnen. Außerdem haben sie ein sehr gutes Sprachgefühl, sind kreativ und können gut assoziieren. (dpa/eb)

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