Hygienekonzepte

Großveranstaltungen mit Publikum? Kein No-Go

Sich heute schon darauf vorbereiten, was morgen wieder Realität sein kann. Dr. Florian Kainzinger ist einer der aktuell gefragtesten Experten, wenn es darum geht, Hygienekonzepte für Großveranstaltungen mit zu entwickeln. Vorsichtige Öffnungen sind möglich, auch mit Publikumsbeteiligung, sagt er im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.

Von Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
Florian Kainzinger: Konzept-Entwickler auch für Events mit Publikum.

Florian Kainzinger: Konzept-Entwickler auch für Events mit Publikum.

© privat

Ärzte Zeitung: Fußballspiele, Theater, Kino und Kongresse – das ist alles noch Zukunftsmusik. Wie kompliziert ist es, Veranstaltungen wieder mit Publikum stattfinden zu lassen?

Dr. Florian Kainzinger: Das kommt auf den Rahmen der Veranstaltungen an. Es gibt da keine einfache oder pauschale Antwort. Es ist auf jeden Fall möglich. Wir haben in einem interdisziplinären Konzept, das ich mit 20 Experten erarbeitet habe, verschiedene Optionen aufgezeigt, wie man wieder schrittweise beginnen könnte.

Wie könnte eine solche Öffnungsstrategie aussehen, ohne eine Vielzahl Infektions-Hotspots zu schaffen?

Es gibt in unserem Konzept verschiedene Module, die aufeinander aufbauen. Ein Basiskonzept ist das, was wir schon im vergangenen Herbst gesehen haben, etwa beim Fußball oder auch zum Teil in der Kultur-Szene: die Belegung von Veranstaltungsstätten mit 25, 30 oder 35 Prozent und der Auflage, die allgemeinen Hygienemaßnahmen zu beachten, dort wo das Infektionsgeschehen unter Kontrolle ist. Und da meinen wir nicht nur die Inzidenzen.

Wir halten es für wichtig, dass die Belastung des Gesundheitswesens regional betrachtet wird, also die Belegung der Intensivstationen, die Zahl der Todesfälle und vieles mehr. Dann kann man neben der Basisvariante über weitergehende Module, etwa Lüftungskonzepte und Testkonzepte weiter nachdenken.

Dr. Florian Kainzinger

  • Aktuelle Position: Seit 2015 Geschäftsführer des von ihm und seinem Partner gegründeten Beteiligungsunternehmens Think.Health Ventures
  • Ausbildung: Studium der Betriebswirtschaftslehre an der LMU München und der London School of Economics (LSE); Promotion in Gesundheitsökonomie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin
  • Karriere: Projektleiter für die Unternehmensberatung Roland Berger; Schwerpunkte: die Beratung von Kliniken und Unternehmen der pharmazeutischen Industrie (national/international); 2008 Projektverantwortung für die Fusion der Labormedizin von Charité und Vivantes; 2011 bis 2015 Geschäftsführer „Labor Berlin“
  • Außerdem: Mit dem Beginn der Corona-Pandemie hat er u. a. die Deutsche Fußball Liga (DFL) beim Restart 2020 unterstützt und die Teststrategie der Sportler entworfen; Beratung der Basketball-, Handball- und Eishockey-Bundesliga in Sachen Hygiene- und Arbeitsschutzkonzepten

Dreh -und Angelpunkt sind gerade bei Großveranstaltungen die zu Beginn, in der Pause und am Ende entstehenden großen Menschenansammlungen. Wie bekommt man dieses Problem in den Griff?

Das ist ein wichtiges Thema, das adressiert werden muss. Es hilft nichts, wenn ich die Besucher mit großen Abständen in eine Sporthalle, in eine Oper setze oder auf einen Kongress schicke, aber davor und danach alle gemeinsam in öffentlichen Verkehrsmitteln dicht gedrängt an- und abreisen. Das gilt auch für die Pausenverpflegung.

Will heißen: Ich muss auf bestimmte Dinge verzichten, ich muss Besucherströme entzerren, zeitlich und räumlich. Oder ich arbeite mit Testkonzepten, die dezentral funktionieren, das heißt, die Personen sind schon getestet, bevor sie zu einer Veranstaltung kommen. Da arbeiten wir aktuell dran, Piloten zu konzipieren, die wir demnächst in Berlin ausprobieren wollen.

Aktuell wird sehr intensiv über das Thema „Testung“ gestritten, über die Antigentests, die PCR-Tests und die Antikörpertests. Hinzu kommen jetzt noch die Selbsttests. Welche Tests sind mit Blick auf Großveranstaltungen so etwas wie der Goldstandard?

Den Goldstandard bei Veranstaltungen zu definieren ist schwierig. Generell ist und bleibt der Goldstandard die PCR. Das ist der direkte Erregernachweis auf RNA-Ebene, der auch viel, viel früher und deswegen deutlich sensitiver ist als der Antigentest. Ob er für Veranstaltungen das richtige Konzept ist, muss sich zeigen. Ich kann sicher nicht an den Toren einer Veranstaltung direkt nur PCR-Diagnostik machen und fünf Minuten später die Veranstaltung besuchen.

Es sind aber Konzepte denkbar, dass beispielsweise am Vortag oder am Morgen eines Tages, auch PCR-Diagnostik gemacht wird. Generell würde ich sagen, dass für Veranstaltungen sowohl Antigentests als auch PCR-Tests eingesetzt werden sollten.

Lassen Sie uns über den Hauptstadtkongress reden, der Mitte Juni stattfinden soll. Sie übernehmen dort das Testregime. Was ist für Sie dort die größte Herausforderung?

Die Idee ist, den Kongress als Hybrid-Veranstaltung stattfinden zu lassen, mit Präsenz und mit digitalen Teilnahmemöglichkeiten. Aktuell verfolgen wir den Plan, dass diejenigen, die vor Ort sind, alle getestet werden. Damit schaffen wir ein sicheres Umfeld für alle, die bei der Veranstaltung sind. Klar ist aber auch: Voraussetzung ist die aktuelle Genehmigungslage zum Zeitpunkt der Veranstaltung, insbesondere mit Blick auf das Infektionsgeschehen.

Stand heute sind solche Veranstaltungen nicht möglich. Die zweite Herausforderung wird sein, die Personenzahl zu planen. Wir müssen genau wissen, wie viele Menschen werden wir in Berlin bei der Veranstaltung haben, in welchen Zeiträumen, und wie oft müssen wir sie dann testen.

Das wird letztlich der Berliner Senat zu entscheiden haben. Vorausgesetzt, die Veranstaltungen finden so statt, wie von Ihnen beschrieben, welches Testkonzept verfolgen Sie?

Die momentane Planung zielt auf PCR-Diagnostik ab. Wir haben eigene PCR-Systeme entwickelt oder adaptiert, die wir bei vielen großen Veranstaltungen nutzen. Die können wir auch mobil als Point-of-Care-Units einsetzen, beispielsweise beim Biathlon-Weltcup reist ein Team von uns durch ganz Europa, mit mobiler PCR-Diagnostik und das ist ein Tool-Set, was uns auch für den Hauptstadtkongress vorschwebt.

Das heißt, wir würden vor Ort eine entsprechende Einrichtung schaffen, wo wir die Besucher testen und durch die PCR-Diagnostik natürlich dann auch eine Art Goldstandard für so eine Kongressveranstaltung schaffen können.

Sind solche Tests nicht viel zu zeitaufwendig? Sie lassen sich heute testen und bekommen dann das Ergebnis frühestens in zwölf Stunden. Geht das bei Ihnen schneller?

Ja, das hat viel mit logistischen Prozessen zu tun. Das heißt, Proben werden vom Arzt zum Labor geschickt, wo auch viele andere Dinge parallel laufen. Wenn man sich ausschließlich auf diese Technik konzentriert, das am sogenannten „Point of Need“ oder „Point of Care“ zu machen, also vor Ort, dann können wir heute PCR-Diagnostik deutlich unter einer Stunde Dauer machen. Und von dem her sind das Zeiten, die für Veranstaltungen dann machbar und umsetzbar sind.

Das heißt, dass Sie auch ein Labor vor Ort haben?

Ich glaube, da muss man – die Fachleute wissen das – differenzieren. Wir werden kein medizinisches Labor einrichten können. Wir können Point-of-Care-Diagnostik machen, das heißt, das sind geschlossene Systeme, die beispielsweise auch in Arztpraxen genutzt werden können.

Sollen denn außer PCR-Tests weitere Tests zur Verfügung gestellt werden?

Nach meiner Einschätzung ist der PCR-Test für den Gast, der einen ganzen Tag oder zwei Tage anwesend ist, die richtige Methode der Wahl. Es kann gegebenenfalls auch Besucher und Referenten geben, die nur sehr kurze Zeit anwesend sind, vielleicht nur eine Stunde oder zwei Stunden. Dann würden wir das vermutlich mit einem Antigentest, der 15 Minuten dauert, kombinieren. Ich denke aber, dass die große Mehrheit durch PCR-Diagnostik getestet wird.

Und was passiert, wenn jemand positiv getestet werden sollte?

Was wir in unseren Laboren und in unserer Diagnostik machen, entspricht dem ganz normalen Standard nach Infektionsschutzgesetz. Das heißt, jeder Teilnehmer bekommt einen medizinischen Befund, der ärztlich validiert wird. Und selbstverständlich werden positive Befunde dem Gesundheitsamt gemeldet. Die Personen werden direkt vor Ort darüber informiert, isoliert, in Quarantäne gebracht und anschließend in Absprache mit dem Gesundheitsamt das weitere Prozedere eingeleitet.

Wie sieht es aus mit Besuchern, die beispielsweise mit einem negativen Testbefund, der nicht älter als 48 Stunden ist, den Kongress besuchen wollen? Werden solche Dokumente akzeptiert?

Das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Akzeptieren wir solche Ergebnisse, wie lange akzeptieren wir sie, wenn sie schon 48 Stunden alt sind? Ich glaube, da müssen wir uns noch etwas weiter in der Konzeption bewegen, und schauen, wie die Infektionsdynamik in den nächsten Monaten sein wird. Theoretisch ist das vorstellbar, es braucht aber dann genaue Regeln dafür.

Das Gleiche wird dann wohl auch für den Personenkreis gelten, der dann bis Mitte Juni geimpft sein wird. So wird sicherlich auch darüber zu sprechen sein, inwiefern ein grüner Pass zum Eintritt berechtigt. Herr Kainzinger, wenn Sie die vergangenen zwölf Monate Revue passieren lassen, was vermuten Sie, wie lange wird uns das Thema „Hygienekonzept“ noch so intensiv beschäftigen?

Das ist schwer vorherzusagen, weil wir alle die Glaskugel nicht haben. Aber ich denke, bis über den Sommer wird es uns auf jeden Fall noch beschäftigen. Auch wenn wir im zweiten Quartal deutlich mehr Impfdosen zur Verfügung haben und sicher auch einen großen Teil der Bevölkerung bis Sommer geimpft haben werden.

Spannend wird dann, wenn mal 40, 50 Prozent Impfquote erreicht sind, wie dann die Bevölkerung weiter zu motivieren ist und auch weiter an den Impfungen teilnimmt. Da bin ich vorsichtig optimistisch. Ich gehe davon aus, dass dann klare Regeln auch kommen werden, dass bestimmte Dinge, so wie Sie es gerade gesagt haben, auch nur mit Impfung möglich sein werden. Diese politische Diskussion erwarte ich für den Sommer.

Nach meiner jetzigen Einschätzung werden wir auf jeden Fall bis Herbst mit Hygienekonzepten und allem, was darum herum passiert, zu tun haben. Mal sehen, wie dann der Stand der Dinge ist.

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview zum Anhören

Das ausführliche Gespräch mit Dr. Florian Kainzinger können Sie im „ÄrzteTag“-Podcast nachhören.

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