Ärzte im Hilfseinsatz

"Ich dachte sofort, ich muss was tun"

Viele Ärzte verzichten auf ihren Urlaub und nehmen stattdessen an Hilfseinsätzen im Ausland teil - unentgeltlich. Wolfgang Heide ist einer von ihnen.

Von Marion Lisson Veröffentlicht:
Wolfgang Heide im Einsatz in Krisengebieten. Dafür verzichtet er auf seinen Urlaub.

Wolfgang Heide im Einsatz in Krisengebieten. Dafür verzichtet er auf seinen Urlaub.

© Privat

HEIDELBERG. Eigentlich wollte Wolfgang Heide seine Praxis für ein paar Tage zu machen und in den wohlverdienten Sommerurlaub fahren. Doch dann kam es anders: Zwei schwere Erdbeben der Stärke 6,3 und 6,4 im Nordiran - "Ich dachte sofort, ich muss was tun", erzählt der niedergelassene Gynäkologe aus Heidelberg.

In die im Nordwesten des Irans gelegene Katastrophenregion Aserbaidschan, in der 150 Menschen starben und 16.000 ihre Häuser verloren, reiste der Frauenarzt im August vergangenen Jahres mit der internationalen Organisation "humedica".

Zwei Wochen ist Mediziner Heide vor Ort, sucht mit seinem kleinen Einsatzteam vor allem abseits gelegene Bergdörfer auf. "Wir mussten uns zunächst der iranischen Geheimpolizei vorstellen", erzählt der 53-Jährige und verschweigt auch seine mulmigen Gefühle hierbei nicht.

Doch beim Einsatz in Krisengebieten steht Politik nicht im Mittelpunkt, sondern Erste Hilfe, die medizinische Versorgung der Menschen und der seelische Beistand. "Ein Arzt im humedica-Einsatz opfert nicht nur seinen Urlaub, er muss bei den meisten Katastrophen an seine körperlichen und seelischen Grenzen gehen", sagt die Organisation.

"Wir haben im Iran am Anfang etwa täglich 100 Patienten behandelt", erzählt Heide. "Ich habe ohne High-Tech und mit einfachen diagnostischen Mitteln wieder echte Basismedizin betreiben können", berichtet er stolz. Und macht deutlich: "Man kann und muss als Arzt hier wieder auf seine Sinne hören und sich auf sein ärztliches Bauchgefühl verlassen."

Nach dem Erdbeben im Iran im Sommer wurden in den fast komplett zerstörten Dörfern von der landeseigenen Hilfsorganisation Roter Halbmond Zelte aufgebaut. Für die Strom- und Wasserversorgung ist ebenfalls gesorgt.

Wichtigeres, als sich über Bürokratie zu ärgern

"Wir konnten die Menschen immer in einem Zelt behandeln", erzählt Heide. Meist sind es Hautinfektionen sowie Schürf- und Platzwunden, die von dem medizinischen Team versorgt werden müssen. "Painkillers" seien bei den Dorfbewohnern sehr begehrt, "die Beschreibung von Ganzkörperschmerzen" nicht selten.

"Viele Menschen, die uns hier begegneten, sahen deutlich älter aus, als sie sind", erzählt er in Heidelberg. Das Leben in den Bergen gestalte sich hart, das Hüten der Schafherden in der Kälte bringe oft Gelenkschmerzen mit sich, die Gesichter seien vom rauen Wetter und dem harten Leben gezeichnet.

Den meisten Menschen kann Heide im Nordiran helfen. Manchmal ist es schwierig - zum Beispiel, als er einer Frau eine tiefe Fleischwunde an der Hand nähen muss. Die Mitarbeiter des Roten Halbmondes haben einige Stunden zuvor die Wunde der Frau mangels Nahtmaterial nur mit einem Pflaster bedecken können.

Heides Team verfügt über keine sterilen Instrumente - nur Desinfektionsmittel werden im Jeep gelagert. "Wir konnten nur für die Frau beten und hoffen, dass sich das Ganze nicht infiziert", sagt er.

Es geht gut. Tage später steht die Frau noch zweimal unerwartet am Straßenrand, hält die Gruppe an, lässt ihre Hand untersuchen und die Fäden ziehen.

Diese Erlebnisse machen es für den Gynäkologen aus, an einem Hilfseinsatz teilzunehmen. "Man kommt oft ein wenig verändert zurück. Manche Veränderungen sind bleibend, andere verflüchtigen sich."

Für die Arbeit in der Praxis - er ist seit zehn Jahren in Heidelbergs "In-Viertel" Neuenheim niedergelassen - bedeute dies, dass er sich oft wieder an die "Normalität des Alltags" gewöhnen muss.

"Ich finde, viele Dinge sind leichter zu ertragen, wenn man weiß, es gibt Wichtigeres auf dieser Welt, als sich über die Bürokratie in der Praxis zu ärgern."

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