Down-Syndrom

Menschen mit besonderer Begabung

Der eine hat den Bambi und die Goldene Kamera gewonnen, der andere liebt es wie die meisten Jungs, mit seinen Kameraden Fußball zu spielen: Wir stellen ihnen Bobby Brederlow und Max Ackfeld vor - zwei Menschen mit Down-Syndrom, die spezifische Talente haben.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Max Ackfeld ist gerne in Bewegung.

Max Ackfeld ist gerne in Bewegung.

© Smith

Weltweit leben rund fünf Millionen Menschen mit Down-Syndrom, in Deutschland sind es bis zu 50.000. Trisomie 21 ist die bei Neugeborenen häufigste Chromosomenabweichung.

40 bis 60 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom kommen mit einem Herzfehler (Atriumseptumdefekt oder Antrio-ventrikuläre Septumdefekt) auf die Welt, der jedoch in der Regel direkt nach der Geburt operativ korrigiert werden kann.

Hartnäckig hält sich in der Öffentlichkeit die Auffassung, dass es sich bei Trisomie 21 um eine Krankheit handelt, unter der die Betroffenen "leiden", weshalb weitaus häufiger über ihre Probleme denn über ihre Fähigkeiten berichtet wird.

Dabei haben Menschen mit Down-Syndrom ebenso wie andere Menschen auch besondere Begabungen, die sie bei individueller Förderung weiterentwickeln können. Dadurch wachsen sie selbst, aber auch jene Menschen, die sie umgeben.

Die spezifischen Talente von Menschen mit Down-Syndrom stellt der im vergangenen Jahr erschienene Bildband "Glücksmomente" heraus, in dem der Frankfurter Autor Pete Smith, Mitarbeiter der "Ärzte Zeitung", zehn besondere Menschen portraitiert.

Eine von ihnen ist die 1985 geborene Andrea Halder aus Lauf an der Pegnitz, die 2003 vor dem Europaparlament in Brüssel eine vielbeachtete Rede hielt, in der sie die Diskriminierung von Menschen mit Down-Syndrom anprangerte, eine andere die im hessischen Schaafheim wohnende Weltklasseschwimmerin Stefanie Fahnenschreiber, die 43-fache Hessenmeisterin ist und bei den Special Olympics dreimal die Goldmedaille errang.

Wir stellen Ihnen zwei weitere vor: den Münchener Schauspieler Bobby Brederlow, der unter anderem den Bambi gewonnen hat, und den in Frankfurt am Main lebenden Max Ackfeld, der leidenschaftlich gern Fußball spielt und dessen Lebensmotto sowohl für Menschen mit als auch ohne Down-Syndrom gilt: "Mal gewinnt man, mal auch nicht."

Der Bildband "Glücksmomente" kostet 9,90 Euro und ist erhältlich über medandmore, Friedberger Straße 2, 61350 Bad Homburg, Telefon 06172/96610, E-Mail: agentur@medandmore.de

  • Max Ackfeld: "Entscheidend ist auf'm Platz"
  • Bobby Brederlow: Bruderliebe ist mehr als ein Wort

Max tanzt. Max rennt. Max schwimmt. Max fährt Rad. Am liebsten jedoch spielt er Fußball. Jeden Freitag trifft er sich mit seinen Mannschaftskameraden vom CBF Eschborn zum Training. Als Stürmer schießt er die Tore, in der Abwehr gibt er den Ausputzer, und wenn's sein muss, stellt er sich auch zwischen die Pfosten und hält seinen Kasten sauber. "Mal gewinnt man, mal auch nicht", sagt er und hält es ansonsten wie der legendäre Adi Preißler: "Entscheidend is aufm Platz."

Sauer wird er nur, wenn das Training ausfällt. "Ganz schlecht", sagt seine Mutter. "Oh ja", pflichtet ihr Max bei. Kommt zum Glück aber selten vor. Und wenn, ist das spätestens am nächsten Tag wieder vergessen. Schließlich ist samstags Bundesliga, und da fiebert Max vor dem Fernseher mit. Wie sich das für einen Frankfurter Bub gehört, ist sein Lieblingsverein die Eintracht. Von Torjäger Alexander Meier hat er sogar ein Trikot. Das schwarz-rote Dress mit dem Adler tauscht Max allenfalls gegen das blau-rote Trikot vom FC Barcelona. Sein spanisches Idol ist Mittelfeldstratege Xavi.

Vom vielen Sport ist Max oft hungrig. Am liebsten isst er Fleisch. "Wenn es kein Fleisch gibt, esse ich vegetarisch", sagt er. Hauptsache, es geht schnell. Einmal, erzählt er, hat er in einem Restaurant ein Schnitzel bestellt. Das dauerte und dauerte. "Da habe ich der Kellnerin gesagt, sie soll flotter machen, ich hab's eilig, ich hab einen Termin. Da war sie sauer." Nach dem Essen hat er sie dann aber wieder versöhnt. "Da habe ich ihr gesagt: Das Fell vom Schnitzel ist echt lecker. Da hat sie gelacht."

Gelacht wird im Hause Ackfeld oft und ausgiebig. Was nicht zuletzt an Max und seinem sonnigen Wesen liegt. Mit 14 ist er der älteste von drei Geschwistern. Sein Bruder Leo ist elf, seine Schwester Pia sechs Jahre alt. Alle drei sind in Frankfurt geboren. Ihre Mutter Frauke Ackfeld, eine gebürtige Dortmunderin, hat ihren gelernten Beruf als Verlagskauffrau nach der Geburt ihres ersten Sohnes aufgegeben, denn dafür lässt ihr die lückenhafte Betreuungssituation in der Main-Metropole keine Zeit.

Selbstständig zur Schule

Max ist zwar eigenständig und fährt beispielsweise mit dem Rad zur Schule, doch weil ihm die Verkehrsschilder manchmal Schwierigkeiten bereiten, wird er auf seinem Weg von einer Integrationshelferin begleitet. Wenn die krank ist, springt ihre Kollegin ein, die jedoch kein Rad fährt, also muss Frauke Ackfeld ihren Sohn in diesem Fall selbst von der Schule abholen.

Nachmittags bringt sie Max zur Ergotherapie oder Logopädie, jeden Mittwoch fahren sie gemeinsam nach Mainz, wo Max in der Praxis für Entwicklungspädagogik Nachhilfe in Deutsch und Mathematik sowie Unterstützung bei der Lösung von Alltagsproblemen bekommt. Freitags ist Fußball-Training, wie gesagt, das darf er unter keinen Umständen verpassen. Viel Zeit bleibt da nicht mehr. Stundenweise arbeitet Frauke Ackfeld im Büro ihres Mannes mit, der Inhaber einer Firma für Sicherheitstechnik ist. An den Sommerwochenenden sonnt sich die Familie in ihrem Freizeitgarten am Frankfurter Lohrberg, ihrer "Ponderosa".

Max hört gern Radio, die Charts rauf und runter, am liebsten Musik von Rihanna, Chris Brown und der Swedish House Mafia. Er liest gern Geschichten von Lucky Luke, dem Cowboy, der schneller zieht als sein Schatten. Und er geht oft ins Kino, am liebsten mit seiner Freundin Tina. Einer seiner Filmhelden ist Captain Jack Sparrow, der glücklose Pirat aus "Fluch der Karibik". Dessen Konterfei prangt auch auf Max' T-Shirt zusammen mit dem rhetorischen Gemeinplatz des Kapitäns: "Klar soweit?"

Für die Zukunft hat Max noch jede Menge Pläne. Beispielsweise "in der Tonne schlafen", wie Huckleberry Finn. oder im Wald Hirsche jagen. "Oder hoch im Himmel zu fliegen." Und natürlich bei der Revanche gegen seinen Freund Jonas als Sieger vom Platz zu gehen. Neunmal ist Max bereits beim Down-Sportlerfestival an den Start gegangen und dabei ein ums andere Mal von seinen Klassenkameraden angefeuert worden. Laufen, Werfen, Springen, Tennis, Fußballspielen - kaum eine Disziplin hat er beim weltgrößten Sportfest für Menschen mit Down-Syndrom ausgelassen. Nur dass er zuletzt im Sprint gegen Jonas verloren hat, fuchst ihn noch immer.

Die Freunde hatten gewettet, wer von beiden schneller ist. Hätte Max gewonnen, hätte er von Jonas eine Fanta bekommen, so aber musste er seinem Freund eine Flasche Trinkpudding spendieren. Um die Scharte auszuwetzen, trainiert Max hart. "Beim nächstem Mal ist er reif", sagt er. "Dann ist Schluss mit lustig."

Vor Gericht erkämpfte sich Gerd Brederlow (r.) die Vormundschaft für seinen kleinen Bruder Bobby.

Vor Gericht erkämpfte sich Gerd Brederlow (r.) die Vormundschaft für seinen kleinen Bruder Bobby.

© Smith

"Ich bin berühmt", sagt Bobby Brederlow mit Blick auf seine Trophäensammlung im Regal - Bambi, Goldene Kamera, Goldener Gong - "und schön", fügt er hinzu mit diesem verschmitzten Lächeln, dem niemand widersteht. "Außerdem", Bobbys Bruder Gerd verdreht schon die Augen, "kann ich gut singen", aber nein, das kann Gerd Brederlow so nicht stehen lassen, "singen kannst du überhaupt nicht", erklärt er, "wenn du singst, da halte ich mir die Ohren zu!"

Lustig geht es zwischen den beiden zu, herzlich, flapsig, liebevoll. Die zwei hängen aneinander, für sie ist Bruderliebe mehr als nur ein Wort. Bobby ist in Mackenbach in der Pfalz geboren, wann ist unwichtig, "übers Alter redet man nicht", nur dass Gerd zehn Jahre älter ist, wird verraten, und dass der ihm, als sie noch Kinder waren, einmal einen Löffel Spülmittel in den Mund geschoben hat und er, Bobby, die Schildkröte, die er füttern sollte, einfach ins Gemüsefach gesteckt hat, doch das ist schon lang her.

Während Bobby, das Nesthäkchen, bei den Eltern in Mainz aufwuchs, zog sein Bruder Gerd nach Düsseldorf, wo er an der Fachhochschule für Design und später an der Kunstakademie beim berühmten Joseph Beuys studierte, um nach dem Examen zunächst in der Werbung und danach als Modedesigner zu arbeiten, viele Jahre davon im Ausland, vor allem in den USA.

1989, das Jahr der Wende, wurde auch für Gerd und Bobby Brederlow zum Schicksalsjahr. Nachdem ihr Vater 1987 an einem Hirnschlag gestorben war und ein Jahr später das Herz der Mutter plötzlich aufhörte zu schlagen, stand Bobby, der damals noch Rolf hieß, mit einem Mal allein da.

Männer-WG mit "Herrn Bredi"

Gerd Brederlow und sein damaliger Lebensgefährte Udo Bandel entschieden sofort, Bobby zu sich nach München zu holen. Obwohl sich auch Bobby nichts sehnlicher wünschte, als mit "Herrn Bredi und Mister Herr Bendel" eine Männer-WG zu gründen, mussten sie erst vor Gericht ziehen, um sich das Recht auf Familienzusammenführung gegen große Widerstände zu erstreiten. 1989 entschied das Vormundschaftsgericht, dass die Homosexualität zweier Menschen nicht das Geringste über deren Fürsorglichkeit und Verantwortungsbewusstsein aussagt und Bobby bei Gerd und Udo ebenso gut aufgehoben sei wie bei seinen Eltern.

Seither leben die drei gemeinsam in einer 120 Quadratmeter-Wohnung im Münchener Stadtteil Lehel. Für Bobby ist München die Stadt schlechthin, denn hier startete er schon bald seine einzigartige Karriere. Als Modedesigner kennt Gerd Brederlow viele Leute vom Film. Schon ein Jahr nach Bobbys Umzug bot ihm einer von ihnen eine kleine Rolle an, "Weihnachtsfieber" hieß der Film, und Bobby sprach darin einen einzigen Satz.

Doch jedes Märchen beginnt mit einem Satz, der andere nach sich zieht, die sich zu einer zauberhaften Geschichte fügen. So war es auch für Rolf Brederlow, dem Regisseur Bernd Fischerauer als nächstes eine Rolle in dem TV-Vierteiler "Liebe und weitere Katastrophen" anbot, wo er an der Seite von Senta Berger, Friedrich von Thun und Suzanne von Borsody den liebenswerten Bobby Ackermann spielte, eine Filmfigur, mit der er sich so sehr identifizierte, dass er ihren Namen annahm und als "Bobby" in dem gleichnamigen Spielfilm 2001 sogar seine eigene Lebensgeschichte erzählen und sich in die Herzen von Millionen Fernsehzuschauern spielen durfte.

Seither ist Bobby Brederlow tatsächlich berühmt. Er hat im "Tatort" gespielt und in Serien wie "In aller Freundschaft", "Klinikum Berlin Mitte", "Für alle Fälle Stefanie" und "Powderpark". Zuletzt konnte er seine Schauspielkunst im Spielfilm "Tollpension" sowie in der Rosamunde-Pilcher-Verfilmung "Sonntagskinder" unter Beweis stellen. Nach ihm ist ein Preis der Lebenshilfe benannt, den er 1999 selbst erhielt. Bobby ist Botschafter der Aktion Mensch sowie das Gesicht der Kampagne "Du bist Deutschland". Und der berühmteste Pate des Down-Sportlerfestivals, das er Jahr für Jahr persönlich eröffnet.

"Bobby hat viel bewegt", blickt Gerd Brederlow zurück, "ich bin sehr stolz auf ihn." Sein Bruder hat der Welt vor Augen geführt, dass Menschen mit Down-Syndrom zu außerordentlichen Leistungen imstande sind. Für seine Verdienste um die gesellschaftliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen ist Bobby Brederlow 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden.

Paten seines Erfolgs sind und bleiben sein Bruder und dessen Mann Udo Bandel-Brederlow, die ihn auf all seinen Wegen begleiten. Gerd Brederlow sagt von sich, dass er lernen müsse, seinen kleinen Bruder loszulassen. "Ich bin der Kontrollfreak. Ich muss immer wissen, wo Bobby ist."

Guter Orientierungssinn

Dabei kommt der zumindest in den öffentlichen Verkehrsmitteln besser zurecht als er selbst. "Ich habe mich noch nie verfahren", sagt Bobby, "du schon." Jeden Morgen steigt er um viertel nach sechs in die U-Bahn und fährt zur Gärtnerei Hollern, einer Einrichtung des Heilpädagogischen Centrums Augustinum, wo er für den Service-Bereich in der Kantine zuständig ist.

In seiner Freizeit geht er am liebsten shoppen. Oder ins Theater. Oder ins Kino ("Ich liebe James Bond"). Oder ins Schwimmbad und in den Zoo. Oder er liest ("Harry Potter"). Am liebsten trifft er seine Freunde, zu denen Schauspielstars wie Veronica Ferres, Michaela May und Uwe Ochsenknecht zählen. "Ich liebe alles in München!"

"Mein Bruder ist ein Sonnenschein", sagt Gerd Brederlow, "ein geradliniger, ehrlicher und absolut positiver Mensch." Bobby lacht und legt seine Hand auf die seines Bruders. "Stimmt, ich bin immer froh." Einen Wunsch hätte er aber noch. "Am liebsten würde ich nach Hogwarts ziehen", sagt er, um von Harry Potter das Zaubern zu lernen. Und wenn sein Bruder zaubern könnte? "Dann würde ich eine Minute länger leben als Bobby", antwortet Gerd, während Bobby die Augen verdreht.

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Kritik an „Suizidtourismus“ in den USA

Mehrere US-Bundesstaaten wollen Beihilfe zum Suizid erlauben

Glosse

Die Duftmarke: Frühlingserwachen

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“