"Ob der Doktor wohl auch zur Unzeit kommt?"

In Zeiten der Einzelleistungsvergütung war nicht jeder Hausbesuch medizinisch indiziert. Aber die Patienten wussten diesen Service durchaus zu schätzen.

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Der Inhalt der Notfalltasche hat sich in 30 Jahren kaum geändert.

Der Inhalt der Notfalltasche hat sich in 30 Jahren kaum geändert.

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Hausbesuche, das waren vor 30 Jahren noch echte Ereignisse für Patienten. "Gerade zu Beginn meiner Praxiszeit waren die meisten Besuche nicht unbedingt medizinisch indiziert", erinnert sich Landarzt Dr. Jürgen Siebert.

In der Regel habe er ältere Patienten besucht, die "halt nicht mehr so gerne raus wollten". Das hat laut Siebert seine Vor- und Nachteile gehabt.

Insgesamt waren es früher mehr Hausbesuche, das bestätigt Hausarzt Josef Kleißl aus dem bayerischen Farchant. Auch Kleißl hat sich - wie Siebert - 1982 als Landarzt niedergelassen.

Weil ihn die meisten Patienten aber bereits als "Bub aus der Landwirtschaft" kannten, seien sie sehr gespannt auf ihn gewesen.

Sie hätten ihn aber auch schon einmal auf die Probe gestellt: "Ich glaube, ich wurde schon getestet, ob ich auch zur Unzeit komme."

Trotzdem, die Patienten haben die Ärzte gerne zu Hause empfangen. Siebert: "Meist haben sich die älteren Leute gefreut. Es war eine Art gesellschaftliches Ereignis für sie, wenn der Doktor kam."

Viele hätten ihm, wenn sie ihn auf der Straße getroffen hätten, schon einmal ihren Krankenschein in die Hand gedrückt. Und es habe durchaus die eine oder andere Einladung zum Kaffee oder zu einem Gläschen Schnaps gegeben.

"In der Weihnachtszeit musste man schon schauen, dass man all seine Geschenke mitnimmt", erzählt der Landarzt aus dem baden-württembergischen Giengen. Aber Siebert hatte nach der Praxisübernahme auch erst einmal die festen Besuchszeiten seines Vorgängers übernommen.

Dr. Jürgen Siebert, Hausarzt in Giengen und Josef Kleißl, Landarzt in Farchant (Bayern).

Dr. Jürgen Siebert, Hausarzt in Giengen und Josef Kleißl, Landarzt in Farchant (Bayern).

© , privat

"Man will am Anfang ja nicht gleich alles ändern." So hat er nachmittags zwischen zwei und vier meistens seine Patienten besucht.

Die meisten Hausbesuchs-Patienten hat Siebert dadurch alle zwei, drei Wochen gesehen. Der klare Nachteil dieser häufigen Besuche: Man habe hin und wieder schon einmal etwas übersehen, weil auch die Patienten selbst durch den regelmäßigen Hausbesuch nicht mehr so aufmerksam Veränderungen des Gesundheitszustands wahrgenommen hätten.

Und: "Es ist schon mal vorgekommen, dass ich vor verschlossener Türe stand - weil die Patienten doch etwas Besseres, etwa einen Geburtstagsbesuch, vorhatten", berichtet Siebert.

Und die Einsätze zur Unzeit? Die kennt auch Siebert, früher sei er viel öfter zu Notfällen gerufen worden.

"Es kam schon vor, dass Patienten erst mich und nicht die Polizei angerufen haben." Und da er ja auf dem Land praktiziert, seien auch schwere Unfälle dabei gewesen. Heute hat Siebert den Notfallkoffer zwar noch im Auto, wenn er ausrückt, aber er braucht ihn kaum noch.

Ihre Notfalltasche packen beide Ärzte übrigens fast noch so wie vor 30 Jahren. "Ein paar Medikamente mehr sind hinzugekommen, das Pulsoxymeter, das Chipkartenlesegerät und ein kleines EKG", sagt Kleißl.

Die Struktur der Hausbesuche hat sich aber verändert: Es sind laut Siebert weniger, aber dafür ganz gezielt angeforderte Hausbesuche. Versorgt würden auf Hausbesuch nur noch akute Fälle oder eben Patienten, die wirklich nicht mehr vor die Tür könnten, weil sie zum Beispiel bettlägrig sind. (reh)

Bahnhofsglocke für das Telefon

Hausarzt auf dem Land, und das ohne Handy. Was heute kaum noch vorstellbar ist, war in den 1980-er Jahren Alltag. "Immer musste einer am Festnetz-Telefon sitzen", erinnert sich Dr. Ernst Reiser, Facharzt für Allgemeinmedizin in Isny im Allgäu. Er hatte am Haus eine Bahnhofsglocke angebaut, so hörte er das Telefon auch dann klingeln, wenn er mit seiner Familie im Garten arbeitete.

Den Piepser, den er als Notarzt immer dabei hatte, kannte er bereits von seiner Tätigkeit im Krankenhaus. Mit einer Funkanlage schaffte er es schließlich, auch unterwegs erreichbar zu sein. Zuvor war es ihm öfter passiert, dass er, zurück von einem Hausbesuch, gleich wieder in dieselbe Ecke fahren konnte: "Da, wo du gerade warst, hättest Du gleich noch einen Patienten besuchen können." - Das sei ihm häufiger so gegangen.

Die Segnungen der Technik mit Rufumleitung vom Festnetz aufs Handy und anderen Komfortfunktionen weiß Reiser heute durchaus zu schätzen. (ger)

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