Sind die WM-Stadien wirklich "die sichersten der Welt"?

Von Nils Wulff Veröffentlicht:

"Die WM-Stadien sind die sichersten Orte der Welt." Kaum ein Satz ist häufiger im Vorfeld der Weltmeisterschaft wiederholt worden als dieser. In der Regel wurde damit die Absicherung der Spiele durch Polizei und private Sicherheitsdienste gemeint sowie durch Sicherheitsmaßnahmen wie personengebundene Eintrittskarten und die Überprüfung aller Stadien-Mitarbeiter bis hin zum Würstchenverkäufer. Aber was ist mit der Sicherheit der Stadien selbst?

Anfang des Jahres hatte die Stiftung Warentest mit einer kritischen Studie zu den zwölf WM-Stadien für Aufsehen gesorgt. Schmale Treppen, lange Fluchtwege, geschlossene Barrieren, gefährliche Stolperfallen und unüberwindbare Gräben hatten die Warentester moniert. Bei einer Massenpanik drohten verheerende Folgen. Zuschauer könnten nicht schnell genug fliehen - vor allem nach vorne aufs Spielfeld, für viele der nächste Weg in Sicherheit.

Stiftung Warentest zeigte vier WM-Stadien die Rote Karte

Wie wichtig dieser Fluchtweg sei, zeigten die Katastrophen in Brüssel (1985) und dem englischen Sheffield (1989), wo viele Menschen an den unüberwindbaren Zäunen regelrecht zerquetscht wurden, argumentierte die Stiftung Warentest. Vier Stadien erhielten von ihr eine Rote Karte: Berlin, Gelsenkirchen, Kaiserslautern und Leipzig.

Die Vorwürfe im Einzelnen: Im Berliner Olympiastadion klafft zwischen Tribüne und Tartanbahn ein drei Meter tiefer Graben. Um im Leipziger Zentralstadion auf den Rasen zu gelangen, müßten Zuschauer auf eine 90 Zentimeter hohe Betonmauer steigen und dann 3,40 Meter tief springen. In Gelsenkirchen würden die Öffnungen in der Brüstung während der WM verschlossen. In Kaiserslautern schließlich fehlten Brandmelder und Steigleitungen für die Feuerwehr.

Das Organisationskomitee (OK) der WM und die Stadienbetreiber wiesen die Kritik als unsachlich zurück. Das OK forderte deshalb sogar die Rücknahme der Untersuchungsergebnisse. "Wir halten die Studie für fraglich, da sie weder die Komplexität des Themas Sicherheit noch die Gesamtzusammenhänge oder dahinter liegenden Konzepte berücksichtigt", reagierte OK-Vizepräsident Horst Schmidt auffallend unkonkret auf die aufgelisteten Mängel.

Sicherheitsexperten führten an, die Warentester hätten sich nicht ausreichend Zeit genommen und nur auf ausgewählte Sicherheitsbereiche geschaut. Sie hätten zu einem Zeitpunkt kontrolliert, als noch gar nicht alle Arbeiten abgeschlossen worden waren.

Tatsächlich waren Firmen in einigen Stadien gerade erst dabei, den Brandschutz aufzutragen. Um die Situation nicht völlig eskalieren zu lassen, gestand das OK zu, man werde berechtigte Mängel beseitigen. Das wurde stellenweise auch getan: zum Beispiel durch das Anbringen von zusätzlichen Hinweisschildern zu Fluchtwegen.

Ein Sprecher der Veltins-Arena in Gelsenkirchen legt jedoch Wert auf die Feststellung: "Wir haben aufgrund der Warentest-Studie nichts verändert. Unser Stadion entspricht allen Sicherheitsvorschriften."

Ein sachliches Gespräch zwischen OK, Stadienbetreibern und der Stiftung Warentest kam nie zustande. Als die Stiftung im April bei den Betreibern nachfragte, was sie verändert hätten, antworteten diese entweder gar nicht oder verwiesen auf die inzwischen erfolgte Bauabnahme. Die erbrachte bei allen Stadien keine nennenswerten Beanstandungen; Leipzig hatte sich zusätzlich durch ein TÜV-Gutachten noch einmal die Sicherheit bestätigen lassen.

Im Berliner Stadion wurden 30 Notbrücken installiert

Warum aber habe Leipzig den Fluchtweg nach außen prüfen lassen, wo man dies doch gar nicht beanstandet habe, fragt Holger Brackemann, Leiter der Studie bei der Stiftung Warentest. Er steht weiter zur damaligen Kritik und sieht sich durch bauliche Veränderungen in Berlin bestätigt. Im Olympiastadion wurden im Frühjahr 30 Notbrücken an dem Graben installiert. Diese vollelektronischen Gangways werden direkt vom Polizei-Kommandostand im Stadion gesteuert.

"Wenn Berlin Anlaß für diese Veränderungen hatte, warum verzichten Gelsenkirchen und Leipzig darauf, wo wir ähnliche Zustände wie in Berlin bemängelt haben?", fragt Brackemann. Die Bauarbeiten hätten, stellt der Berliner Stadionbetreiber klar, gar nichts mit der Studie zu tun. Den Umbau habe man schon vorher geplant; er diene nicht als Fluchtweg auf den Rasen, sondern als zusätzlicher Zugang für die Sicherheits- und Hilfskräfte zur Tribüne.

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