Geheimnisvolle Krankheiten

Was wurde eigentlich aus dem „Englischen Schweiß“?

Vom Cello-Hoden bis zum Frieselfieber. Ein neues Buch begibt sich auf die Spur erfundener und verschwundener Krankheiten.

Von Sybille Peine Veröffentlicht:

BERLIN. Cellospieler leben gefährlich. Professionelle Musiker, die dieses Instrument regelmäßig spielen, riskieren mit der Zeit einen sogenannten Cello-Hoden. Die Hauterkrankung wird ausgelöst von der ständigen Reizung durch das Instrument.

Das jedenfalls schrieb ein gewisser John M. Murphy 1974 in einem britischen Medizinjournal. Von da an geisterte diese bizarre Erkrankung immer wieder durch die Gazetten. Bis der Autor des Artikels über 30 Jahre später zugab, dass er die Krankheit erfunden hatte. Er selbst zeigte sich am meisten verwundert darüber, dass sein Scherz für bare Münze gehalten wurde.

Obacht vor dem Frieselfieber

Aber selbst nach Murphys Geständnis war der „Cello-Hoden“ einfach nicht mehr totzukriegen, sondern irrlichterte als Musikerkrankheit weiter durch die Welt. Der „Cello-Hoden“ als Fake News ist sicherlich eine Kuriosität der Medizingeschichte. Es gibt jedoch viele andere Krankheiten, die einst tatsächlich Angst und Schrecken verbreiteten und die uns heute gar nichts mehr sagen.

Was verbirgt sich etwa hinter Frieselfieber, dem Englischen Schweiß oder der Chlorose? Was war der Alpenstich, die Haffkrankheit oder die Skrofulose?

Die Kinderärztin Sophie Seemann erzählt in ihrem populärwissenschaftlichen Buch von verschwundenen Krankheiten und das ist bisweilen so spannend wie ein Krimi. Denn manche dieser Krankheiten geben immer noch Rätsel auf. Medizinhistoriker stochern im Nebel, da die historischen Beschreibungen oft ungenau und widersprüchlich, nach heutigen Kriterien unwissenschaftlich sind.

Die meisten Krankheiten traten zeitlich begrenzt, manche nur regional auf. Einige wie die Phosphornekrose hatten ihre Ursachen in krankmachenden Umwelt- oder Arbeitsbedingungen, die es so heute nicht mehr gibt. Bisweilen scheint es sich auch um Modediagnosen gehandelt zu haben.

Eines der größten Rätsel der Medizingeschichte ist eine Epidemie, die im 16. Jahrhundert zunächst in England und dann auch auf dem Kontinent grassierte und die Tausende Opfer forderte. Der Englische Schweiß äußerte sich in hohem Fieber, übel riechenden Schweißausbrüchen und brennendem Durst. Die Erkrankten starben meist innerhalb von Stunden.

Waren es Hanta-Viren?

Das Merkwürdige: Nach fünf Epidemie-Wellen verschwand die Seuche, so schnell wie sie gekommen war, und bis heute wird wild spekuliert. Waren es Hantaviren? Wurden diese von Mäusen übertragen? Genaueres weiß man nicht: „Der Englische Schweiß bleibt geheimnisvoll.“

Das lässt sich ebenfalls vom Frieselfieber sagen, eine Krankheit, die im 17. Jahrhundert auftauchte und an der angeblich auch Mozart starb. Die Kranken litten an einem bläschenartigen Hautausschlag, Fieber, manchmal auch an Atemnot und Herzrasen.

Doch offensichtlich, so konstatiert Seemann, war das massenhaft diagnostizierte Frieselfieber ein „chimäres Konstrukt“, unter dem damalige Ärzte verschiedene Infektionskrankheiten zusammenfassten. Mit der modernen Medizin verschwand auch das Frieselfieber.

Im 19. Jahrhundert tauchten dann vermehrt chlorotische Mädchen in den Arztpraxen auf. Diese bleichsüchtigen jungen Frauen waren schlapp und antriebslos, ekelten sich vor Essen oder hatten merkwürdige Gelüste. Manche besorgten Ärzte verschrieben als Therapie schnelle Verheiratung.

Tatsächlich scheint es sich um eine psychosomatische Krankheit gehandelt zu haben oder auch um eine Essstörung. Die Chlorose passte damals gut zum Ideal der empfindsamen, zartbesaiteten Frau. Und als dieses nach dem Ersten Weltkrieg aus der Mode kam, war es auch um die Chlorose geschehen.

Manchmal schrecken Ärzte auch nicht vor Manipulationen und plumpen Erfindungen zurück, um ihren eigenen Ruhm zu mehren. So tauchte Mitte des 19. Jahrhunderts das Krankheitsbild „Alpenstich“ auf. Die schauerliche Infektionskrankheit galt als „hinterhältiger, geheimnisvoller Killer“, der vor allem Schweizer Bergbauern heimsuchte.

Doch heute weiß man, dass der Schweizer Arzt Johann Jakob Guggenbühl den Alpenstich aus Geltungssucht erfunden hatte: Er wollte sich gegenüber seinen dominanten deutschen Kollegen mit einer typisch schweizerischen Krankheit profilieren. (dpa)

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