Ärzte mahnen Nachbesserungen bei Reformpaket an

An diesem Montag hört der Gesundheitsausschuss Verbände zur GKV-Reform an. Klärungsbedarf gibt es auch beim Paragraf 73 b.

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Das Reformpaket noch einmal aufschnüren? Die Ärzteschaft sieht erheblichen Nachbesserungsbedarf.

Das Reformpaket noch einmal aufschnüren? Die Ärzteschaft sieht erheblichen Nachbesserungsbedarf.

© bonn-sequenz / imago

BERLIN (fst). Der Streit über die Zukunft der hausarztzentrierten Versorgung hat für tiefe Gräben zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Deutschem Hausärzteverband gesorgt. Das bestätigt sich einmal mehr in den aktuellen Stellungnahmen zum GKV-Finanzierungsgesetz (GKV-FinG). Für diesen Montag hat der Bundestags-Gesundheitsausschuss zu einer Anhörung geladen. Die geplante Änderung des Paragrafen 73 b mit der Vergütungskappung für Hausarztverträge ist aus Sicht des Hausärzteverbands ein massiver Eingriff in die "Versorgungsstruktur", der "lediglich der Erreichung kurzfristiger politischer Ziele" diene. Indem die Vergütung in 73 b-Verträgen an die Fallwerte im Kollektivvertragssystem gekoppelt werden, "verliert die hausarztzentrierte Versorgung als ursprünglich wettbewerblich gewollte Versorgungsform ihren Sinn", beklagt der Hausärzteverband. Dass die Kassen Hausarztverträge künftig ihrer Rechtsaufsicht zur Prüfung vorliegen müssen, hält der Verband schon aus rechtlicher Sicht für fragwürdig. Denn eine Beanstandung eines Vertrags durch die Kassen-Aufsicht würde auch den privatrechtlich organisierten Vertragspartner binden. Stattdessen sollte der Gesetzgeber lieber die Chance nutzen, um Selektivverträge "gleichberechtigt und diskriminierungsfrei" neben Kollektivverträgen im SGB V zu verankern.

Aus einer anderen Welt sind die Argumente der KBV, die den Gesetzgeber zur "Beseitigung" des geltenden Paragrafen 73 b Absatz 4 aufruft. Dieser Passus schreibt die Pflicht zum Abschluss von Hausarztverträgen für Kassen vor. Diese Vorschrift sei "verfassungswidrig" und "gemeinschaftsrechtswidrig". Außerdem drängt die KBV die Koalition, die befristete Genehmigung für die Datenübermittlung an private Abrechnungsstellen im Rahmen von Hausarztverträgen, die noch bis Ende Juni 2011 läuft, nicht mehr zu verlängern. Stattdessen sollten die KVen in die Abrechnung der Daten eingeschaltet werden.

Kopfzerbrechen macht der KBV ein Passus im geplanten GKV-FinG, der vorsieht, dass der rechnerische durchschnittliche Fallwert im Hausarztvertrag nicht höher sein darf als der gleiche Wert für die an der Hausarztversorgung im KV-System teilnehmenden Hausärzte. "Diese Regelung würde dazu führen, dass die Einschreibung junger und gesunder Versicherter in HzV-Verträge systematisch begünstigt würde", warnt die KBV. Je mehr dieser Versicherten sich einschreiben, desto "sicherer wird es für die am Selektivvertrag teilnehmenden Kassen und Ärzte, dass die Einhaltung der Beitragssatzstabilität formal gewährleistet würde". Hilfsweise empfiehlt die KBV dem Gesetzgeber eine Formulierung, bei der sich der Fallwertvergleich auf den "alters- und geschlechtsbezogenen Fallwert" bezieht.

Eine der umstrittensten Fragen bei der Anhörung im Ausschuss dürfte der Sozialausgleich bei den Zusatzbeiträgen sein. Dieser soll dann greifen, wenn Versicherte mehr als zwei Prozent ihres Bruttoeinkommens für den Extra-Obolus aufwenden müssten. Abwickeln sollen den Sozialausgleich Kassen, Arbeitgeber und Rentenversicherungsträger. Der als Sachverständiger geladene Gesundheitsökonom Professor Stefan Greß von der Hochschule Fulda hält die von der Regierung geschätzten Bürokratiekosten von drei Millionen Euro für "grotesk" niedrig. Aufgrund der Erfahrungen mit einem ähnlichen Sozialausgleich in den Niederlanden schätzt Greß die zusätzlichen Verwaltungskosten auf 250 Millionen Euro jährlich. Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) warnt vor zu viel Aufwand. Mitarbeiter würden mit der Verwaltung "von im Einzelfall geringfügigen Beiträgen" gebunden. Das konterkariere die eigentlich gewollte bessere Betreuung der Arbeitslosen, warnt die BA. Allein die Anpassung des IT-Systems an die Anforderungen des Sozialausgleichs werde 1000 Personentage kosten. Bei Rückfragen von einer Million Leistungsbeziehern geht die BA von einem zusätzlichen Aufwand von 2000 Personentagen aus. Auch der GKV-Spitzenverband prognostiziert "erhebliche Investitionen", um die Kassen als Einzugsstellen entsprechend hochzurüsten. Gesundheitspolitisch noch fataler ist aus Sicht der Kassen, dass ein aus Steuern finanzierter Sozialausgleich lediglich "in Aussicht gestellt wird". Was ab dem Jahr 2015 geschieht, wird im Gesetz ausdrücklich nicht festgeschrieben. Bis einschließlich 2014 stellt der Bund für den Sozialausgleich bislang zwei Milliarden Euro einmalig zur Verfügung. Bis dahin, schreibt Gesundheitsökonom Greß, wird der Sozialausgleich "aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds - gleichsam aus der Portokasse - finanziert". Dieses Vorgehen nennt der Wissenschaftlicher "aus fiskalischer Sicht in höchstem Maße unseriös".

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