30 Jahre Mauerfall

Ärztehaus? Diese Idee kam 1990 zu früh

Die Mauer war gerade gefallen, als sich das kleine Hadmersleben in der Börde zum Wallfahrtsort für Ärzte entwickelte. Ihr Ziel: Hausarzt Dr. Uwe Milbradt.

Von Petra Zieler Veröffentlicht:
Dr. Uwe Milbradt in seiner Praxis. Das Gemälde der Ortsansicht von Hadmersleben hat der Maler Harald Müller dem MVZ geschenkt.

Dr. Uwe Milbradt in seiner Praxis. Das Gemälde der Ortsansicht von Hadmersleben hat der Maler Harald Müller dem MVZ geschenkt.

© Petra Zieler

„Das war schon eine verrückte Zeit zwischen dem Gestern und Morgen. Jeder ahnte große Veränderungen. Doch was passieren würde mit dem Einzelnen, mit der Gesellschaft – wir hatten viele Fragezeichen.“ Und Unsicherheiten.

Da war es gut, einen wie Uwe Milbradt zu kennen. Der hatte 1984 die Inhaber geführte Praxis seines verstorbenen Vaters übernommen. „Laut Niederlassungsordnung der DDR durften Vertragsarztsitze praktisch vererbt werden. Das war ein Zugeständnis der Regierung, damit nicht auch noch der letzte Arzt in den Westen abzittert.“

Die Verwandtschaft war im Westen

Milbradt Senior war nach dem Mauerbau einer von drei verbliebenen Hausärzten in der Kreisstadt Schönebeck. „Obwohl unsere ganze Verwandtschaft im Westen lebte, konnte und wollte mein Vater seine Patienten nicht im Stich lassen.“

Weil Uwe Milbradt den Kampf mit den DDR-Behörden nicht gescheut und sein verbrieftes Recht durchgesetzt hatte, gehörte er nach dem Mauerfall zu jenem kleinen Trupp Ärzte, die in eigener Praxis arbeiteten.

Gerade mal 400 waren es in der ganzen DDR, weniger als 100 im Bezirk Magdeburg (Bundesländer gab es erst wieder im vereinten Deutschland). „Wir trafen uns regelmäßig in der sogenannten Abrechnungsstelle – das war quasi unser Honorarbüro und diskutierten heftig. Mein Kollege Wolfgang Rössner und ich waren die Jüngsten. Unser Vorschlag, aus der Kreispoliklinik Wanzleben ein Ärztehaus zu machen, fand keine Mehrheit.“ Zeitgleich wurde die Verunsicherung unter den angestellten Ärzten immer größer.

Etliche fragten Uwe Milbradt, wie das so ist als Arzt und Manager. „Klar konnte ich etwas beruhigen, Mut machen, aber ich hatte doch selbst viele Fragen.“ Also machte er sich auf den Weg nach „drüben“, in den Westen, machte sich bei KBV, Bundesärztekammer und Kollegen schlau. Einige kannte er aufgrund von Publikationen schon länger. Später lud der Hausarzt über die Tageszeitung zu einem Treffen in den Hadmerslebener Ratskeller ein.“

Etwa 100 Ärzte fühlten sich angesprochen, die wählten im knapp 2000-Seelen-Ort nahe der innerdeutschen Grenze dann auch gleich ihre Kreisstellensprecher. „Beim zweiten Treffen wenige Wochen später waren wir schon mehr als 500 Ärzte und am 28. März 1990 gründeten wir im Kulturhaus Hadmersleben unsere Kassenärztliche Vereinigung. Nicht als eigenständige Körperschaft, wir waren ja noch DDR, sondern als eingetragenen Verein.“ Einen Monat später wurde im südlichen Teil des heutigen Sachsen-Anhalts die KV Halle gegründet. Initiator dort war der HNO-Arzt Dr. Hans-Werner Trummel.

Schon kurz danach zog sich Uwe Milbradt aus der Standespolitik zurück. Dabei hatte ihm der damalige Gesundheitsminister zu verstehen gegeben, dass Leute, wie er gebraucht werden. „Lassen Sie sich nicht unterkriegen, hat er zu mir gesagt. Aber gerade, weil ich mich nicht unterkriegen lassen wollte, habe ich mich auf meinen Beruf und die Patienten besonnen. Wie zu DDR-Zeiten. Im Ort hatten sie mich ohnehin schon gefragt: Was wird aus uns, wenn du jetzt Politik machst. Auch meine Frau hatte die Reißleine gezogen: Nicht schon wieder Querelen. Die hatten wir lange genug.“

Ideen benötigen ihre Zeit

Milbradts Ideen von der Umwandlung der Polikliniken in privatwirtschaftlich geführte Einrichtungen, dem Erhalt der Außenstellen, stießen weitgehend auf taube Ohren. „Heute haben wir MVZ und Filialpraxen. Es braucht eben alles seine Zeit“, sagt der 71-Jährige. Nachdenklich ist er, verbittert nicht. Großen Respekt zollt er dem heutigen KVSA-Vorstand Dr. Burkhard John. Auch der hatte damals zu den Vorreitern gehört. „Und durchgehalten. Davor ziehe ich den Hut.“

Milbradt hat sich auf die kleinen Schritte besonnen, hat 1990 in Hadmersleben gemeinsam mit einer Kollegin eine Gemeinschaftspraxis gegründet, die 2006 in ein MVZ umgewandelt wurde. Neun Ärzte und drei Weiterbildungsassistenten (darunter auch Milbradts Tochter) arbeiten heute im Stammhaus und den fünf Filialpraxen. Ab 2020 wird ein Kardiologe hinzukommen. Gute Arbeitsbedingungen, keine Risiken, keine Bereitschaftsdienste (die übernimmt ein Dienstleister). Milbradt und seine Mitgesellschafterin haben es nicht schwer, neue Kollegen zu finden. „Eine unserer Arzthelferinnen würde gern ein Physican Assistant-Studium aufnehmen. Sie hat zwei Kinder, kann und will deshalb zum Studium nicht in ein anderes Bundesland. Die KV hat konkrete Vorstellungen zum Start dieser Ausbildung signalisiert.“

Dr. Uwe Milbradt

  • Der 71 Jahre alte Hausarzt arbeitet im MVZ in Hadmersleben mit neun Kollegen und drei Weiterbildungsassistenten – darunter seine Tochter.
  • Die Verbundenheit der Patienten mit ihren Ärzten vor Ort belegt das Gemälde der Ortsansicht, das der Maler Harald Müller dem MVZ geschenkt hat.

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