Nach mehr als einjähriger Debatte
Bundeskabinett segnet umstrittene Klinikreform ab
Spezialisierung mittels Leistungsgruppen, neue Finanzierung via Vorhaltepauschalen: Das Bundeskabinett hat grünes Licht für die Klinikpläne von Gesundheitsminister Lauterbach gegeben. Der sieht sich weiterhin scharfer Kritik ausgesetzt.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Das Bundeskabinett hat am Mittwochvormittag grünes Licht für die umstrittene Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gegeben. Jetzt ist der Bundestag am Zug. Die Reform soll ab dem 1. Januar 2025 wirksam werden.
Der Gesetzentwurf zielt im Wesentlichen auf eine neue Finanzierung und mehr Spezialisierung der bundesweit rund 1.700 Krankenhausstandorte ab. Vorgesehen sind dafür Vorhaltepauschalen und – in Anlehnung an den Krankenhausplan in Nordrhein-Westfalen – 65 verschiedene Leistungsgruppen.
Im Kabinettsentwurf sind die Leistungsgruppen als Anlage gelistet – hinterlegt sind dort auch Qualitätskriterien, die die Kliniken erfüllen müssen, um von den Ländern eine Leistungsgruppe zugewiesen zu bekommen. Dazu zählen etwa personelle und sachliche Ausstattung der Häuser sowie „sonstige Struktur- und Prozesskriterien“. Über ein Vorhaltebudget, das den Leistungsgruppen folgt, sollen 60 Prozent der Kosten vergütet werden – der Rest über Fallpauschalen.
Reformplan mit langer Vorgeschichte
Vorausgegangen ist den Beratungen im Kabinett ein mehr als ein Jahr andauernder Streit um die Inhalte der Reform. Die Länder stoßen sich überdies daran, dass Lauterbach das Kerngesetz ohne Zustimmung des Bundesrats auf den Weg bringen will – Näheres will der SPD-Politiker in zustimmungspflichtigen Verordnungen regeln. Gegen Mittag will Lauterbach die Presse über seine Pläne informieren.
Die Kritik daran hält unvermindert an. Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Dr. Susanne Johna, beklagte gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Mittwoch), bei genauerer Betrachtung entpuppe sich die Reform als Etikettenschwindel. „Das ist nicht die Entlastung von ökonomischem Druck, die wir in den Krankenhäusern brauchen“. Es sei abwegig, dass ein derartiger „Großversuch“ ohne vorherige Bedarfs- und Auswirkungsanalyse starten solle.
Kritik äußerte auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Lauterbachs Reform erfülle nicht die Ziele, die er selber formuliert habe – also weniger Ökonomisierung, weniger Bürokratie, mehr Qualität, kritisierte DKG-Vizechef Thomas Lemke im Fernsehsender „ntv“ (Mittwoch). Lauterbach gehe von einer „zentralistisch planwirtschaftlichen Systemlogik“ aus.
Kritik im Vorfeld der Kabinettsbefassung
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Risiko der Klagen und Blockaden
Der Geschäftsführer beim IKK e.V., Jürgen Hohnl, erklärte, Lauterbach bewege sich mit seinem Gesetzentwurf weiter auf schmalem Grat. Gleich dreifach drohe das „Risiko der Verfassungs- beziehungsweise Rechtswidrigkeit“.
Vonseiten der Länder wegen der aus ihrer Sicht bestehenden Zustimmungspflicht und seitens der Krankenkassen wegen Zweifeln an der Finanzierung des Transformationsfonds über Beitragsmittel. Obendrein habe die Kassenärztliche Bundesvereinigung EU-rechtliche Bedenken geäußert.
Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha drohte mit einer Blockade im Bundesrat durch den Vermittlungsausschuss. Lauterbach habe mit Blick auf die Reform mehrfach Wortbruch begangenen, sagte der Grünen-Politiker der „Augsburger Allgemeinen“ (Mittwoch).
Milliardenschwerer Transformationsfonds
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Kassen warnen vor Kostenlawine
Das Vorstandsmitglied beim GKV-Spitzenverband, Stefanie Stoff-Ahnis, sagte, auf Grundlage des NRW-Modells solle mit der Reform zwar erstmals eine bundeseinheitliche Strukturierung der Leistungsangebote der Kliniken erfolgen. „Allerdings bilden die teils groben Leistungsgruppen die dahinterliegenden komplexen Versorgungen der Patientinnen und Patienten nicht ab.“ Die Ausdifferenzierung werde vertagt.
Für die Ortskrankenkassen stellte der Vizechef beim AOK-Bundesverband, Jens Martin Hoyer, klar, dass Strukturreform und Reform der Finanzierung beim Krankenhausumbau „Hand in Hand“ gehen müssten. „Aktuell droht jedoch eine Entkoppelung dieser beiden Themen.“ Segelten die Pläne zur Finanzierung der Krankenhausreform weiter durch wie am Mittwoch vom Kabinett beschlossen, werde das die Beitragszahler „sehr teuer“ zu stehen kommen und zu höheren Beitragssätzen führen.
Der Vorstandschef der BARMER, Professor Christoph Straub, warnte ebenfalls vor einer Kostenlawine. „Die im Raum stehende Kliniksteuer zulasten der Versicherten muss zurückgenommen werden.“ Allein durch die Regelungen zum Transformationsfonds sollten bis zu 25 Milliarden Euro aus Beitragsgeldern aufgebracht werden, merkte Straub an. Die Investitionsfinanzierung sei aber Kernaufgabe der Länder. (hom)