Verbindliche Personalbemessung

Lauterbach: Machen Ernst mit der Entlastung der Krankenhauspflege

Ein neues Gesetz der Ampelkoalition soll die Pflege im Laufschritt auf Klinikstationen beenden – und zu mehr Patientensicherheit führen. Geplant sind feste Vorgaben, um ausreichend viele Pflegekräfte vorzuhalten.

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Mehr Personal gegen hektischen Pflegealltag: Die Ampel ist um eine Entlastung der Pflegekräfte in Krankenhäusern bemüht.

Mehr Personal gegen hektischen Pflegealltag: Die Ampel ist um eine Entlastung der Pflegekräfte in Krankenhäusern bemüht.

© monkeybusinessimages / Getty Images / iStock

Berlin. Personalbemessung für bettenführende Stationen der Somatik, mehr Gewicht bei Gesundheitsgutachten: In erster Lesung hat der Bundestag am Mittwoch den von Gesundheitsminister Professor Karl Lauterbach vorgelegten Gesetzentwurf für eine Pflegepersonalbemessung in Kliniken beraten. „Wir machen hier Ernst mit der einer Entlastung der Pflege“, sagte der SPD-Politiker in der rund 45-minütigen Aussprache.

Pflegekräfte in Kliniken seien „seit Jahren“ stark belastet, die Pandemie habe das Problem verschärft. Ziel des Gesetzes sei es, „stationsgenau“ festzuhalten, wie die Personalsituation sei und daraus abgeleitet möglichen Mehrbedarf an Personal abzuleiten.

Mehr Pflegekräfte am Patientenbett

Deutschland leiste sich noch immer viele Krankenhausbetten, viele Eingriffe, die auch ambulant zu erbringen seien, und lange Liegezeiten, so Lauterbach. Unnötige Operationen „auf Kosten der Pflege“ seien nicht länger hinzunehmen.

Die Ampel arbeite überdies an der Einführung von Tagespauschalen für Klinikbehandlungen ohne Übernachtung des Patienten und an einer stärkeren Ambulantisierung bisher stationär erbrachter Leistungen. Auch wolle man erreichen, dass die in der Pflegeausbildung erworbenen Kompetenzen anschließend in der Praxis auch angewendet werden könnten. Das passiere noch zu wenig.

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche sagte, für gute Pflege brauche es mehr Pflegekräfte am Bett. Zur Personalbemessung käme ein Instrument zum Tragen, das von „drei wesentlichen Akteuren“ im Gesundheitsbereich entwickelt worden sei. Es brauche jetzt dringend „spürbare Reformen in der Krankenhauspflege“. Die gehe die Ampel an.

Monstadt fürchtet höheren Dokumentationsaufwand

Der CDU-Gesundheitspolitiker Dietrich Monstadt kritisierte, die geplanten Maßnahmen kämen „zu spät“, und es seien auch „zu wenig“. Die vorgesehene Personalbemessung löse einen noch höheren Dokumentationsaufwand aus – am Ende stünde daher „faktisch keine Entlastung“ des Pflegepersonals. Es brauche stattdessen ein „dynamisches System“ zum Personaleinsatz, „das eigenverantwortliches Handeln vor Ort“ ermögliche.

Außerdem müsse die Koalition den durch Inflation und Energiekrise gebeutelten Krankenhäusern finanziell dringend zur Seite springen. „Wo bleibt hier der Doppelwumms?“, fragte Monstadt Richtung Lauterbach. Bleibe die Unterstützung aus, werde sich der „Ausnahmezustand“, in der sich viele Krankenhäuser befänden, weiter zuspitzen, warnte der CDU-Politiker.

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Antwort auf ungeliebte Personaluntergrenzen

Konkret sieht das Krankenhauspflege-Entlastungsgesetz den Einsatz eines Instruments zur Personalbemessung – die sogenannte PPR 2.0 – vor. Entwickelt worden ist das Instrument von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und dem Deutschen Pflegerat.

Ziel ist es, den Pflegebedarf auf den Stationen für Tag- und Nachtschichten minutengenau und nach erforderlichen Qualifikationen abzubilden. Sollwerte sollen anschließend mit der Ist-Situation abgeglichen werden, um möglichen zusätzlichen Personalbedarf zu eruieren. Die PPR 2.0 gilt Befürwortern auch als Antwort auf die ungeliebten Pflegepersonaluntergrenzen (PpUG). Diese werden als zu unflexibel und bürokratisch kritisiert.

Den Regierungsplänen zufolge soll die PPR 2.0 in drei Stufen wirksam werden. Ab 1. Januar 2023 ist zunächst eine Erprobungsphase geplant. Das Instrument soll auf Normalstationen und in der Pädiatrie getestet werden. Auf dieser Grundlage sollen den Krankenhäusern anschließend in einer Rechtsverordnung Vorgaben gemacht werden. Ab 2025 sollen die Personalvorgaben verbindlich sein und – bei Missachtung – sanktioniert werden.

Sanktionen und Ausnahmen geplant

Es sind allerdings Ausnahmen vorgesehen: Falls ein Krankenhaus bereits über einen Entlastungstarifvertrag mit verbindlichen Vorgaben zur Mindestpersonalbesetzung auf bettenführenden Stationen verfügt, soll auf die PPR 2.0 verzichtet werden können. Für die Qualität der Patientenversorgung und die Arbeitssituation der Pflegekräfte sei eine angemessene Personalausstattung in den Kliniken „essenziell“, heißt es im Entwurf.

Mit dem geplanten Gesetz sollen zudem die Budgetverhandlungen zwischen Kliniken und Krankenkassen beschleunigt werden. Auf der Ortsebene, heißt es dazu im Gesetzentwurf, sei seit vielen Jahren ein „Verhandlungsstau bei den jährlichen Budgetverhandlungen“ festzustellen. So seien für das Jahr 2020 erst 60 Prozent der Budgets vereinbart. Dabei sollten die Budgets „prospektiv“, also frühzeitig für das folgende Jahr, abgeschlossen sein.

Weiterer Bestandteil des Gesetzesvorhabens ist ein stärkerer Fokus wissenschaftlicher Begutachtungen auf den Pflegebereich. Dieser soll laut Entwurf „ausdrücklich“ in den Auftrag des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) aufgenommen werden.

Damit solle die „große Bedeutung dieses Teils der Gesundheitsversorgung“ unterstrichen werden. Damit die Gesundheitsweisen ihren Auftrag aktueller und „zielgenauer“ erfüllen können, soll die bisherige Zweijahresfrist für die Vorlage verkürzt werden.

Uniklinika: Personalmangel wird nur dokumentiert

Kritik an den Plänen trug der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) vor. Der Gesetzentwurf biete keine langfristigen Lösungen für die Probleme des Gesundheitssystems, teilte der VUD am Mittwoch mit. Mittels Einführung der PPR 2.0 werde der bekannte Fachkräftemangel im Krankenhaus „nur dokumentiert, aber kein zusätzliches Pflegepersonal gewonnen“.

Die Regelungen zu den Budgetverhandlungen wiederum gingen an der Realität in den Krankenhäusern vorbei, so die Uniklinika. Statt wie geplant schneller zu einem Budgetabschluss zwischen Krankenhaus und Kasse zu kommen, werde das Verfahren noch komplexer gemacht. Vorgegebene Fristen wären von allen Beteiligten nicht einzuhalten. Der Weg in die Schiedsstelle sei programmiert.

Gefahr der Personalbemessung „nach Kassenlage“

Ein Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) erklärte auf Anfrage der Ärzte Zeitung, hochwertige Versorgung hänge immer von der Personalausstattung ab. Deshalb sei es entscheidend, dass gesetzliche Maßnahmen das Personal von unnötigen bürokratischen Aufgaben entlasteten und den Personalaufbau unterstützten und nicht konterkarierten. Das Gesetz zur Stärkung der Pflege im Krankenhaus werde dieses Ziel in der bisher geplanten Form nicht erreichen, so der Sprecher.

In einem gemeinsamen Schreiben an die Mitglieder des Gesundheitsausschusses fordern DKG, die Gewerkschaft ver.di und der Deutsche Pflegerat zudem, das im Gesetzentwurf geplante Vetorecht des Finanzministeriums wieder zu streichen. Alles andere laufe auf eine Personalbemessung „nach Kassenlage“ hinaus. (hom)

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