Gipfel am Dienstag

Deutschland sucht die neue Corona-Formel

Impftempo, Inzidenz, Schnelltests: Bund und Länder wollen am Dienstag die Corona-Politik neu justieren. Streit ist programmiert – vor allem beim Umgang mit Ungeimpften. Die GMK spricht sich für eine Verlängerung der epidemischen Lage aus.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Vertrautes Duo aus vielen früheren Konferenzen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und – als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz – der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), treffen sich am Dienstag zu erneuten Beratungen über den Fortgang der Impfstrategie.

Vertrautes Duo aus vielen früheren Konferenzen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und – als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz – der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), treffen sich am Dienstag zu erneuten Beratungen über den Fortgang der Impfstrategie.

© Annegret Hilse/Reuters Pool/picture alliance

Berlin/München. Bund und Länder ringen um einen einheitlichen Kurs in der Corona-Politik. Hintergrund ist die weiter steigende Sieben-Tage-Inzidenz. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) lag der Wert am Montag bei 23,1 – vor einer Woche hatte er bei 17,8 gelegen. Das RKI hatte kürzlich darauf hingewiesen, dass die Inzidenz in diesem Sommer früher und schneller steige als im vergangenen Jahr.

Der Regierungschefs der Länder kommen am Dienstag per Videoschalte mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu neuerlichen Corona-Beratungen zusammen – drei Wochen früher als ursprünglich geplant.

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„Suche nach dem besten Weg“

Die Bundesregierung beobachte die Lage sehr genau, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Montag. Bund und Länder wollten ausloten, welcher der beste Weg ist, mit steigenden Fallzahlen umzugehen. „Wir wollen alles tun, um eine Situation, wie wir sie Ende letzten und Anfang dieses Jahres hatten, wieder zu vermeiden.“ Beherrschende Themen des Corona-Gipfels dürften sein:

Vakzine gibt es mittlerweile genug. Das Problem ist: Die Impfbereitschaft der Bundesbürger sinkt. „Wir müssen besprechen, wie wir noch mehr Menschen zum Impfen motivieren können, um einen Anstieg der Infektionszahlen im Herbst und Winter zu vermeiden“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister und derzeitiger MPK-Vorsitzender Michael Müller (SPD) der „Berliner Morgenpost“ am Sonntag.

Laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sind inzwischen knapp 51,9 Millionen und damit 62,4 Prozent der Bundesbürger einmal geimpft. 45,6 Millionen beziehungsweise 54,8 Prozent hätten den vollen Impfschutz erhalten, teilte Spahn am Montag via Nachrichtendienst „Twitter“ mit.

Eine Impfpflicht wird weitgehend abgelehnt. Der Druck auf Ungeimpfte nimmt aber zu. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) plädiert dafür, ungeimpfte Menschen ab bestimmten Grenzwerten von Veranstaltungen und Gastronomie auszuschließen.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte der „Bild am Sonntag“: Wer geimpft, genesen oder getestet (3G-Regel) sei, den dürfe der Staat nicht von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausnehmen.

Grünen-Chef Robert Habeck erklärte im ZDF-Sommerinterview am Sonntag: „Es wird einen Unterschied geben im Zugang von Rechten und in der Freiheit des Lebens zwischen den Geimpften und Ungeimpften.“

Die Inzidenz als alleiniger Parameter zur Einschätzung der Lage und für Corona-Beschränkungen hat nach Ansicht vieler Ärzte, Klinikchefs, Wissenschaftler und Politiker ausgedient.

„Gerade, wenn es weiterhin wesentliches Ziel aller politischen Handlungen ist, die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, müssen auch vermehrt die Messzahlen und Indikatoren aus dem Gesundheitssystem herangezogen werden“, sagte der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft Dr. Gerald Gaß am Montag. Als neue Formel wird nun ein „3-I-Wert“ erwogen: bestehend aus Impfquote, Intensivbetten-Auslastung und Inzidenz.

Bislang sind die „Bürgertests“ gratis. Ein Bericht des BMG sieht jedoch das Aus der kostenlosen Tests ab Mitte Oktober vor. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht unterstützte den Vorschlag. Jeder, der sich impfen lassen könne, habe ein Impfangebot, sagte die SPD-Politikerin im RBB-Inforadio am Montag. Lehne jemand das Impfangebot ab, müsse er auch die Konsequenzen tragen.

Widerspruch kam vom 1. Parlamentarischen Geschäftsführer der Linksfraktion Jan Korte. Aktuell seien 54 Prozent der Deutschen geimpft. „Wer bei diesem Stand der Impfungen das Testen kostenpflichtig macht, gibt die Kontrolle über die Pandemie aus der Hand und handelt nicht nur verantwortungslos, sondern vorsätzlich.“

Grundsätzlich müssten AHA+L-Regeln weiter eingehalten werden, sagte Regierungssprecherin Demmer. Auch das BMG hatte sich dafür ausgesprochen, Maskenpflicht und Abstandsregeln bis zum Frühjahr 2022 für alle aufrechtzuhalten.

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen warnte vor einer „Kontrollillusion“ der Politik. Geimpfte hätten nahezu 100 Prozent Schutz vor einem schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf, sagte Gassen dem „Bild“-Internetformat „Die richtigen Fragen“ am Sonntag.

„Und dann muss ich für mich selber entscheiden, ob ich in gewissen Situationen vielleicht Maske trage, weil ich vielleicht ängstlich bin oder ich vielleicht momentan erkältet bin.“ Er würde die Maskenpflicht daher einem „individuellen Entscheidungshorizont überantworten“.

Umstritten ist die Frage, ob die epidemische Lage von nationaler Tragweite über den September hinaus verlängert werden soll. In der Koalition gibt es dazu unterschiedliche Ansichten – Oppositionspolitiker verweisen auf Paragraf 28a im Infektionsschutzgesetz, der als Grundlage künftiger Corona-Politik ausreiche.

Die Länder fordern derweil eine Verlängerung der rechtlichen Ausnahmesituation. Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz (GMK), Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), erklärte nach Beratungen der GMK am Montagabend in München: „Wir bitten den Bundestag, die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite über den 11. September hinaus fortzuführen. Das ist notwendig, um Infektionsschutzmaßnahmen in den Ländern weiterhin umzusetzen, wenn dies geboten ist.“

Angesichts steigender Infektionszahlen hielten die Länder den Schritt für wichtig. „Denn wir dürfen uns nicht voreilig unserer erprobten Instrumente berauben“, betonte Holetschek.

NRW-Chef und Unions-Kanzlerkandidat Laschet hatte zuvor betont: Auch, wenn die Lage derzeit noch nicht so schlimm sei wie im vergangenen Jahr, dürfe man den erprobten Werkzeugkasten aus Corona-Schutz-Maßnahmen nicht vorzeitig aus der Hand geben. Deshalb müsse der Bundestag die epidemische Lage verlängern, sagte Laschet bei der Vorstellung eines Fünf-Punkte-Plans zum weiteren Vorgehen in der Pandemie.

Trotz Sommerferien besteht für den Bundestag noch Gelegenheit, die epidemische Lage in der laufenden Legislatur abermals zu verlängern: Anfang September kommt das Parlament zu einer Sondersitzung zusammen. (mit dpa)

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