Kinder- und Jugend-Ärztetag

Die Bedarfsplanung gehört in die Mottenkiste

Die Reform der Bedarfsplanung stand im Mittelpunkt des Kinder- und Jugend-Ärztetages 2017 in Berlin. Die geltende Planung basiert auf Daten von 1990. Seitdem hat sich die Pädiatrie dynamisch entwickelt.

Raimund SchmidVon Raimund Schmid Veröffentlicht:

Daran zweifelt eigentlich keiner mehr: Die Anforderungen an die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte sind in den vergangenen 25 Jahren enorm angewachsen. Die geltende pädiatrische Bedarfsplanung hinkt indes diesem Trend weit hinterher – sie gehört nach Ansicht von Experten wie Betroffenen "in die Mottenkiste".

Auf diese Diskrepanz hat Dr. Dominik Graf von Stillfried, Geschäftsführer des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI), beim 47. Kinder- und Jugend-Ärztetag 2017 des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Berlin mit erfrischend klaren Worten hingewiesen. Dafür gebe es eine ganze Anzahl von Gründen, die sich in den noch heute maßgeblichen Bedarfsplanungszahlen von 1990 nicht widerspiegelten. So sei zum Beispiel eine Vielzahl neuer und zum Teil aufwändig zu erbringender Leistungspositionen hinzugekommen.

Wachsendes Leistungsangebot

So hat es laut ZI von 2009 bis 2015 genau 13,5 Prozent mehr Gebührenpositionen für die schwerpunktorientierte Pädiatrie und sogar 41 Prozent mehr Gebührenpositionen für Pädiater mit Zusatzweiterbildung gegeben. Darum müsste es heute mehr Pädiater geben als 2009. Die Arbeitskapazität sei aber in diesem Zeitraum um ein Prozent geschrumpft.

Es sind jedoch nicht nur neue Leistungen, die zu einer wachsenden Lücke zwischen Bedarf und Angebot führen. " Die meisten Patienten brauchen heute ein Vielfaches an Zeit verglichen mit früher", hob Dr. Thomas Fischbach, Präsident des BVKJ; in Berlin hervor. Dies liegt daran, dass die Vorsorgeuntersuchungen immer umfangreicher würden, neue Impfungen mit zeitintensiverer Aufklärung hinzukämen und immer mehr verhaltens- und entwicklungsgestörte Kinder und Jugendliche in die Praxen kommen. Fischbach: "Die Zeiten, in denen wir nach Schema F primär Infektionskrankheiten in unseren Praxen behandelt haben, sind vorbei."

Fallzahlen sollten sinken

Das heißt: Mehr Arbeit je Fall, aber auch mehr Patienten: Im vierten Quartal 2015 waren dies im Schnitt 950 Fälle pro Arzt und Quartal. Allerdings sind dabei die regionalen Unterschiede erheblich. Während die Pädiater in Bayern mit 861 Patienten pro Quartal und Baden-Württemberg sogar nur mit 806 weit mehr Zeit für einen Patienten aufbringen können, so müssen die Kinder- und Jugendärzte in Westfallen-Lippe in der gleichen Zeit 1139 Kinder durch ihre Praxen schleusen, berichtete von Stillfried. Dies sei aber beim heutigen qualitativen Anforderungsprofil einer pädiatrischen Praxis kaum mehr zu stemmen. Neue Bedarfszahlen sollten sich daher eher an der Zahl 2000 bis 3000 Fälle pro Jahr und weniger an der magischen Grenze von 4000 oder mehr orientieren. Um das durchzusetzen, müsse sich der Gemeinsame Bundesausschuss noch gewaltig bewegen.

Zum Mehrbedarf an Pädiatern tragen aber auch weitere Entwicklungen bei, die bisher zu wenig beachtet worden sind:

- Der Trend hin zum Angestelltenverhältnis hält gerade in der Pädiatrie mit dem hohen Frauenanteil weiter an. Angestellte Ärztinnen arbeiten jedoch im Schnitt nur halb so lang wie selbstständige tätige Pädiater.

- Immer mehr schwer kranke Kinder können ambulant behandelt werden und müssen nicht mehr stationär aufgenommen werden.

- In wachsenden Ballungsgebieten werden in den nächsten 15 Jahren deutlich mehr Pädiater benötigt. Dieser Trend werde lange anhalten.

Von Stillfried stellte abschließend in Berlin klar, dass aus all diesen Gründen die Bedarfszahlen nicht nur in der Pädiatrie dringend angepasst und die Bedarfsplanung auch regional deutlich flexibler gestaltet werden müsste.

Auf der anderen Seite müsse aber auch hingenommen werden, dass künftig nicht überall Subspezialisten wie etwa Kinderdiabetologen zur Verfügung stehen können, weil der Diabetes Typ 1 im Kindesalter zu selten vorkommt.

Generell möchte auch Berufsverbands-Chef Fischbach die Bedarfsplanung viel stärker "am Bedarf orientiert" sehen. Es ist nicht mehr zu leugnen: Der Bedarf nach pädiatrischen Leistungen steigt eindeutig – nicht zuletzt auch wegen der steigenden Geburtenrate und der bislang pädiatrisch unterversorgten Kinder aus Flüchtlingsfamilien.

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