"Es geht darum, Verhältnisse zu ändern"

Von Pete Smith Veröffentlicht:

Es ist der 10. Dezember 1997. In Oslo tritt Professor Francis Sejersted, Chef des Nobelpreiskomitees, vor das Publikum. "Es gibt jene unter uns", hebt er an, "deren Vertrauen unerschütterlich ist, dass man Dinge tun kann, die die Welt besser, sicherer und zu einem menschlicheren Ort machen, und die, selbst wenn die Aufgaben überwältigend erscheinen, den Mut haben, diese anzugehen. Solche Leute verdienen unsere Bewunderung und unseren Dank. Wir sind erfreut und geehrt, einige von ihnen heute hier willkommen heißen zu können." Dann bittet Sejersted die Vertreter der Kampagne für das Verbot von Landminen auf die Bühne, um ihnen den Friedensnobelpreis zu verleihen.

Mit dieser Auszeichnung werden an diesem Abend auch deutsche Menschenrechtsaktivisten geehrt. Eine der Gründerinnen der Landminen-Kampagne ist die Frankfurter Hilfsorganisation medico international. Historisch aus dem Aufbruch der späten 60-er Jahre entstanden, fühlen sich die Mitarbeiter heute noch deren Anspruch verpflichtet, Verhältnisse zu verändern, um die Welt besser, sicherer und humaner zu machen. In diesem Jahr wird medico international 40 Jahre alt.

"Dass unsere Organisation ausgerechnet 1968 gegründet worden ist, war sicher kein Zufall", sagt Projektkoordinator Dr. Andreas Wulf. "Denn von Anfang an ging es nicht nur darum, Hilfe zu leisten, sondern die Verhältnisse so zu ändern, dass Hilfe überflüssig wird." Unter dem Eindruck der Hungerkatastrophe von Biafra und dem Krieg in Vietnam tun sich im Mai 1968 Ärzte, Krankenschwestern, Medizinstudenten und engagierte Bürger zusammen, um Hilfe für die Opfer zu organisieren.

Ziel ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.

Mit dabei ist der Frankfurter Allgemeinmediziner Mathis Bromberger. Gemeinsam mit drei weiteren Mitarbeitern macht er sich 1971 auf den Weg nach Bangladesh, im Gepäck Medikamente und medizinisches Gerät. Drei Monate lang behandeln er und seine Kollegen die unter Unterernährung und einer Choleraepidemie leidenden Menschen. Als er wieder abreist, hat er ein beklemmendes Gefühl, denn nun sind die Menschen wieder sich selbst überlassen.

Solche Erfahrungen führen schon bald darauf zu einem Umdenken. Katastrophenhilfe ist nötig, aber sinnvoller ist eine entwicklungsorientierte Unterstützung, die das Konzept Hilfe zur Selbsthilfe in den Mittelpunkt stellt. Oder wie es Wulf formuliert: "Wir müssen den Blick von der Hilflosigkeit weglenken und fragen: Welche Ressourcen sind da? Wie können wir die Menschen und die lokalen Organisationen vor Ort stärken? Wie erreichen wir die Ärmsten? Und was kann man tun, um die Ungerechtigkeiten zu beseitigen?"

Wulf ist der einzige Arzt im festen Stamm des Teams, das etwa 25 Mitarbeiter umfasst. Er engagiert sich seit 1998 für medico. Als Koordinator ist der 43-Jährige Bezugsperson für Projektpartner in den betroffenen Ländern. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt derzeit im Libanon und in Bangladesh, zwei Länder, die er in diesem Jahr bereits besucht hat. Wulf kontrolliert die Listen jener Arzneimittel, die im Land erworben werden und koordiniert internationale Gesundheitsnetzwerke und berät die Menschen vor Ort.

Derzeit beobachtet der Frankfurter Arzt eine Entwicklung, die Anlass zu Optimismus gibt. "Mit der Abkehr vom Neo-Liberalismus der 90-er Jahre übernehmen die Staaten wieder eine stärkere Verantwortung für die Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung", so Wulf. "Am deutlichsten sichtbar wird das in punkto HIV/Aids, wo die Betroffenen ihr Recht auf Behandlung durchgesetzt haben."

STICHWORT

medico international

Im Jahr 2006 hat medico in 21 Ländern 60 Projekte unterstützt. Der Jahresetat betrug gut zehn Millionen Euro, die sich aus Spenden, Zuschüssen, Bußgeldern, Mitgliedsbeiträgen und Rücklagen für langfristige Verpflichtungen zusammensetzten. Im Jahresbericht werden die Summen exakt benannt: 128 701 Euro für die Arbeit im Libanon, wo Projektpartner von medico nach dem libanesisch-israelischen Krieg Flüchtlingsnothilfe geleistet haben, 160 172 Euro für die Tsunami-Nothilfe und den Aufbau eines Menschenrechtsnetzwerks in Sri Lanka, 3 797 133 Euro aus Mitteln des Auswärtigen Amtes für den Aufbau in Afghanistan, 167 898 Euro für die Bürgerkriegsopfer in Guatemala und 45 898 Euro für die Spätfolgen des Diamantenkriegs in Sierra Leone. Zehn Prozent der Gesamtausgaben wurden für die Öffentlichkeitsarbeit aufgewendet: für die "kritischen Interventionen in den gesellschaftlichen Diskurs im eigenen Land wie in der internationalen Öffentlichkeit".

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