GBA stemmt sich gegen weiche Bewertungsstandards

Das Arzneigesetz AMNOG kann den GBA in die Bredouille bringen. Dann nämlich, wenn er Innovationen mit unterschiedlichen Evidenzniveaus misst.

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GBA-Chef Dr. Rainer Hess: Nutzen mit der Zulassung belegt? "Eine mutige Aussage."

GBA-Chef Dr. Rainer Hess: Nutzen mit der Zulassung belegt? "Eine mutige Aussage."

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DÜSSELDORF (iss). Die im Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) geregelte Frühbewertung von Arzneimitteln darf die Hersteller nicht von der Verpflichtung entbinden, den Nutzen von Medikamenten darzulegen, fordert der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) Dr. Rainer Hess.

Der Hersteller müsse zwar künftig nach Paragraf 35a Sozialgesetzbuch V ("Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen") ein Dossier beim GBA einreichen, sagte Hess bei einer Fortbildungsveranstaltung der KV Nordrhein. "Wenn er überhaupt kein Dossier einreicht, hat das nur die Konsequenz, dass der Zusatznutzen nicht belegt ist."

Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass der Nutzen mit der Zulassung belegt sei. "Das ist eine mutige Aussage", sagte Hess. Schließlich lägen zu diesem Zeitpunkt häufig nur Studien mit Surrogatparametern vor. In solchen Fällen müssten Unternehmen verpflichtet werden, zu einem späteren Zeitpunkt Unterlagen für die Nutzenbewertung vorzulegen.

Dazu vermisst Hess Regelungen im Gesetz. Bei der Festsetzung der Preise für Medikamente gehe das AMNOG in die richtige Richtung. "Aber die Frage des Nutzens, der für Patienten entscheidend ist, wird nicht beantwortet."

Hess hält einen weiteren Aspekt für bedenklich: Wenn für die Prüfung bei Arzneimitteln ein niedrigeres Evidenzniveau akzeptiert werde, müsse das auch Folgen für andere Bereiche haben. Schließlich habe der GBA bei der Positronenemissionstomografie die Messlatte gerade noch sehr hoch gelegt. "Als Jurist bin ich der Gleichbehandlung verpflichtet."

Der Vorstandsvize des GKV-Spitzenverbands Johann-Magnus Freiherr von Stackelberg teilt die Bauchschmerzen des GBA-Vorsitzenden. Die Arzneimittel seien bisher das Paradebeispiel für Evidenz in der Arbeit des GBA gewesen, sagte er.

"Wenn das gefährdet werden sollte, hätte das gravierende Folgen für die Arbeit des Bundesausschusses." Von Stackelberg hofft, dass es in dieser Frage noch Nachbesserungen am Gesetz gibt. "Wir hätten uns gewünscht, dass es Anreize für die Hersteller gibt, möglichst schnell die höchste Evidenzstufe zu erreichen."

Die frühe Nutzenbewertung ist ein drittes Instrument, das die traditionelle Nutzenbewertung und die Kosten-Nutzenbewertung ergänzt, aber nicht ersetzen darf, betonte der Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Professor Jürgen Windeler.

"Wir gehen nicht davon aus, dass sich die Intensität bei den anderen beiden Instrumenten wesentlich verringern wird." Windeler erwartet, dass der vorgesehene Zeitraum von drei Monaten für die frühe Nutzenbewertung ausreichen wird. Dabei werde das Institut externen Sachverstand hinzuziehen.

"Wir laden Experten ein, sich schon vor einer konkreten Bewertung als Experten in eine Datenbank beim IQWiG einzutragen", sagte er. Die Experten sollen das Institut bei der Einordnung der Sachverhalte unterstützen.

Dabei gehe es um Fragen wie: Gibt es in diesem Bereich ein Versorgungsproblem? Wie ist eine spezielle Indikation in der täglichen Praxis einzuordnen? Gibt es bei bestimmten Patientengruppen eine Versorgungslücke? "Wir erwarten Beratung, keine Mitarbeit in der Bewertung", sagte Windeler.

Aus Sicht der KBV hätte die Koalition AMNOG nutzen müssen, um die Richtgrößenprüfungen abzuschaffen und den Regressdruck von den niedergelassenen Ärzten zu nehmen, sagte KBV-Vizevorstand Dr. Carl-Heinz Müller. Das hätte den Arztberuf wieder attraktiver gemacht. Diese Chance sei vertan worden.

Die wirtschaftliche Verantwortung für die Verordnungen laste weiter auf den Schultern der Ärzte, kritisierte Müller. "Mir kann keiner erklären, warum Ärzte haften müssen, wenn Krankenkassen und Pharmaindustrie die Preise verhandeln."

Der Nachweis eines Zusatznutzens sei für die Unternehmen kein Problem, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller Cornelia Yzer. "Ich bin überzeugt, dass unsere Hersteller gewillt und in der Lage sein werden, den Zusatznutzen zu belegen." Der Nutzenbegriff sei aus Sicht der Industrie zu eng gefasst, kritisierte sie.

Auch Faktoren wie die Compliance der Patienten oder die Verringerung stationärer Behandlungsfälle sollten berücksichtigt werden. "Man muss die Diskussion noch einmal aufnehmen", sagte Yzer.

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