Kassen-Jammer

GKV feuert Breitseite auf Spahn-Vorstoß

Der Gesundheitsminister will die gesetzlich Versicherten entlasten. Die Kassenwelt reagiert genervt: Die Regierung gehe den zweiten Schritt vor dem ersten.

Anno FrickeVon Anno Fricke und Florian StaeckFlorian Staeck Veröffentlicht:
Kassen, Versichertenzahlen und Finanzreserven von mehr als einer Monatsausgabe zum Jahresende 2017.

Kassen, Versichertenzahlen und Finanzreserven von mehr als einer Monatsausgabe zum Jahresende 2017.

© BK / Fotolia

BERLIN. Beim letzten Kassensturz im Februar hatten die Kassen 19 Milliarden Euro auf der hohen Kante, zusammen mit dem Vermögen des Gesundheitsfonds belief sich das Polster der GKV auf fast 28 Milliarden Euro.

Geht es nach Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), soll die Reserve ab kommenden Jahr abschmelzen. "Das ist das Geld der Versicherten", sagte Spahn in dieser Woche. Folgerichtig steht im am Freitag bekanntgewordenen Referentenentwurf des Versichertenentlastungsgesetzes (GKV-VEG) eine Verpflichtung der Kassen, perspektivisch einen rund 4,4 Milliarden schweren Teil der Reserve zugunsten der Versicherten aufzulösen, am besten über Beitragssenkungen. 0,3 Prozentpunkte im Schnitt seien drin, heißt es dazu aus dem Gesundheitsministerium. Der Gesetzentwurf liegt der "Ärzte Zeitung" vor.

Aus dem Kassenlager erhielt der Entwurf in diesem Punkt keine guten Kritiken. "Der Gesundheitsminister schießt übers Ziel hinaus", kommentierte AOK-Chef Martin Litsch die Pläne. Die Kassen zur Senkung des Zusatzbeitragsbeitrags zu zwingen, wenn die Rücklagen über eine Monatsausgabe hinausgehen, sei ein gravierender Eingriff in die Beitragssatzautonomie, sagte Litsch.

Das Tempo des Vorhabens nahmen mehrere Kassenvertreter aufs Korn. Die geplante Regelung zur Senkung der Finanzreserven sei hoch problematisch, sagte DAK-Chef Andreas Storm. Vor einer Reform des Finanzausgleichs der Kassen untereinander könne man nicht einen Mechanismus in Gang setzen, der zu dramatischen Veränderungen des Wettbewerbs führen würde. "Aus meiner Sicht ist ein Junktim zwischen diesen beiden Elementen – Reform des Morbi-RSA und Abbau überdurchschnittlicher Überschüsse – unverzichtbar", sagte Storm am Freitag der "Ärzte Zeitung".

Drei Eckpunkte

Drei Dinge müssten zusammengedacht werden, forderte Storm. Erstens die Finanzentwicklung im GKV-System in den nächsten drei Jahren, zweitens die Neujustierung des Morbi-RSA und drittens die Regelung überdurchschnittlicher Überschüsse." Der Finanzausgleich steht ebenfalls auf der Agenda der Koalition, wird aber wohl erst im zweiten Schritt, möglicherweise ab Herbst, angegangen.

Der Vorsitzende der Barmer, Professor Christoph Straub, hieb in die gleiche Kerbe. "Umso dringlicher ist es, zeitnah eine Reform des Morbi-RSA anzugehen, um für die Zukunft eine Fehlverteilung von Beitragsmitteln zu verhindern", sagte Straub. Denn es sei dieser Webfehler, der dazu führe, dass einzelne Kassen hohe Rücklagen aufhäufen könnten.

Derzeit buhlen noch 112 Krankenkassen um die Gunst der rund 72,7 Millionen Versicherten. Nur bei 68 übersteigen die Finanzreserven eine Monatsausgabe. Knapp die Hälfte dieses Überschusses, 2133 von 4380 Milliarden Euro, konzentriert sich bei acht Ortskrankenkassen.

Bevor die Rücklagen aufgelöst würden, sollte es eine Abschätzung der Kosten der Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag geben, mahnten mehrere Kassenvertreter an. "Die Kosten der angekündigten Reformen, zum Beispiel für Pflegepersonal, müssen zunächst seriös abgeschätzt werden", sagte die Vorsitzende des Verbands der Ersatzkassen, Ulrike Elsner.

Lesen Sie dazu auch: Spahn plant neue Gesetze: Milliarden für die Versicherten – Kassen bleiben skeptisch

Beitragssenkung: Grüne und FDP kritisieren Spahns Pläne

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