Hintergrund

Gibt es für Ärzte eine ethische Grauzone am Bett von schwerstkranken Menschen?

Der assistierte Suizid widerspricht sowohl dem ärztlichen Ethos als auch dem Berufsrecht. Eine Umfrage unter Ärzten sorgt für kontroverse Diskussionen.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Mittel für den letzten Weg: Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital.

Mittel für den letzten Weg: Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital.

© dpa

Die Rechtslage im Strafrecht ist klar: Aktive Sterbehilfe ist verboten, Beihilfe zur Selbsttötung unter bestimmten Umständen nicht. Das ärztlichen Standesrecht ist strenger. In der Empfehlung der Bundesärztekammer heißt es: "Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos und dem ärztlichen Berufsrecht, kann daher (standesrechtlich) strafbar sein." Und doch bleiben für jeden Arzt, der sich mit dem Thema Sterbehilfe befasst, die Fragen: "Was ist am Bett Sterbender noch ärztliches Handeln? Was nicht mehr? Was würde ich im Zweifel tun?"

In der Empfehlung der Bundesärztekammer heißt es: "Aktive Sterbehilfe ist unzulässig und wird mit Strafe bedroht, auch dann, wenn sie auf Verlangen des Patienten geschieht". So steht es auch im Paragrafen 216 Strafgesetzbuch. Denn der sonst stets zu respektierende Patientenwille würde Ärzte von Sterbebegleitern in Assistenten der Selbsttötung verwandeln. Die Beihilfe zur Selbsttötung ist dann straflos, wenn sich der Patient freiverantwortlich selber tötet und dabei die volle Tatherrschaft hat. Durch diese Regelung sind Ärzte in einer fatalen Situation. Wegen ihrer so genannten Garantenstellung müssten sie einen Patienten, dem sie eben noch ein tödliches Medikament zur Selbsttötung zur Verfügung gestellt haben, sofort das Leben retten, sobald er das Medikament genommen hat. Helfen sie nicht, droht ihnen die Anklage. Um dem Richter zu entgehen, müssen Ärzte das Krankenzimmer und damit ihre Patienten verlassen, sobald sie das Medikament zur Verfügung gestellt haben. Zudem verstoßen der Arzt auch gegen das Standesrecht.

Wohl nicht zuletzt deshalb haben sich rund 30 Prozent von knapp 550 befragten Ärzten kürzlich für die Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids ausgesprochen - so das Ergebnis einer Allensbachumfrage im Auftrag der Bundesärztekammer. Die Öffentlichkeit habe das Ergebnis so aufgefasst, dass immer mehr Ärzte den assistieren Suizid befürworteten, befürchtet Dr. Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN). "Das kann man nicht so stehen lasen", sagt Wenker. "Der Dissens dreht sich im Kern um die Frage, ob der ärztlich assistierte Suizid nur eine graduelle Variante ärztlicher Sterbebegleitung oder eine völlig neue Dimension ärztlichen Handelns ist." Der Berliner Internist Dr. Michael de Ridder argumentiert, der assistierte Suizid sei bei wenigen schwer leidenden Kranken komplementär zur Palliativmedizin zu sehen. "Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass auch der ärztlich assistierte Suizid zu einer äußersten Maßnahme palliativer Medizin werden kann", so de Ridder in der "ZEIT".

Anders Wenker: "Wenn ein Arzt die Verantwortung für den Tod eines Patienten übernähme, würde das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten grundlegend erschüttert!" Mit ihrer Argumentation steht sie an der Seite von Professor Eckart Nagel, Transplantationsmediziner aus Augsburg und Mitglied des Deutschen Ethikrates. Er hatte in der "ZEIT" auf den Artikel de Ridders geantwortet. Beim assistierten Suizid handelt es sich "nicht nur um etwas graduell anderes, sondern um etwas vollständig anderes: Es geht um die Übernahme der Verantwortung für den Tod eines Menschen." Die Selbststimmung des Patienten sei begrenzt durch seine moralische Verantwortung gegenüber der Unerklärbarkeit des eigenen Lebens.

Auch Wenker lehnt den assitierten Suizid ab. "Ich gebe auch einem schwer lungenkrebskranken Sterbenden Morphium und nehme in Kauf, dass er dadurch schneller sterben könnte", sagt sie, "aber ich gebe es ihm nicht mit der Intention, ihn zu töten." Im allerschlimmsten Falle gibt es immer noch die Möglichkeit, einen Schwerstleidenden zu sedieren, um ihm bewusstes Ertragen des Unerträglichen zu ersparen.

Es gebe "aus guten Gründen kein spezielles Gesetz, das ein Sterben durch Sterbehilfe bei unheilbaren Krankheiten regelt", meint auch Wenker. "Das Sterben ist nicht normierbar." Sie spricht sich für eine regelmäßige kollegiale Beratung in Form eines Ethik-Komitees aus.

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Kommentare
Uwe Schneider 02.09.201008:42 Uhr

Die Unerklärbarkeit des eigenen Lebens?

Der ansonsten von mir sehr geschätzte Prof. Nagel will sein traditionell selbsttötungs-feindliches christliches Menschenbild mit seinen stark heteronomen Einschlägen (Gottesebenbildlichkeit/-abhängigkeit) für alle Menschen verbindlich machen. Viele, wenn nicht gar die meisten Menschen in Deutschland dürften jedenfalls diesen Aspekt des christlichen Menschen- und Gottesbildes aber nicht teilen, obgleich sie christlichen Kirchen angehören. Die Frage nach der Verfügbarkeit des eigenen Lebens ist zudem eine Frage des individuellen Glaubens und der individuellen Moral. Die Sozialmoral und das Recht (auch das Standesrecht) dürfen dem Individuum hier jedenfalls in Situationen des Sterbens keine Vorschriften machen. Sprich: Eine Liberalisierung der Rechtslage sollte her. Ob ein Patient von den neuen Möglichkeiten auch in Deutschland Gebrauch macht, ob ein Arzt mitspielt - das können sie dann individuell entscheiden.

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