IQWiG fällt mit Methodenpapier durch

WIESBADEN (fst). Bei der künftigen Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln nimmt die Heftigkeit der Kritik am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zu. Doch das Institut verteidigt den umstrittenen Methoden-Entwurf für die Bewertung von Arzneimitteln.

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Die IQWiG-Pläne zur Bewertung von Arzneien sind umstritten.

Die IQWiG-Pläne zur Bewertung von Arzneien sind umstritten.

© Foto: Bilderbox

Bis Ende März konnten Arzneimittelhersteller und Wissenschaftler Stellung nehmen zum ersten Entwurf des IQWiG für eine Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung. Dabei hat das Institut mit dem Instrument der Effizienzgrenze eine ganz eigene Methodik entwickelt, die international ohne Vorbild ist.

Unterdessen haben die gesetzlichen Krankenkassen kürzlich ein eigenes, EVITA genanntes Bewertungsinstrument vorgestellt. EVITA (Evaluation Innovativer Therapeutischer Alternativen) soll ein Schnellurteil über Innovationen ermöglichen und vergleicht mit Hilfe eines Punktesystems Innovationen mit der Standardtherapie bei einer Indikation.

"Deutschland ist bei der Bewertung von Arzneimitteln ein Tollhaus", sagte Professor Wilhelm Kirch, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmakologie und Therapie, vor Internisten in Wiesbaden. Konkurrierende Nutzenbewertungssysteme gebe es in keinem anderen Land, rügte Kirch.

Heftige Kritik am Instrument der Effizienzgrenze

Stattdessen bedürfe es "transparenter Evaluationen", die sich nicht allein auf randomisierte klinische Studien stützen dürften, forderte Kirch. Weder würden Langzeiteffekte einer Therapie bei klinischen Studien erfasst, noch Effekte einer besseren Compliance erkannt, kritisierte der Pharmakologe mit Blick auf die fast ausschließliche Orientierung des IQWiG auf klinische Kontrollstudien. Er forderte, "Studien aller Provenienz" für die Beurteilung von Arzneimitteln heranzuziehen.

Auch das zentrale vom IQWiG vorgestellte Instrument der Kosten-Nutzen-Bewertung, die Effizienzgrenze, stößt auf harsche Kritik, und zwar auch beim Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV). Ab 2009 ist den privaten Krankenversicherern durch die Gesundheitsreform ein Basistarif vorgegeben, der wie ein GKV-Tarif konzipiert ist. Auch alle Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, die auf Empfehlungen des IQWiG fußen, sind in diesem Tarif geltendes Recht.

Bei der Methode der Effizienzgrenze greift das IQWiG auf Kosten-Nutzen-Relationen zurück, die in der Vergangenheit bei der Arzneimittelversorgung akzeptiert worden sind. "Nirgendwo in dem Methodenpapier ist ein Algorithmus beschrieben, wie ein Summenparameter berechnet wird, durch den die Gewichtung von Nutzen und Schaden vorgenommen wird", kritisierte Professor Jürgen Fritsche, leitender Verbandsarzt bei der PKV. Das IQWiG hält das Verfahren der Analyse von Effizienzgrenzen hingegen für "sehr transparent".

Einleuchten will Fritsche auch nicht, dass das IQWiG bei der Bewertung nur Krankheitskosten - und vor allem nur die GKV-Perspektive - berücksichtigen will. "Die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge werden vom Arbeitgeber bezahlt", erinnerte Fritsche, doch die Kosten des Arbeitsausfalls gingen in keine Berechnung des IQWiG ein.

Noch harscher ging der Gesundheitsökonom Dr. Thomas Mittendorf von der Universität Hannover mit dem Methodenentwurf des IQWiG ins Gericht. Er bezeichnete die vom Institut geplante Analyse von Effizienzgrenzen als "hanebüchen".

IQWiG: Effizienzgrenze setzt starke Innovationsanreize

Denn das IQWiG erklärt wörtlich: "Jede Gesellschaft muss eine zu ihren Zielen und Strukturen passende ‚eigene‘ Kombination von Methoden der Gesundheitsökonomie entwickeln." Selbstverständlich müssten sich die Methoden in den einzelnen Ländern unterscheiden, so Mittendorf: "Das heißt aber nicht, dass es keinen Gold-Standard für gesundheitsökonomische Evaluationen gibt", sagte der Wissenschaftler. Und den Gold-Standard sieht Mittendorf nicht im Konzept der Effizienzgrenze.

Für Mittendorf ist es verfehlt, den Innovationsgrad von Basis-Innovationen zur Beurteilung heutiger neuer Arzneimittel heranzuziehen: "In einer Welt abnehmenden Grenznutzens kann es nicht fortlaufend Basis-Innovationen geben." Anderenfalls würden allenfalls äußerst seltene Sprung-Innovationen die Hürde einer Kosten-Nutzen-Bewertung nach Maßgabe des IQWiG bestehen. IQWiG-Chef Professor Peter Sawicki dagegen betont die Innovationsfreundlichkeit des Modells der Effizienzgrenze. Die Preise für Arzneimittel könnten um so höher sein, je stärker der Nutzenzuwachs ausfalle. Das setze Anreize für starke Innovationen.

Gesundheitsökonomen warnen vor deutschem Sonderweg

29 Wissenschaftler des Ausschusses für Gesundheitsökonomie im Verein für Socialpolitik dagegen halten den IQWiG-Vorschlag für untauglich. Das Institut schlage "einen unerprobten und wissenschaftlich nicht etablierten deutschen Sonderweg ein, ohne Klarheit über interpretierbare Kosten-Nutzen-Verhältnisse zu schaffen", heißt es in einer Stellungnahme. Für die Arzneihersteller wünscht sich Dr. Franz-Josef Wingen von Bayer Vital und Sprecher der Korporativen Mitglieder in der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, dass "sich das IQWiG Zeit lässt" bei der Entwicklung seiner Methodik. "Wir wüssten gerne, auf was wir uns dabei einlassen", sagte Wingen.

STICHWORT

Effizienzgrenze

Das Instrument der Effizienzgrenzen ist ursprünglich von Wirtschaftswissenschaftlern zur Optimierung von Aktienportfolios entwickelt worden. Das IQWIG hat dieses Werkzeug auf die Arzneibewertung übertragen. Dabei soll ermittelt werden, wie sich Kosten und Nutzen in der Vergangenheit und der Gegenwart zueinander verhalten. Wenn beispielsweise die aktuelle Standardtherapie den patientenrelevanten Nutzen um 50 Prozent im Vergleich zur Vorgängertherapie verbessert, die Kosten aber um 100 Prozent höher sind, so bildet das Verhältnis dieser beiden Prozentsätze die Effizienzgrenze. Dieses in der Vergangenheit akzeptierte Kosten-Nutzen-Verhältnis soll, so schlägt das IQWiG vor, in die Zukunft extrapoliert werden. Innovationen von morgen dürften demnach kein schlechteres Kosten-Nutzen-Verhältnis haben. 29 führende deutsche Gesundheitsökonomen haben den Vorschlag des IQWiG als "wissenschaftlich unhaltbar" und "normativ nicht begründet" abgelehnt.

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