Petition gestartet

Intensivpflegerin: Dringend benötigt und von Ausweisung bedroht

Farah Demir versorgt in der Medizinischen Hochschule Hannover COVID-19-Patienten. Die 37-Jährige wird gebraucht, ist aber vom Ausländeramt nur geduldet. Jetzt hat ihr das niedersächsische Innenministerium Hilfe zugesagt.

Von Christina Sticht Veröffentlicht:
Farah Demir, Intensivkrankenpflegerin auf der COVID-19-Intensivstation an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Farah Demir, Intensivkrankenpflegerin auf der COVID-19-Intensivstation an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Demir lebt seit 34 Jahren in Deutschland, dennoch droht ihr die Ausweisung.

© Ole Spata/dpa

Hannover. Die Androhung einer Ausweisung ist vom Tisch, dennoch fühlt sich Farah Demir weit entfernt davon, endlich einen deutschen Pass zu bekommen. „Ich habe Angst, dass das noch Jahre dauern wird“, sagt die Intensivpflegerin bei einem Treffen vor der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) nach ihrer Nachtschicht auf der COVID-19-Station.

Die 37-Jährige kam im Alter von zwei Jahren mit ihren Eltern als Flüchtling aus dem Libanon nach Niedersachsen. 1990 erhielt sie eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, doch diese wurde rund 15 Jahre später widerrufen mit der Begründung, es gebe Vorfahren in der Türkei. Seitdem lebt sie nur mit einer Duldung, die bisher meist um jeweils sechs Monate verlängert wurde.

Das ganze Verfahren sei menschenunwürdig, sagt Nils Hoffmann. Der Sprecher des Personalrats der MHH hat für seine Kollegin eine Petition im Internet gestartet. Fast 36.000 Menschen unterschrieben für eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland für die Intensivpflegerin. „Sie ist Landesbedienstete, hat ein polizeiliches Führungszeugnis, aber keinen Pass.“

„Deutscher geht es nicht“

Es sei absurd, dass auf der einen Seite ausländische Pflegekräfte angeworben werden und auf der anderen Seite Farah Demir als Staatenlose nicht eingebürgert werden könne. „Im Endeffekt ist sie Deutsche. Deutscher geht es nicht.“ Hoffmann hofft jetzt auf einen Termin bei Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), um den Fall der 37-Jährigen vorzutragen.

Ein Brief der Stadt Hameln im November, in dem Sanktionen bis hin zur Abschiebung angedroht wurden, hatte die Proteste der Kollegen ausgelöst. Dies sei ein standardisiertes Schreiben gewesen, in dem die gesetzlichen Folgen aufgezeigt wurden, die bei ungeklärter Identität drohen, erklärte die örtliche Ausländerbehörde laut niedersächsischem Innenministerium. Das Ministerium hat Demir Hilfe bei der Klärung ihrer Identität zugesichert.

Ihre eigenen Versuche, dies zu machen, scheiterten bisher. Wie lange dies dauern werde, sei schwer abzuschätzen, sagt ein Ministeriumssprecher. In einem ersten Schritt müsse Demirs Staatsangehörigkeit geklärt und ein Pass beschafft werden; dies sei eine wesentliche Voraussetzung für ein Aufenthaltsrecht, auf das nach acht Jahren – in besonderen Einzelfällen gegebenenfalls früher – eine Einbürgerung folgen könnte.

„Endlich in Deutschland ankommen“

Ein Auszug aus einem Personenstandsregister des türkischen Kreises Savur ist für die deutschen Behörden ein Indiz für das Vorliegen der türkischen Staatsangehörigkeit. Farah Demir sagt: „Mein größter Wunsch ist, endlich in Deutschland anzukommen. Das ist meine Heimat.“

Mit ihrer Duldung darf sie ohne Genehmigung der Behörden Niedersachsen nicht verlassen. An Urlaubsreisen ins Ausland ist nicht zu denken. Sie ist mit einem Israeli verheiratet, der ebenfalls in Deutschland keinen gesicherten Aufenthaltsstatus hat. Eigene Kinder waren auch deswegen für sie bisher kein Thema.

In der Pandemie ist die Arbeit auf der Intensivstation mit COVID-19-Patienten besonders herausfordernd. Die 37-Jährige betreut Kranke im künstlichen Koma, die an Beatmungsgeräte angeschlossen sind. Stundenlang im Schutzanzug und mit FFP3-Maske wechselt die Intensivpflegerin Schläuche und lagert gemeinsam mit ihren Kolleginnen Menschen um, die um ihr Leben ringen.

Infiziert – fünf Tage nach der ersten Impfung

Am 12. Januar erhielt Farah Demir einen positiven Corona-Test – fünf Tage nach ihrer ersten Impfung gegen COVID-19. Sie habe sich vermutlich bei einem Patienten angesteckt, berichtet sie. Wenn sich zum Beispiel ein Beatmungsschlauch wegen eines Hustenanfalls löst, müssen die Pflegekräfte schnell handeln.

Rund sechs Wochen war sie krankgeschrieben: „Mir ging es richtig schlecht.“ Ihr Ehemann brachte sie dazu, mindestens einmal am Tag aufzustehen. „Meine größte Sorge war, dass ich Kollegen angesteckt haben könnte“, sagt die zierliche Frau. „Glücklicherweise ist das nicht passiert.“

Die Krankheit hat sie gezeichnet, aber die 37-Jährige kämpft weiter. Mut machen ihr die Unterzeichner der Petition, die sich sogar aus der Schweiz, Italien und der Türkei gemeldet haben. „Am Anfang hatte ich gedacht, ich bin allein gegen das Bürokratiemonster“, sagt sie. „Das ist nicht mehr so. Für die Unterstützung bin ich unfassbar dankbar.“ (dpa)

Petition für Farah Demir:

https://tinyurl.com/ybhhvv5x

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